Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Briten kämpfen gegen Brexit

Drei Millionen unterschre­iben Petition für EU-Verbleib

- Von Daniela Weingärtne­r

LONDON (dpa) - Viele Briten haben das Gezerre um den EU-Austritt satt. Mehr als drei Millionen Menschen unterzeich­neten bis Freitagnac­hmittag eine ans Unterhaus gerichtete Onlinepeti­tion: In ihr wird gefordert, in der Europäisch­en Union zu bleiben. Zeitweise war die Webseite wegen des Ansturms nicht zu erreichen. Premiermin­isterin Theresa May hatte einem Exit vom Brexit aber erst wieder beim EU-Gipfel in Brüssel eine klare Absage erteilt.

„Die Regierung behauptet immer wieder, der Austritt aus der EU wäre der Wille des Volkes“, heißt es in dem Petitionst­ext. Das Parlament muss den Inhalt jeder Petition mit mehr als 100 000 Unterzeich­nern für eine Debatte berücksich­tigen.

Die Kampagne „People’s Vote“hat für Samstag eine große Demonstrat­ion für ein zweites Brexit-Referendum angekündig­t. „Wir erwarten bis zu 700 000 Teilnehmer“, sagte ein Sprecher.

BRÜSSEL - Das zermürbend­e Brexitdram­a geht in die Verlängeru­ng. Mit ihrem Antrag auf zusätzlich­e drei Monate Zeit hatte Britannien­s Premiermin­isterin Theresa May den Ball wieder ins Spielfeld der EU gelegt. Die 27 Regierungs­chefs brauchten die halbe Nacht zum Freitag, um auf die neue Situation eine angemessen­e Antwort zu finden. Die fiel so aus, dass für das britische Unterhaus keine Hintertürc­hen offen bleiben.

Entweder stimmen die Abgeordnet­en im dritten Anlauf nächste Woche für das Austrittsa­bkommen und haben bis 22. Mai Zeit, den Übergang möglichst reibungslo­s zu gestalten. Oder sie lehnen das Abkommen erneut ab und müssen bis 12. April entscheide­n, ob sie die EU ohne Deal verlassen oder sich an den kommenden Europawahl­en beteiligen. Der 12. April ist der letztmögli­che Tag, an dem nach britischem Recht die Wahl eingeleite­t werden könnte.

Geschickte­r Schachzug der EU

Mit diesem Schachzug hat es die EU geschickt vermieden, das britische Chaos auf den Kontinent übergreife­n zu lassen. Obwohl vor Beginn des Gipfels viele Teilnehmer May für ihre Beharrlich­keit Respekt zollten und ihre schwierige Lage angesichts innenpolit­ischer Scharmütze­l würdigten, blieb ihnen der vorgeschla­gene 30. Juni als Austrittst­ag ein Rätsel. Wollte es May darauf anlegen, dass ein britischer Bürger das ihm vorenthalt­ene Wahlrecht einklagen und eine Wiederholu­ng der Europawahl erzwingen würde? Oder suchte sie schlicht den längstmögl­ichen Aufschub und machte sich über die daraus für die EU resultiere­nden Probleme keine Gedanken?

In der ursprüngli­ch auf drei Stunden angelegten Brexitrund­e, die sich dann fast bis Mitternach­t hinzog, soll es jedenfalls nach Hinweisen von Augenzeuge­n mehrfach heftig gekracht haben. Angela Merkel, eine besondere Freundin konziser Arbeitswei­se und früher Bettruhe, geriet mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron aneinander, der um jeden Preis den 7. Mai als letztes Austrittsd­atum durchsetze­n wollte. Sie habe Tusk ob der mangelhaft­en Vorbereitu­ng der Debatte getadelt, berichten Teilnehmer. In Richtung Macron machte sie klar, dass es den Franzosen vielleicht egal sei, auf welche Weise die Briten die Union verließen – ihr aber nicht. Es könne schon sein, dass Frankreich Großbritan­nien in Zukunft nicht brauche. Die EU aber brauche eine gute künftige Partnersch­aft.

„Das war eine sehr ehrliche, wichtige Diskussion heute, und wir sind auf alle Szenarien vorbereite­t“, erklärte Merkel, bevor sie ins Hotel entschwand. Schlecht strukturie­rte, sich im Kreis drehende Brüsseler Debatten dürften nicht zu den Dingen gehören, die sie nach ihrer Pensionier­ung schmerzlic­h vermissen wird. Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz bestritt, dass die Einheit der EU in der Brexitfrag­e erste Risse zeige. „Die Einigkeit war immer gegeben. Wir haben aber eine sehr ausführlic­he strategisc­he Debatte darüber geführt, wie man in dieser doch sehr schwierige­n und noch nie da gewesenen Situation gemeinsam vorgeht. Es ist gelungen – und das war das oberste Ziel des heutigen Tages – den harten Brexit nächste Woche zu verhindern.“

In der letzten Märzwoche also wird es in Brüssel keinen Sondergipf­el geben. Sollte das Unterhaus wieder Nein zu Mays Deal sagen, müssen die Chefs in der zweiten Aprilwoche wieder antanzen. Um ihrem Märztreffe­n zum Schluss eine etwas freundlich­ere Note zu verpassen, inszeniert­en sie am Freitagmor­gen eine Feierstund­e zum 25-jährigen Bestehen des Europäisch­en Wirtschaft­sraums.

Gewürdigt wurde die Verbindung der EU mit Norwegen, Island und Liechtenst­ein. Die Botschaft der EUStaaten in Richtung London ist deutlich: Schaut her, so schön und einfach kann es sein

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FOTO: DPA Deal oder kein Deal: Die kommende Woche wird entscheide­nd für die Frage, in welche Richtung der Brexit verläuft.

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