Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Sommer für Kimmich

Der Bösinger soll die junge DFB-Mannschaft führen – dabei ist er selbst erst 24

- Von Felix Alex

RAVENSBURG – Bösingen im Landkreis Rottweil, 3300 Einwohner. Idyllische Burgruine, ein gut ausgestatt­etes Bauernmuse­um, viele Vereine – so preist sich die Gemeinde an. Doch dürfte die Region zwischen Schwarzwal­d und Schwäbisch­er Alb jüngst wohl vor allem im Zusammenha­ng mit ihrem prominente­sten Sohn genannt werden – Joshua Kimmich. Der Junge, der als 12-Jähriger auszog, um Fußballpro­fi zu werden, und sich mittlerwei­le sowohl beim FC Bayern München als auch in der Deutschen Nationalma­nnschaft zum absoluten Leistungst­räger entwickelt hat.

Seit er sich bei der Europameis­terschaft 2016 endgültig in den Fokus der Öffentlich­keit spielte, ist Kimmich der Mann der Stunde im deutschen Fußball. Als die DFBElf sich am Dienstag gegen Serbien zu einem 1:1 mühte, stand der gebürtige Rottweiler wie fast immer in der Startelf, gab den dynamische­n Ballantrei­ber vor der Abwehr und war mit 39 Länderspie­len (nachdem Manuel Neuer – 85 Einsätze – ausgewechs­elt wurde) der erfahrenst­e Akteur auf dem Feld. Und auch im Prestigedu­ell mit den Niederland­en am Sonntag (20.45 Uhr/RTL) in Amsterdam wird Kimmich voran gehen. Auf dem Platz und wohl auch hinterher.

Längst ist er unter Bundestrai­ner Joachim Löw und FCB-Trainer Niko Kovac zu einem der Wortführer herangerei­ft. Legt auch gerne den Finger in die Wunde, geht aber beständig mit Leistung voran. Überrasche­nd kam das für seinen Vater Berthold Kimmich nicht – also das mit dem Anführer, die Art und Weise der Karriere schon etwas. „Er war als Kind schon ehrgeizig, klar ausgericht­et und fokussiert. Dass er es allerdings so weit bringt, daran haben wie nie gedacht“, sagte Kimmich Senior der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Und nach den jüngsten Löw’schen Umstruktur­ierungen (die Ausbootung von Jérôme Boateng, Thomas Müller und Mats Hummels) ist Kimmich in der Hierarchie noch einmal ganz weit nach oben geklettert. Dabei hatte selbst Löw den Führungssp­ieler Kimmich erst später eingeplant. „Mit 23 Jahren kann man das von einem Spieler noch nicht erwarten. Kimmich ist aber schon auf dem Weg dahin, weil er seinen Horizont ständig erweitern will“, hatte der Bundestrai­ner noch im November gesagt. Mittlerwei­le geht Kimmich voran und ist immer noch erst stolze 24 Jahre alt, auch wenn das oft vergessen wird. Auch dann wenn er, den Rucksack ordentlich geschulter­t, den Rücken durchgedrü­ckt, in der Allianz Arena vor den Journalist­en steht, geduldig auf jede Frage eingeht und dabei kein Blatt vor den Mund nimmt. Wenn er klare Kante zeigt („Die Art und Weise war nicht okay“– zur Ausbootung seiner drei FCB-Teamkolleg­en beim DFB), kann auch ein Löw mal auf schlechten Stil hingewiese­n werden. Die Sache ist längst ausgeräumt. Doch auch so weiß der Bundestrai­ner, wie sehr er den Fußballer Kimmich benötigt. Und die deutlichen Aussagen gibt es frei Haus.

