Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Seefahrerromantik im Kopf
Wagners „Der fliegende Holländer“landet in Ulm im Kinofoyer
ULM - Ein Kinoplakat wirbt für „Fluch der Meere“, finsterer Blick, schwarzer Hut, langes Haar – Johnny Depp lässt grüßen. Der „fliegende Holländer“ist zum Filmhelden geworden und lächelt im Foyer eines altertümlichen Kinos vom Plakat: Am Theater Ulm inszeniert der neue Intendant Kay Metzger Richard Wagners Meisteroper im Einheitsbühnenbild seiner Ausstatterin Petra Mollérus als großes Kino im Kopf. Generalmusikdirektor Timo Handschuh, ein beeindruckendes Sängerensemble, Chor und Extrachor und das brausende Orchester bringen Wagners düstere, nach Erlösung suchende romantische Oper zum Brodeln.
Drohend und aufgepeitscht klingt das Vorspiel aus dem Orchestergraben, mit dem Thema der Senta- Ballade finden wir uns im Kinofoyer: Eine junge Frau mit maisgelber Jacke und beigem Faltenrock trinkt Tee an einem der Tischchen, schmutziges Rot und Orange künden von verstaubtem Charme und verlorenen Träumen. Aus Papier faltet sie Schiffchen, immer wieder steht sie auf, betrachtet das Plakat, geht in den Kinosaal, kehrt zurück. Als Richard Wagner seinen „Fliegenden Holländer“komponierte, stellte er die Ballade der Senta in den Mittelpunkt: Sie erzählt die Sage vom verfluchten Seemann, der durch die Liebe einer Frau von seinem Schicksal erlöst werden würde. Senta ist gefangen von dieser Geschichte, träumt sich hinein in die Rolle der Retterin.
Bei Kay Metzger werden Träume zur Obsession, der Held tritt aus dem Plakat, eine Geistergestalt im schwarzen Mantel, der Gläser zerdrückt, ohne Schaden zu nehmen und nach einem Pistolenschuss die Patrone einfach ausspuckt. Alles spielt sich in Sentas Kopf und im Kinofoyer ab: Der Steuermann wird zum Barmann, der Tische und Gläser poliert, seine zwielichtigen Gäste mit Hochprozentigem abfüllt und in Lebensfragen berät. Auch Mary, Sentas Amme, arbeitet an der Bar, tut sich mit dem Steuermann zusammen. Trinkfeste Gestalten finden sich ein: Sentas Vater Daland, der Seemann mit dem verfilzten Bart, und der Holländer mit seinen Reichtümern im schwarzen Seesack.
Zum Albtraum wird die Szenerie, wenn die Chöre ins Spiel kommen: Matrosen mutieren zu Kellnern, die synchron Gläser polieren, die Mädchen zu emsig strickenden SentaKlonen – Chor, Extrachor (Einstudierung Hendrik Haas) und Statisterie begeben sich mit Lust in diese ins Chaos abdriftenden Szenen. Sentas Träume gehen weiter zum Kuss unter Palmen und heimischer Idylle mit Stehlampe und Teetisch – am Ende zerplatzen sie, und ob die Beziehung mit dem biederen Erik gut geht, bleibt offen.
Timo Handschuh steuert dieses Holländer-Schiff durch kraftvolle Wirbel und große romantische Themen, abgesehen von kleineren Wacklern und kieksenden Hörnern zeigt sich das Philharmonische Orchester gut aufgestellt und darf sich nach dem Schlussakkord auf der Bühne zeigen.
Überzeugende Sänger
Susanne Serfling gestaltet die Partie der Senta mit Fülle und Leuchtkraft, kann sie aber auch aus mädchenhaft schlankem Piano entwickeln und überzeugt in ihrer Bühnenpräsenz. Der finnische Bass Erik Rousi und der Koreaner Dae-Hee Shin geben das exotische Duo Daland – Holländer mit raumfüllender Energie und auch durchaus sanfter Wärme. Markus Francke wirbt als Erik verzweifelt und mit heldischem Tenor um seine Senta, und mit Luke Sinclair als Steuermann ist ein junger lyrischer Tenor zu erleben. Die Inszenierung kam beim Ulmer Publikum gut an, nur Kay Metzger musste vermutlich für seine fehlende Seefahrerromantik wenige Buhrufe einstecken.
Weitere Aufführungen: 26.,
29. März, 3., 5., 7., 14., 17. und
20. April. Karten unter: www.theater-ulm.de