Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Mobbing ist mehr als nur ärgern
Situation lässt sich über Betroffenheit auflösen – Sozialarbeiterin: „Der Ursprung ist kein böswilliges Kind“
FRIEDRICHSHAFEN - Ärgern, piesacken, hänseln – das haben alle schon mal erlebt und vielleicht auch selbst mitgemacht. In jeder Klasse gab es damals und gibt es auch noch heute Schüler, die ungewollt im Fokus stehen. Während das früher häufig mit einem oberflächlichen „hach, die Karin hat’s halt schwer“abgetan wurde, wird das Thema heute ernster genommen. Vieles wird nicht mehr unter den Teppich gekehrt, denn Mobbing ist mehr als nur ärgern.
„In der Regel verwischen die Grenzen zwischen bloßem Ärgern zum Mobbing in einem langsamen und schleichenden Prozess“, erklärt Schulsozialarbeiterin Daniela Endres. „Das macht es schwer zu sagen, wann Mobbing genau anfängt.“Am Anfang steht laut Endres eine ungünstige Dynamik innerhalb einer Klasse. „Bleibt eine solche Entwicklung zu lange unbeachtet, wächst das schnell über einen Konflikt hinaus.“Es fange mit einer Kleinigkeit an, heize sich an und werde immer schlimmer und gemeiner.
Betroffenheit ist Kern der Lösung
Definieren lasse sich Mobbing hingegen ganz klar als ein gruppendynamischer Prozess, sagt Endres: „Die Täter zielen bewusst darauf, eine Person auszugrenzen, sie von der Gruppe auszuschließen und zum Außenseiter zu machen.“Das gebe ihnen das Gefühl von Macht. „Negative Anerkennung ist schneller und einfacher zu bekommen, als positiv aufzufallen,“erklärt Endres. Um so wichtiger sei es, rechtzeitig einzugreifen und dieses Gefühl umzukehren. Endres, die bei der Stadt Friedrichshafen angestellt ist und seit 2012 am Karl-Maybach-Gymnasium (KMG) arbeitet, hat gute Erfahrungen damit gemacht, schwelenden Klassenkonflikten mit einem Sozialtraining entgegenzuwirken. Dabei kommt ihr die Fortbildung „KonfliktKultur“zugute, die sie in Freiburg absolviert hat. Zwei Vormittage arbeitet sie dann auf neutralem Boden mit der Klasse, und der Klassenlehrer ist dabei stiller Beobachter. Für die Schule sei das im ersten Moment sehr zeitintensiv. Denn die Stunden seien primär als Unterrichtszeit verplant. „Aber es lohnt sich“, ist Endres überzeugt. In der Regel stelle sich am ersten Tag heraus, dass ein Fall von Mobbing vorliegt. Am zweiten Tag folgt die Intervention.
In Rollenspielen übt die Gruppe helfende Mechanismen ein. Dabei geht es beispielsweise um folgende Themen: Wie wehre ich mich korrekt und gewaltfrei? Wie behalte ich Selbstkontrolle? Wie formuliere ich Kritik? Ein weiterer Aspekt ist das Schreiben von Lobbriefen an die Mitschüler, erklärt Endres weiter. Denn positive Dinge zu benennen, falle im Alltag häufig unter den Tisch. Der Kern der Mobbing-Intervention sei die Betroffenheit: „Du versuchst, unter den Schülern eine möglichst große Betroffenheit zu erzeugen. Je größer die ist, desto leichter lässt sich die Situation auflösen.“Ihre Arbeit führt Daniela Endres immer wieder zu der einen Erkenntnis: „Der Ursprung ist kein böswilliges Kind.“Häufig handelten die jungen Menschen unüberlegt. „Die umreißen schlichtweg erst mal gar nicht, was sie mit ihrem Verhalten anrichten“, sagt Endres und hebt den Knackpunkt auf dem Lösungsweg hervor: „Mobbing betrifft immer die ganze Klasse.“Deshalb sei es wichtig, das Problem in der Klasse zu lösen. Denn auch diejenigen, die nicht eingreifen, seien Teil des Problems, da sie den Täter unterstützen.
„Leute redet darüber“
Die Hemmschwellen, sich einer übergeordneten Person anzuvertrauen, seien groß, berichtet Endres und sendet ein deutliches Signal: „Leute, redet darüber. Denn Mobbing funktioniert nur so lange, wie keiner darüber spricht. Aber wir haben die Macht, es zu beenden.“Das sei den Opfern in der Regel nicht klar. Sie schwiegen aus Angst darüber, dass es noch schlimmer werden könne. „Probleme offenlegen und darüber sprechen“, sagt Endres, „das ist die halbe Miete.“