Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Auf den Hund gekommen
Gehätschelt und gedrillt – Immer mehr Menschen halten einen Hund, ein gemeinsames Leben voller Liebe und voller Missverständnisse
In der fast 50-jährigen Geschichte des „Tatort“hat es wohl kein Ermittler-Duo gegeben, das so harmonisch miteinander umgegangen ist wie Melchior Veigl und Oswald. Streng genommen war natürlich bloß Ersterer fürs Verbrecher fangen zuständig – der von Gustl Bayrhammer so herrlich verkörperte Münchner Oberinspektor, der zwischen 1972 und 1981 dazu beitrug, das Bild des gemütlich grantelnden UrBayern in der Republik zu festigen. Doch so harsch Melchior Veigl mit Ganoven umging, – die meisten wurden bei Verhören grundsätzlich geduzt – so liebevoll hegte er seinen Oswald. Mit dem Kurzhaardackel teilte der Kommissar Büro, Bett und Bier – wobei Letzteres selbstredend alkoholisch war.
Ein Bild von Melchior Veigl und Oswald, Seit an Seit, hängt dieser Tage auch im Valentin-Karlstadt-Musäum, das in den Türmen des Münchner Isartors seine Heimat hat. Dort beschäftigt sich eine Sonderausstellung unter dem Namen „Vorsicht! Dackel!“mit der speziellen Beziehung zwischen dieser Hunderasse und den Bewohnern der bayerischen Landeshauptstadt. „Der Dackel gehört zu München wie der Bär zu Berlin“, hatte Museumschefin Sabine Rinberger bei der Eröffnung gesagt. Bester Beweis hierfür sei Waldi – das erste Olympia-Maskottchen überhaupt, das Otl Aicher für die Spiele 1972 in München entworfen hat. Ohnehin seien die charakterlichen Gemeinsamkeiten zwischen Dackel und Münchner offenkundig, befand Rinberger. „Beide sind treu, aber nicht wirklich erziehbar – und sie haben immer ihren eigenen Kopf.“
Durchaus eigen im Umgang mit seinem Dackel war auch Melchior Veigl, und man kann sich ausmalen, was Achim Gruber von einem solchen Herrchen hielte, das seinen Hund mit Weißbier füttert und in der Tasche ins Büro schmuggelt. Gruber hat gerade ein Buch namens „Das Kuscheltierdrama“veröffentlicht, in dem er das „stille Leiden der Haustiere“anprangert, die zunehmend vermenschlicht würden. Doch dazu später – zunächst zu Markus Richter, der viel zu erzählen hat über die spezielle Beziehung von Mensch und Hund sowie deren negative Auswüchse. Von der Dackel-Ausstellung am Isartor sind es knapp 30 S-BahnMinuten bis nach Gauting, wo man nach einem kurzen Fußmarsch in den wunderbar ruhigen Auen des Flüsschens Würm steht – und vor Markus Richter und Jackson.
Der sechsjährige Husky-AkitaMischling gehört zu jenen Hunden, nach denen sich nicht nur Tierliebhaber umdrehen: Das Fell schimmert, die Augen leuchten, und der geschmeidige Körper zeugt von den Vorfahren, die einst Schlitten zogen (Husky) und zur Jagd dienten (Akita). Federnden Schrittes trabt Jackson den Schotterweg entlang, bremst plötzlich ab und will einer Maus nachjagen. Doch da ertönt ein scharfes „Hey! Jackson, lass das!“– und prompt schleicht der Hund folgsam weiter.
Auch als Laie merkt man schnell, dass das Verhältnis von Mensch und Tier bei Markus Richter und Jackson klar geregelt ist. Doch das sei beileibe nicht immer der Fall, und genau darin liege das Problem vieler Mensch-Hund-Beziehungen, sagt der 54-Jährige, der trotz seines grauen Dreitagebarts auch als Enddreißiger durchginge.
Richter erlebt das ja hautnah mit, wenn er als Hundetrainer zu Frauchen oder Herrchen gerufen wird, weil es sein Tier schlichtweg nicht in den Griff kriegt. „Viele Menschen verstehen ihren Hund nicht. Sie vermenschlichen ihn und versuchen ein Verhältnis aufzubauen wie zu einem Partner oder einem Kind. Aber ein Hund ist ein Tier – und kein Mensch.“Während Jackson an seiner Seite trippelt, redet sich Richter in Schwung. Der Mann mit der Häkelmütze auf dem Kopf und dem Silberring im Ohr erzählt gerne und gut – was wohl auch ein Grund war, weshalb ihn das Fernsehen entdeckt hat: In der BR-Sendung „Das perfekte Herrchen“suchte Richter für Hunde aus dem Tierheim ein neues Zuhause – wobei er nicht nur die Tiere einschätzen musste, sondern auch die potenziellen Frauchen und Herrchen.