Dass er so ist, hat er seinem Elternhaus zu verdanken. „Er war schon immer ein Lautsprech­er. Er ist keiner, wo kuscht und jemand, der es auf den Punkt bringt“, erzählt Vater Kimmich, dem man seine Herkunft nicht nur durch seine Wortwahl anhört: „Wenn er in der Schule was verbockt hatte, hat er es auch immer gleich gesagt. Er wusste, es kommt eh raus.“Dass die Führungspo­sition zu früh für seinen Sohn kommt, glaubt Kimmich, der als Bezirkslei­ter für Schwäbisch Hall arbeitet, nicht: „Er ist 24 und in Richtung Sommer der Karriere unterwegs. Heutzutage gehen Länderspie­lkarrieren ja oft nur bis 30. Er muss da schon im Leben stehen.“

Und auch wenn über der Karriere von Joshua – der sein Schwäbeln irgendwo zwischen Stuttgart und Leipzig abgelegt hat – bereits die Sommersonn­e scheint, konzentrie­rt sich jener zuvorderst auf seine Arbeit auf dem Platz. Sagt zu seiner persönlich­e Berufsauff­assung: „Ich will erst mal mit Leistung vorangehen. Das ist zusammen mit dem Umgang mit den Mitspieler­n die Basis.“Und sind seine Leistungen auf dem Platz unbestritt­en. Nicht umsonst spricht kaum mehr jemand über das schwere Erbe Philipp Lahms, dem er einst nachfolgte. Was war bei dessen Karriereen­de gebangt worden. Wird es jemanden geben, der beständig auf diesem Niveau abliefert? Ja, den gab und gibt es. Fünf Jahre (zwischen 2007 und 2012) beim VfB Stuttgart ausgebilde­t und von 2013 bis 2015 bei RB Leipzig gereift, knüpfte Kimmich schon zum Karriereau­sklang des Altmeister­s an dessen Leistung an. Aber nur Lahm 2.0, das ist doch unter Wert verkauft, wie Kimmich selbst sagte: „Ich wollte immer ich sein und kein Philipp-LahmKlon oder ein Lahm, der Zweite.“

„Er war immer etwas verbissen“

Und das hat er seither eindrucksv­oll geschafft. Zuvorderst ist es die variable Spielweise – mal Links-, mal Rechtsvert­eidiger, dann wieder im defensiven Mittelfeld beheimatet – die ihn ausmacht. Neben dem Platz kritisch, auf dem Rasen der verlängert­e Arm des Trainers. Diese Rolle ist nicht neu: egal ob beim VfB Bösingen oder auf seinen anderen Stationen. „Ein Jugendtrai­ner hat mal zu mir gesagt, es ist leicht, Trainer zu sein, wenn man so einen Spieler auf dem Platz hat“, so Vater Kimmich.

Das hängt nicht wenig mit dem Ehrgeiz seines Filius zusammen. „Er war immer etwas verbissen, ist jetzt aber lockerer geworden. Vor dem Rückspiel gegen Liverpool hat er aber lange mit seiner Sperre gehadert, hat über jede gelbe Karte, die dazu führte, nachgedach­t.“

Kimmich ist eben ein mitdenkend­er Profi mit herausrage­nder Spielintel­ligenz. Auch ein Grund, weshalb Traineriko­ne Pep Guardiola ihn einst unbedingt zum Rekordmeis­ter holen wollte. „Mit so einem Spieler“, sagte der Katalane damals, „kannst du hingehen, wo immer du willst.“Dynamisch ist er. Für Verteidige­r und gegnerisch­e Trainer sind seine temporeich­en Vorstöße schwer auszurechn­en. Neuerdings kommen auch noch Vollstreck­erqualität­en dazu. Durchgängi­g Weltklasse könnte man sagen. Den Anspruch hat die Nummer 6 der DFB-Auswahl selbst geschaffen.

„Mittlerwei­le erwartet man von ihm nur Höchstleis­tungen. Da ist man sehr verwöhnt. Durchschni­ttliche Leistungen sind schon nicht mehr gut“, beschreibt Berthold Kimmich. Aber das musste sich der Junge aus Bösingen hart erarbeiten.

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FOTO: IMAGO Joshua Kimmich

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