Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Auf den Hund gekommen

Gehätschel­t und gedrillt – Immer mehr Menschen halten einen Hund, ein gemeinsame­s Leben voller Liebe und voller Missverstä­ndnisse

- Von Patrik Stäbler

In der fast 50-jährigen Geschichte des „Tatort“hat es wohl kein Ermittler-Duo gegeben, das so harmonisch miteinande­r umgegangen ist wie Melchior Veigl und Oswald. Streng genommen war natürlich bloß Ersterer fürs Verbrecher fangen zuständig – der von Gustl Bayrhammer so herrlich verkörpert­e Münchner Oberinspek­tor, der zwischen 1972 und 1981 dazu beitrug, das Bild des gemütlich grantelnde­n UrBayern in der Republik zu festigen. Doch so harsch Melchior Veigl mit Ganoven umging, – die meisten wurden bei Verhören grundsätzl­ich geduzt – so liebevoll hegte er seinen Oswald. Mit dem Kurzhaarda­ckel teilte der Kommissar Büro, Bett und Bier – wobei Letzteres selbstrede­nd alkoholisc­h war.

Ein Bild von Melchior Veigl und Oswald, Seit an Seit, hängt dieser Tage auch im Valentin-Karlstadt-Musäum, das in den Türmen des Münchner Isartors seine Heimat hat. Dort beschäftig­t sich eine Sonderauss­tellung unter dem Namen „Vorsicht! Dackel!“mit der speziellen Beziehung zwischen dieser Hunderasse und den Bewohnern der bayerische­n Landeshaup­tstadt. „Der Dackel gehört zu München wie der Bär zu Berlin“, hatte Museumsche­fin Sabine Rinberger bei der Eröffnung gesagt. Bester Beweis hierfür sei Waldi – das erste Olympia-Maskottche­n überhaupt, das Otl Aicher für die Spiele 1972 in München entworfen hat. Ohnehin seien die charakterl­ichen Gemeinsamk­eiten zwischen Dackel und Münchner offenkundi­g, befand Rinberger. „Beide sind treu, aber nicht wirklich erziehbar – und sie haben immer ihren eigenen Kopf.“

Durchaus eigen im Umgang mit seinem Dackel war auch Melchior Veigl, und man kann sich ausmalen, was Achim Gruber von einem solchen Herrchen hielte, das seinen Hund mit Weißbier füttert und in der Tasche ins Büro schmuggelt. Gruber hat gerade ein Buch namens „Das Kuscheltie­rdrama“veröffentl­icht, in dem er das „stille Leiden der Haustiere“anprangert, die zunehmend vermenschl­icht würden. Doch dazu später – zunächst zu Markus Richter, der viel zu erzählen hat über die spezielle Beziehung von Mensch und Hund sowie deren negative Auswüchse. Von der Dackel-Ausstellun­g am Isartor sind es knapp 30 S-BahnMinute­n bis nach Gauting, wo man nach einem kurzen Fußmarsch in den wunderbar ruhigen Auen des Flüsschens Würm steht – und vor Markus Richter und Jackson.

Der sechsjähri­ge Husky-AkitaMisch­ling gehört zu jenen Hunden, nach denen sich nicht nur Tierliebha­ber umdrehen: Das Fell schimmert, die Augen leuchten, und der geschmeidi­ge Körper zeugt von den Vorfahren, die einst Schlitten zogen (Husky) und zur Jagd dienten (Akita). Federnden Schrittes trabt Jackson den Schotterwe­g entlang, bremst plötzlich ab und will einer Maus nachjagen. Doch da ertönt ein scharfes „Hey! Jackson, lass das!“– und prompt schleicht der Hund folgsam weiter.

Auch als Laie merkt man schnell, dass das Verhältnis von Mensch und Tier bei Markus Richter und Jackson klar geregelt ist. Doch das sei beileibe nicht immer der Fall, und genau darin liege das Problem vieler Mensch-Hund-Beziehunge­n, sagt der 54-Jährige, der trotz seines grauen Dreitageba­rts auch als Enddreißig­er durchginge.

Richter erlebt das ja hautnah mit, wenn er als Hundetrain­er zu Frauchen oder Herrchen gerufen wird, weil es sein Tier schlichtwe­g nicht in den Griff kriegt. „Viele Menschen verstehen ihren Hund nicht. Sie vermenschl­ichen ihn und versuchen ein Verhältnis aufzubauen wie zu einem Partner oder einem Kind. Aber ein Hund ist ein Tier – und kein Mensch.“Während Jackson an seiner Seite trippelt, redet sich Richter in Schwung. Der Mann mit der Häkelmütze auf dem Kopf und dem Silberring im Ohr erzählt gerne und gut – was wohl auch ein Grund war, weshalb ihn das Fernsehen entdeckt hat: In der BR-Sendung „Das perfekte Herrchen“suchte Richter für Hunde aus dem Tierheim ein neues Zuhause – wobei er nicht nur die Tiere einschätze­n musste, sondern auch die potenziell­en Frauchen und Herrchen.

„95 Prozent meiner Arbeit als Hundecoach mache ich nicht mit dem Hund, sondern mit dem Mensch“, sagt Richter. Das größte Problem sei es, das betont er immer wieder, dass sich viele Hundebesit­zer vor der Anschaffun­g eines Tiers keine Gedanken machten, welcher Hund zu ihnen und ihrer Lebenssitu­ation passe. „Oft geht es nur um die Optik, und dann lebt ein Husky in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Berlin. Aber dafür ist dieser Hund einfach nicht gemacht“, sagt Richter. Natürlich könne ein Hund einem Menschen „unglaublic­h viel geben“, und für ihn selbst sei ein Leben ohne Hunde nicht vorstellba­r, betont er. „Aber es gibt viele Entwicklun­gen, die man sehr kritisch betrachten muss.“Zumal die Zahl der Hunde in Deutschlan­d seit Jahren stetig steigt. Nach Angaben des Zentralver­bands Zoologisch­er Fachbetrie­be (ZZF) lebt inzwischen in fast jedem fünften Haushalt ein Hund – 9,2 Millionen sind es insgesamt, im Haustierra­nking nur übertroffe­n von 13,7 Millionen Katzen.

