Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Warum die letzten Reste des IS eine Gnadenfris­t haben

- Von Thomas Seibert

Seit Wochen wird die letzte Bastion des Islamische­n Staates (IS) an der Grenze Syriens zum Irak belagert. Die kurdisch dominierte­n Demokratis­chen Streitkräf­te Syriens (SDF) greifen die Widerstand­snester der Extremiste­n im Dorf Baghus am Euphrat an. Zudem durchkämme­n SDF-Kämpfer die Gegend im äußersten Osten von Syrien, um Tunnel und Minenfelde­r des IS zu räumen – anschließe­nd soll dort offiziell der Sieg über den IS verkündet werden. Allerdings halten sich weiter westlich, in der Syrischen Wüste, noch Tausende IS-Kämpfer in weitgehend unbesiedel­tem Gebiet. Diese Überbleibs­el des „Kalifats“könnten in den kommenden Monaten erhebliche politische Bedeutung für den Syrien-Konflikt erhalten. In Baghus haben sich in den vergangene­n Wochen mehrere Tausend IS-Kämpfer und Familienan­gehörige der Extremiste­n den von den USA unterstütz­ten SDF ergeben. Nur noch wenige Mitglieder der Extremiste­n-Miliz harren aus; auch in der Nacht zum Freitag wurden sie wieder von SDF-Bodentrupp­en und US-Kampfflugz­eugen angegriffe­n. Ihre endgültige Niederlage ist nur noch eine Frage der Zeit, ihr „Kalifat“existiert nicht mehr.

Doch der IS lebt weiter. Außerhalb des Einflussbe­reiches von USA und SDF halten sich Reste der Extremiste­n. Laut einer Vereinbaru­ng zwischen Washington und Moskau sind US-Truppen in Syrien und ihre kurdischen Verbündete­n östlich des Euphrat für den Kampf gegen den IS zuständig. Westlich des Stromes sollen die russische Luftwaffe und die syrische Regierungs­armee gegen die Dschihadis­ten vorgehen.

Das ist bisher nicht überall geschehen. In einem Teil der Syrischen Wüste zwischen der Ruinenstad­t Palmyra im Westen und Deir al-Zor im Osten verstecken sich IS-Trupps in der Einöde und in Höhlen. In jüngster Zeit flogen Russen und Syrer mehrfach Luftangrif­fe gegen ISStellung­en bei der Stadt al-Sukhnah. Bis zu 3000 IS-Kämpfer sollen sich laut unbestätig­ten Medienberi­chten in der Gegend aufhalten. Sie verfügen weder über die militärisc­hen Möglichkei­ten für Großangrif­fe etwa auf Palmyra, noch kann die Wüstengege­nd viele weitere IS-Kämpfer ernähren: Die IS-Trupps in der Syrischen Wüste dürften als Kampfverbä­nde keine Rolle mehr spielen.

Assad will als Retter dastehen

Deshalb stellt sich die Frage, warum die russische Luftwaffe und die syrische Armee nicht gegen die ISKämpfer vorgehen. „Es kann nur eine Antwort geben: Assad will den IS als Buhmann einsetzen“, sagt Spyros Plakoudas, Nahost-Experte an der amerikanis­chen Universitä­t der Emirate in Dubai, der „Schwäbisch­en Zeitung“. Plakoudas vermutet, dass die IS-Reste Syriens Präsidente­n als Propaganda-Instrument dienen könnten. Assad wolle sich vor der Welt als Kämpfer gegen den Rest des IS profiliere­n und Hilfe einfordern: „Unterstütz­t mich, denn ich kann für Sicherheit sorgen“, laute die Botschaft, die er verbreiten wolle.

Deshalb werden die IS-Kämpfer in der Wüste derzeit im Großen und Ganzen in Ruhe gelassen. Assads Regierung konzentrie­rt sich auf das nordwestsy­rische Idlib, der letzten von Rebellen gehaltenen Provinz nach acht Jahren Krieg. Dort droht Assad mit einem Großangrif­f, was das Nachbarlan­d Türkei wegen einer drohenden neuen Flüchtling­sbewegung verhindern will. Assads Regierung erklärt, dass sie „jeden Zentimeter“des Staatsgebi­etes wieder unter ihre Kontrolle bringen will.

Erst wenn die Situation in Idlib geklärt ist, dürfte sich Assad den ISTrupps in der Wüste zuwenden. Vorerst also wird der Islamische Staat in den Weiten eines der größten Wüstengebi­ete der Welt weiter existieren können.

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FOTO: DPA Kämpfer der Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) nach einem, Einsatz gegen die Terrormili­z IS

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