„95 Prozent meiner Arbeit als Hundecoach mache ich nicht mit dem Hund, sondern mit dem Mensch“, sagt Richter. Das größte Problem sei es, das betont er immer wieder, dass sich viele Hundebesitzer vor der Anschaffung eines Tiers keine Gedanken machten, welcher Hund zu ihnen und ihrer Lebenssituation passe. „Oft geht es nur um die Optik, und dann lebt ein Husky in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Berlin. Aber dafür ist dieser Hund einfach nicht gemacht“, sagt Richter. Natürlich könne ein Hund einem Menschen „unglaublich viel geben“, und für ihn selbst sei ein Leben ohne Hunde nicht vorstellbar, betont er. „Aber es gibt viele Entwicklungen, die man sehr kritisch betrachten muss.“Zumal die Zahl der Hunde in Deutschland seit Jahren stetig steigt. Nach Angaben des Zentralverbands Zoologischer Fachbetriebe (ZZF) lebt inzwischen in fast jedem fünften Haushalt ein Hund – 9,2 Millionen sind es insgesamt, im Haustierranking nur übertroffen von 13,7 Millionen Katzen.
Mindestens ebenso beeindruckend ist freilich eine andere Zahl: Fast 1,4 Milliarden Euro im Jahr geben deutsche Hundehalter laut ZZF allein fürs Tierfutter aus; dazu kommen noch mal fast 200 Millionen Euro für „Bedarfsartikel und Zubehör“. Der Hund im Heim ist also ein gigantischer Markt, der teils irre Blüten treibt, die sich etwa Mitte März bei der „Supreme Heimtiermesse“in München bestaunen ließen. Die rund 9000 Besucher konnten dort unter anderem einen „Anti-Stress Home Trainer“und eine UltraschallZahnbürste erstehen – für ihren Hund wohlgemerkt.
Es ist dies der Moment, in dem Achim Gruber zu Wort kommen soll, gelernter Tierarzt und Leiter des Instituts für Tierpathologie der Freien Universität Berlin. Was ihm dort mitunter auf den Obduktionstisch komme, habe ihn dazu veranlasst, jenes Buch vom „Kuscheltierdrama“zu schreiben, erzählt er am Telefon. „Ich wollte darauf aufmerksam machen, welches Leid einigen Haustieren angetan wird, wenn man sie so sehr vermenschlicht, dass man ihnen ihre eigene Natur nimmt.“Gruber berichtet von Herrchen, die ihre Hunde nach dem eigenen Vorbild vegetarisch oder vegan ernähren; er weiß von Krankheiten, die durch die Nähe von Mensch und Tier übertragen werden; und er prangert die sogenannte Defekt- oder Qualzucht an, bei der Hunde „menschenähnlich gezüchtet werden“– mit schwerwiegenden Folgen. So stelle etwa der Trend zu immer kürzeren Nasen für manche Rassen wie den Mops eine Gefahr dar, da er ihnen das Atmen erschwere. In der Folge könnten diese Hunde bei Hitze und körperlicher Belastung eher an einem Hitzschlag sterben.
„Einige Menschen versuchen ihre Bedürfnisse in das Haustier hineinzuprojizieren“, sagt Gruber. Dazu komme gerade in Städten der Trend zu immer mehr Single-Haushalten und einsamen Menschen. Ihnen diene der Hund mitunter als Partneroder Kindersatz – und entsprechend viel Liebe und Zuwendung wird den Tieren zuteil. So beschreibt Achim Gruber in seinem Buch den Fall einer Frau, die ihre Bulldogge so innig herzte, dass dem Hund die Luft wegblieb. Seinen Todeskampf in ihren Armen deutete das Frauchen als Zuneigung – bis das Tier erstickte.
Es ist zu hoffen und anzunehmen, dass der „Tatort“-Dackel Oswald friedlicher aus dem Leben geschieden ist, als er 1975 verstarb. Seinerzeit suchte der BR öffentlich nach einem Nachfolger. Doch trotz 80 Hunden, die zu einem Casting ins TVStudio kamen, fand sich offenbar kein geeignetes Tier. Und so musste Melchior Veigl fortan alleine ermitteln. Das einzige, was ihm blieb, war ein Bild von Oswald auf seinem Schreibtisch im Kommissariat.
Markus Richter mit Husky-Akita-Mischling Jackson
Die Sonderausstellung „Vorsicht!
● Dackel!“ist noch bis zum
21. Mai im Valentin-KarlstadtMusäum in München zu sehen. www.valentin-musaeum.de
Messe „Mein Hund“: am 30./31. März in Ravensburg, Oberschwabenhalle
Achim Gruber: „Das Kuscheltierdrama: Ein Tierpathologe über das stille Leiden der Haustiere“. Verlag Droemer Knaur 2018. 312 Seiten, 20 Euro.
95 Prozent meiner Arbeit als Hundecoach mache ich nicht mit dem Hund, sondern mit dem Mensch.