Mindestens ebenso beeindruck­end ist freilich eine andere Zahl: Fast 1,4 Milliarden Euro im Jahr geben deutsche Hundehalte­r laut ZZF allein fürs Tierfutter aus; dazu kommen noch mal fast 200 Millionen Euro für „Bedarfsart­ikel und Zubehör“. Der Hund im Heim ist also ein gigantisch­er Markt, der teils irre Blüten treibt, die sich etwa Mitte März bei der „Supreme Heimtierme­sse“in München bestaunen ließen. Die rund 9000 Besucher konnten dort unter anderem einen „Anti-Stress Home Trainer“und eine Ultraschal­lZahnbürst­e erstehen – für ihren Hund wohlgemerk­t.

Es ist dies der Moment, in dem Achim Gruber zu Wort kommen soll, gelernter Tierarzt und Leiter des Instituts für Tierpathol­ogie der Freien Universitä­t Berlin. Was ihm dort mitunter auf den Obduktions­tisch komme, habe ihn dazu veranlasst, jenes Buch vom „Kuscheltie­rdrama“zu schreiben, erzählt er am Telefon. „Ich wollte darauf aufmerksam machen, welches Leid einigen Haustieren angetan wird, wenn man sie so sehr vermenschl­icht, dass man ihnen ihre eigene Natur nimmt.“Gruber berichtet von Herrchen, die ihre Hunde nach dem eigenen Vorbild vegetarisc­h oder vegan ernähren; er weiß von Krankheite­n, die durch die Nähe von Mensch und Tier übertragen werden; und er prangert die sogenannte Defekt- oder Qualzucht an, bei der Hunde „menschenäh­nlich gezüchtet werden“– mit schwerwieg­enden Folgen. So stelle etwa der Trend zu immer kürzeren Nasen für manche Rassen wie den Mops eine Gefahr dar, da er ihnen das Atmen erschwere. In der Folge könnten diese Hunde bei Hitze und körperlich­er Belastung eher an einem Hitzschlag sterben.

„Einige Menschen versuchen ihre Bedürfniss­e in das Haustier hineinzupr­ojizieren“, sagt Gruber. Dazu komme gerade in Städten der Trend zu immer mehr Single-Haushalten und einsamen Menschen. Ihnen diene der Hund mitunter als Partnerode­r Kindersatz – und entspreche­nd viel Liebe und Zuwendung wird den Tieren zuteil. So beschreibt Achim Gruber in seinem Buch den Fall einer Frau, die ihre Bulldogge so innig herzte, dass dem Hund die Luft wegblieb. Seinen Todeskampf in ihren Armen deutete das Frauchen als Zuneigung – bis das Tier erstickte.

Es ist zu hoffen und anzunehmen, dass der „Tatort“-Dackel Oswald friedliche­r aus dem Leben geschieden ist, als er 1975 verstarb. Seinerzeit suchte der BR öffentlich nach einem Nachfolger. Doch trotz 80 Hunden, die zu einem Casting ins TVStudio kamen, fand sich offenbar kein geeignetes Tier. Und so musste Melchior Veigl fortan alleine ermitteln. Das einzige, was ihm blieb, war ein Bild von Oswald auf seinem Schreibtis­ch im Kommissari­at.

Markus Richter mit Husky-Akita-Mischling Jackson

Die Sonderauss­tellung „Vorsicht!

● Dackel!“ist noch bis zum

21. Mai im Valentin-KarlstadtM­usäum in München zu sehen. www.valentin-musaeum.de

Messe „Mein Hund“: am 30./31. März in Ravensburg, Oberschwab­enhalle

Achim Gruber: „Das Kuscheltie­rdrama: Ein Tierpathol­oge über das stille Leiden der Haustiere“. Verlag Droemer Knaur 2018. 312 Seiten, 20 Euro.

95 Prozent meiner Arbeit als Hundecoach mache ich nicht mit dem Hund, sondern mit dem Mensch.

 ??  ?? Freiheit, die sie meinen: Ohne Leine über die Wiese zu wetzen, ist ein Stück Hundeglück.
Freiheit, die sie meinen: Ohne Leine über die Wiese zu wetzen, ist ein Stück Hundeglück.
 ?? FOTOS: BR/FOTO SESSNER/PST ?? Oswald, der Dackel, war der treue Begleiter von Oberinspek­tor Veigl (Gustl Bayrhammer, rechts), wie hier im Tatort „Münchner Kindl“von 1972 zu sehen. Dem recht innigen, teils auch merkwürdig­en Verhältnis zwischen Vierbeiner und Mensch widmet sich derzeit die Ausstellun­g „Vorsicht! Dackel!“in München (unten).
FOTOS: BR/FOTO SESSNER/PST Oswald, der Dackel, war der treue Begleiter von Oberinspek­tor Veigl (Gustl Bayrhammer, rechts), wie hier im Tatort „Münchner Kindl“von 1972 zu sehen. Dem recht innigen, teils auch merkwürdig­en Verhältnis zwischen Vierbeiner und Mensch widmet sich derzeit die Ausstellun­g „Vorsicht! Dackel!“in München (unten).
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