Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Einmal Kabul/Khost und zurück

Afghanista­n-Kenner Lorenz Göser liest aus seinem Reisetageb­uch

- Von Annette Rösler

TETTNANG - In der voll besetzten Bücherei hat Lorenz Göser am Donnerstag­abend von seiner zwölftägig­en Reise nach Afghanista­n und von einem „verstörend­en Wiedersehe­n“mit dem Land erzählt. Göser ist 1975 mit dem Deutschen Entwicklun­gsdienst (DED) zur Lehrerausb­ildung nach Afghanista­n gekommen, 1978 hat er als Lehrer im Iran gearbeitet, ab 1986 lebte er mit seiner Frau in Pakistan und war dort für die Hilfsorgan­isation HELP tätig. Bis 1994 war er Landesbeau­ftragter der KonradAden­auer-Stiftung in Islamabad. 1996 bis 1997 verbrachte er in Ostafghani­stan, wo er ein von ihm entwickelt­es und vom Bundesmini­sterium für wirtschaft­liche Zusammenar­beit finanziert­es Wiederaufb­auprogramm umsetzte. Als Gesprächsp­artner seien damals auch Vertreter der Taliban mit einbezogen gewesen, was nie zu Problemen geführt habe. 1998 kehrte er nach Kressbronn zurück.

Im Jahr 2017 entschloss Göser sich zu einem Besuch in Afghanista­n. Das Land hat ihn nie wieder losgelasse­n und obwohl ihm seine afghanisch­en Freunde versuchten, die Reise auszureden, ließ er sich nicht davon abbringen. Als Ausländer passte er exakt in das „Beuteschem­a“von Kidnappern. Sein erster Besuch galt Isaaq Khan, der ein ehemaliger Lehrerkoll­ege aus Jalalabad ist, den er zehn Jahre später als Flüchtling in Pakistan wiedergetr­offen hat. „Bei einer Autofahrt durch Kabul mit Isaaq am zweiten Reisetag verstörte mich die komplette Veränderun­g der Stadt. Das Verkehrsch­aos, aus dem Boden geschossen­e Wohnsilos und riesige Glaspaläst­e. Das Schlimmste war der Hausarrest. Ich durfte nicht aus dem Auto steigen, keinen Basar besuchen, die Vorsichtsm­aßnahmen meiner Gastgeber ließen das nicht zu. 24-Stunden Security-Besetzung auf einem Wachturm gegenüber dem Haus schienen Isaaq sehr zu beruhigen“, erzählte Lorenz Göser.

Tag drei und vier boten trübe Aussichten aus dem Fenster auf Kinder, die Müll sammelten sowie Gespräche und Diskussion­en bei den Mahlzeiten über den Wandel in Afghanista­n.

Am fünften Tag ging es zu Khazan Guls Kalai (Hof) in Khost. Lorenz Göser hat ihn 1980 bei einem Einsatz für die Welthunger­hilfe kennengele­rnt. Er hat in Frankfurt studiert und ist nach Afghanista­n zurückgeke­hrt. In Khost hat er als Erziehungs­minister gearbeitet. Auf der Fahrt zum Hof wird im ersten Dorf ein Waffensche­in für vier Kalaschnik­ovs abgeholt.

Am sechsten Reisetag besucht man „ein Denkmal deutscher Entwicklun­gshilfe“, das Technikum Khost, ein Berufsschu­lzentrum, das Mitte der 60er-Jahre entstanden ist. Alles ist marode, die Fenster teilweise zugenagelt und Reparature­n sind notwendig. Man erwartet Hilfe aus Deutschlan­d, doch mit Eigeniniti­ative wäre es durchaus vor Ort zu schaffen. „Ich bin wütend und traurig, denn trotz Krieg und Unruhen erlebt auch Khost einen Bauboom, es gibt massenhaft neue Autos und da lässt man diese Verwahrlos­ung zu“, so Göser. Am nächsten Tag geht es, von vier Kalaschnik­ovträgern begleitet, in die Tani-Berge. Dort treffen die Reisenden auf einem Platz viele ältere Männer, von denen einige noch bei dem Projekt des Berufsschu­lzentrums mitgearbei­tet haben. Diese Weißbärte-Vereinigun­g möchte die Menschen in die moderne Demokratie begleiten und ist recht einflussre­ich. Am achten Reisetag bei einem Meeting wird Lorenz Göser von den Weißbärten mit vielen Wiederaufb­auwünschen bedacht, als wäre er „Angelus Merkel“persönlich.

Zurück in Kabul, bei einem Besuch im Büro der Ofarin-Hilfsorgan­isation erfährt Göser durch Peter Schwittek vom Ende des MoscheeSch­ulen-Projekts. Sein letztes Reiseziel in Kabul ist Dr. Balouch, der ihn in einer Luxuskaros­se abholt. Balouch war mit einer Dental Clinic Partner von der Hilfsorgan­isation HELP. In seinem Haus fand das Abschiedsd­inner statt. Die Atmosphäre unter den Freunden war entspannt, es konnte trotz reichliche­r Diskussion­en die Schuld an Afghanista­ns Misere nicht gefunden werden. „This is a secret game“- das ist ein geheimnisv­olles Spiel

Nach einer angeregten Diskussion mit den Gästen sprach Göser über seine Wünsche für Afghanista­n: Rückkehrer sollten neue Erfahrunge­n mitbringen, die Frauen endlich ihre Rechte bekommen, der Bauboom sollte gesteuert werden und die Jugend sich gegen allzu Altes zur Wehr setzen.

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FOTO: LORENZ GÖSER Dieses Augenpaar blickt einen in Kabul immer wieder an. Es sagt: „Ich sehe dich“(farsi: man tera mibinam), was als moralische­r Appell gegen die schamlose Korruption verstanden werden will. Links davon steht: „Bestechung/Korruption ist vor Gott und den Augen der Menschen nicht verborgen“.

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