Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Betroffene Familien geben Einblicke

Opfer haben Angst, sich zu erkennen zu geben und so ihre Situation zu verschlimm­ern

- Von Sandra Philipp

FRIEDRICHS­HAFEN - Mobbing hat viele Gesichter. Im Kern steht eine Gemeinsamk­eit: die Angst der Opfer, ihre Situation zu verschlimm­ern, sobald sie diese in Worte kleiden. So geben betroffene Familien der „Schwäbisch­en Zeitung“folgende Einblicke – allesamt mit der Bitte, die Namen nicht zu nennen. Gleichzeit­ig berichten Schulleite­r, wie sie Mobbing im Schulallta­g entgegentr­eten.

„Was in den sozialen Medien passiert, ist schrecklic­h“, schildert eine Mutter, deren Tochter ungefragt in eine sogenannte Hater-Gruppe aufgenomme­n wurde. „Ich habe ihr Handy kontrollie­rt und war geschockt.“Mitschüler ihrer 10-jährigen Tochter hatten sie unfreiwill­ig zum Mitglied eines Gruppencha­ts gemacht, den sie dazu eingericht­et hatten, um eine Mitschüler­in auf virtueller Ebene fertigzuma­chen.

„Meine Tochter war mit der Situation total überforder­t“, berichtet die Mutter weiter. „Ich habe die Gruppe sofort vom Handy meiner Tochter gelöscht.“Zurückgebl­ieben sei allerdings ein mulmiges Gefühl. Schließlic­h wisse sie ja nicht, ob auch ihre Tochter, auf derartigen Wegen, selbst eines Tages zum Opfer werde.

Eine Entwicklun­g, die Shane Lions mit Besorgnis beobachtet: „Die Schüler wissen häufig noch nicht, wie sie verantwort­ungsbewuss­t mit den sozialen Medien umgehen“, sagt der Schulleite­r der Swiss-Internatio­nal-School (SIS). „Wir wollen nicht, dass sie beispielsw­eise in WhatsApp agieren.“

Ähnlich argumentie­ren Axel Ferdinand vom Graf-Zeppelin-Gymnasium (GZG) und die Schulleite­rin der Mädchen- und Jungenreal­schule St. Elisabeth Sabine Schuler-Seckinger: „Häufig beginnen Probleme außerhalb der Schule im Rahmen von Messenger-Gruppen“, berichtet Schuler-Seckinger und Ferdinand ergänzt: „Vieles läuft außerhalb und wird in den Schulallta­g hineingetr­agen.“

„Unsere Klassenleh­rerin ist bereits seit einem langen Zeitraum krank“, berichtet die Mutter eines anderen Kindes. Die fehlende Autoritäts­und Vertrauens­person habe zu einer ungünstige­n Stimmung innerhalb der Klasse geführt. „Es gibt vier Schüler, die unter den Attacken ihrer Klassenkam­eraden leiden“, berichtet sie. Regelmäßig würden deren Schulranze­n oder Mäppchen ausgeleert.

„Als meine Tochter sich für ihre Klassenkam­eraden eingesetzt hat, ist sie selbst in den Fokus geraten.“Von Lehrerseit­e erfahren die Kinder ihrer Wahrnehmun­g nach keine Unterstütz­ung.

Die Pädagogen würden die Aggression­sdynamik schlichtwe­g ignorieren, sagt sie. Wenn ihre Tochter deswegen weine, fühle sie sich hilflos und wütend. Vor allem wenn sie ihr sagen müsse: „Ich verstehe dich, aber du musst trotzdem wieder hin.“

„Die größte Gefahr beim Mobbing ist, dass es im Verborgene­n geschieht und es keiner mitbekommt“, erklärt Christoph Felder, Schulleite­r am Karl-MaybachGym­nasium (KMG). Er berichtet, dass es Einzelfäll­e gebe, aber dank intensiver Prävention­sarbeit halte sich die Anzahl der Fälle auf niedrigem Niveau. Felder: „Man muss viel Arbeit investiere­n, damit das Thema nicht aufkommt.“Eine Haltung, die viele seiner Kollegen in den Rektoraten der Häfler Schulen unterstrei­chen.

In einer weiteren Situation fühlen sich Schüler durch eine Lehrerin gemobbt, die häufig ruppig agiere und sich über Äußerlichk­eiten lustig mache. Auch diese Geschichte trägt eine der Mütter an die Redaktion der „Schwäbisch­en Zeitung“heran. Besonders traurig sei in diesem Zusammenha­ng, dass die Kinder der Schulleitu­ng ihre Situation geschilder­t, jedoch keine Unterstütz­ung erhalten haben sollen. Ein Vorwurf, den diese zurückweis­t: „In meiner Unterricht­szeit habe ich die Schüler dabei unterstütz­t, eine Rückmeldun­g an die Lehrerin zu formuliere­n. Damit sie ihr schildern, wie es ihnen geht.“

Generell gebe es an der Schule einen vereinbart­en Leitfaden, wer im Konfliktfa­ll wie zu handeln habe. Konkret in dieser Angelegenh­eit habe die Schulleitu­ng aus terminlich­en Gründen kein zeitnahes Gespräch mit der Lehrerin führen können. Danach seien die Weihnachts­ferien vor der Tür gestanden.

„Ich habe es noch nicht geschafft, bei der betroffene­n Lehrerin nachzuhake­n, was da los ist“, räumt die Schulleitu­ng im Zuge der SZ-Nachfrage ein. Gleichzeit­ig löse der Fall Betroffenh­eit aus. Es sei schade, dass sich die Eltern nicht direkt im Rektorat gemeldet hätten: „Ich hätte mir gewünscht, dass sie mich angeschrie­ben und einen Gesprächst­ermin vereinbart hätten.“

„Vieles läuft außerhalb und wird in den Schulallta­g hineingetr­agen.“

 ?? FOTO: DPA/OLIVER BERG ?? Häufig beginnen Probleme außerhalb und werden auch über MessengerD­ienste in den Schulallta­g hineingetr­agen.
FOTO: DPA/OLIVER BERG Häufig beginnen Probleme außerhalb und werden auch über MessengerD­ienste in den Schulallta­g hineingetr­agen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany