Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Briten kämpfen gegen Brexit
Drei Millionen unterschreiben Petition für EU-Verbleib
LONDON (dpa) - Viele Briten haben das Gezerre um den EU-Austritt satt. Mehr als drei Millionen Menschen unterzeichneten bis Freitagnachmittag eine ans Unterhaus gerichtete Onlinepetition: In ihr wird gefordert, in der Europäischen Union zu bleiben. Zeitweise war die Webseite wegen des Ansturms nicht zu erreichen. Premierministerin Theresa May hatte einem Exit vom Brexit aber erst wieder beim EU-Gipfel in Brüssel eine klare Absage erteilt.
„Die Regierung behauptet immer wieder, der Austritt aus der EU wäre der Wille des Volkes“, heißt es in dem Petitionstext. Das Parlament muss den Inhalt jeder Petition mit mehr als 100 000 Unterzeichnern für eine Debatte berücksichtigen.
Die Kampagne „People’s Vote“hat für Samstag eine große Demonstration für ein zweites Brexit-Referendum angekündigt. „Wir erwarten bis zu 700 000 Teilnehmer“, sagte ein Sprecher.
BRÜSSEL - Das zermürbende Brexitdrama geht in die Verlängerung. Mit ihrem Antrag auf zusätzliche drei Monate Zeit hatte Britanniens Premierministerin Theresa May den Ball wieder ins Spielfeld der EU gelegt. Die 27 Regierungschefs brauchten die halbe Nacht zum Freitag, um auf die neue Situation eine angemessene Antwort zu finden. Die fiel so aus, dass für das britische Unterhaus keine Hintertürchen offen bleiben.
Entweder stimmen die Abgeordneten im dritten Anlauf nächste Woche für das Austrittsabkommen und haben bis 22. Mai Zeit, den Übergang möglichst reibungslos zu gestalten. Oder sie lehnen das Abkommen erneut ab und müssen bis 12. April entscheiden, ob sie die EU ohne Deal verlassen oder sich an den kommenden Europawahlen beteiligen. Der 12. April ist der letztmögliche Tag, an dem nach britischem Recht die Wahl eingeleitet werden könnte.
Geschickter Schachzug der EU
Mit diesem Schachzug hat es die EU geschickt vermieden, das britische Chaos auf den Kontinent übergreifen zu lassen. Obwohl vor Beginn des Gipfels viele Teilnehmer May für ihre Beharrlichkeit Respekt zollten und ihre schwierige Lage angesichts innenpolitischer Scharmützel würdigten, blieb ihnen der vorgeschlagene 30. Juni als Austrittstag ein Rätsel. Wollte es May darauf anlegen, dass ein britischer Bürger das ihm vorenthaltene Wahlrecht einklagen und eine Wiederholung der Europawahl erzwingen würde? Oder suchte sie schlicht den längstmöglichen Aufschub und machte sich über die daraus für die EU resultierenden Probleme keine Gedanken?
In der ursprünglich auf drei Stunden angelegten Brexitrunde, die sich dann fast bis Mitternacht hinzog, soll es jedenfalls nach Hinweisen von Augenzeugen mehrfach heftig gekracht haben. Angela Merkel, eine besondere Freundin konziser Arbeitsweise und früher Bettruhe, geriet mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aneinander, der um jeden Preis den 7. Mai als letztes Austrittsdatum durchsetzen wollte. Sie habe Tusk ob der mangelhaften Vorbereitung der Debatte getadelt, berichten Teilnehmer. In Richtung Macron machte sie klar, dass es den Franzosen vielleicht egal sei, auf welche Weise die Briten die Union verließen – ihr aber nicht. Es könne schon sein, dass Frankreich Großbritannien in Zukunft nicht brauche. Die EU aber brauche eine gute künftige Partnerschaft.
„Das war eine sehr ehrliche, wichtige Diskussion heute, und wir sind auf alle Szenarien vorbereitet“, erklärte Merkel, bevor sie ins Hotel entschwand. Schlecht strukturierte, sich im Kreis drehende Brüsseler Debatten dürften nicht zu den Dingen gehören, die sie nach ihrer Pensionierung schmerzlich vermissen wird. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz bestritt, dass die Einheit der EU in der Brexitfrage erste Risse zeige. „Die Einigkeit war immer gegeben. Wir haben aber eine sehr ausführliche strategische Debatte darüber geführt, wie man in dieser doch sehr schwierigen und noch nie da gewesenen Situation gemeinsam vorgeht. Es ist gelungen – und das war das oberste Ziel des heutigen Tages – den harten Brexit nächste Woche zu verhindern.“
In der letzten Märzwoche also wird es in Brüssel keinen Sondergipfel geben. Sollte das Unterhaus wieder Nein zu Mays Deal sagen, müssen die Chefs in der zweiten Aprilwoche wieder antanzen. Um ihrem Märztreffen zum Schluss eine etwas freundlichere Note zu verpassen, inszenierten sie am Freitagmorgen eine Feierstunde zum 25-jährigen Bestehen des Europäischen Wirtschaftsraums.
Gewürdigt wurde die Verbindung der EU mit Norwegen, Island und Liechtenstein. Die Botschaft der EUStaaten in Richtung London ist deutlich: Schaut her, so schön und einfach kann es sein