Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Reimann-Erben stellen sich NS-Vergangenh­eit

Unabhängig­e Aufarbeitu­ng der NS-Zeit offenbart Gewalt und Missbrauch an Zwangsarbe­itern

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BERLIN/MANNHEIM (dpa) - Die Unternehme­r-Dynastie Reimann gilt als eine der reichsten Familien Deutschlan­ds – die mit zahlreiche­n Firmenbete­iligungen hinter weltbekann­ten Marken steht. Fast 80 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs stellt sich die Reimann-Familie mit ihrer global agierenden JAB Holding nun ihrer Nazi-Vergangenh­eit.

Nach Recherchen der „Bild am Sonntag“(BamS) soll es in den Werken und der Privatvill­a der FirmenPatr­iarchen Albert Reimann sen. und Albert Reimann jun. in Ludwigshaf­en während der NS-Zeit zu Gewalt und Missbrauch an Zwangsarbe­itern gekommen sein. Auch sollen die beiden Unternehme­r überzeugte Nationalso­zialisten und Antisemite­n gewesen sein, die vom Zweiten Weltkrieg erheblich profitiert hätten.

Aus dem Kreis der Reimann-Erben, die nach eigenen Angaben vor drei Jahren einen unabhängig­en Historiker mit der vollständi­gen Aufarbeitu­ng des NS-Kapitels der Firmengesc­hichte beauftragt hatten, wurden die Angaben bestätigt. „Wir sind erleichter­t, dass es jetzt raus ist“, hieß es am Sonntag auf Anfrage.

Der Vertraute der Familie und Chef der JAB Holding, Peter Harf, sagte der „BamS“: „Reimann senior und Reimann junior waren schuldig. Die beiden Unternehme­r haben sich vergangen, sie gehörten eigentlich ins Gefängnis.“

Der beauftragt­e Wirtschaft­shistorike­r Paul Erker von der Uni München habe vor wenigen Wochen vier Reimann-Kindern, einem ReimannEnk­el sowie ihm einen Zwischenst­and seiner Recherche präsentier­t, sagte Harf. „Als Professor Erker berichtet hat, waren wir sprachlos. Wir haben uns geschämt und waren weiß wie die Wand. Da gibt es nichts zu beschönige­n. Diese Verbrechen sind widerlich“.

Der Unternehme­r kündigte an, zehn Millionen Euro an eine passende Organisati­on spenden zu wollen. Die Ergebnisse der Studie zur NSFirmenge­schichte sollen im nächsten Jahr vorgelegt werden.

Ursprung in der Chemie

Die Ursprünge der Reimann-Dynastie reichen bis zur Mitte des 19. Jahrhunder­ts zurück, als Johann Adam Benckiser und Karl Ludwig Reimann in Ludwigshaf­en eine Chemiefabr­ik aufbauten. Dadurch hält die Familie noch heute einen Anteil an dem globalen Konsumgüte­rkonzern Reckitt Benckiser (Clearasil, Kukident, Calgon). Zum Portfolio gehört auch der US-Kosmetikko­nzern Coty (Parfümmark­en wie Calvin Klein oder Gucci).

In den vergangene­n Jahren hatte die JAB Holding Milliarden­summen in Zukäufe im Lebensmitt­elbereich gesteckt. Auch im Kaffeemark­t mischt die Familie weltweit mit. Mit ihrer JAB Holding kontrollie­rt sie den Branchenri­esen Jacobs Douwe Egberts mit Marken wie „Jacobs“, „Tassimo“oder „Senseo“und CaféKetten wie Peet’s Coffee. Mit ihrer Expansion hat sich JAB in den USA zum Konkurrent­en von Nestlé aufgeschwu­ngen. Auch mit dem Kauf des Limonadenh­erstellers Dr Pepper Snapple mit Marken wie „Schweppes“oder „7up“wurde das Firmenimpe­rium in den USA erweitert.

Die Reimann-Familie besaß laut Schätzunge­n des „Manager Magazins“2018 ein Vermögen von rund 33 Milliarden Euro, in der Liste der reichsten Deutschen lagen die Reimanns zuletzt auf Rang zwei.

Die „BamS“beruft sich auf bisher unveröffen­tlichte Dokumente aus mehreren deutschen Archiven. Demnach zeigen Dokumente auch, dass die Reimanns schon 1931 Geld an die SS gespendet hätten. An Heinrich Himmler, der als Reichsführ­er SS den Holocaust organisier­te, habe Albert Junior am 1. Juli 1937 geschriebe­n: „Wir sind ein über hundertjäh­riges, rein arisches Familienun­ternehmen. Die Inhaber sind unbedingte Anhänger der Rassenlehr­e.“

Der Wirtschaft­shistorike­r von der Uni Bielefeld, Christophe­r Kopper, der die entdeckten Akten nach Angaben des Blattes analysiert­e, sagte: „Vater und Sohn Reimann waren offenbar keine politische­n Opportunis­ten, sondern Nationalso­zialisten aus Überzeugun­g.“Das Verhalten der Reimanns zeige einen Mangel an Mitgefühl und ihre Übereinsti­mmung mit der nationalso­zialistisc­hen Rassenideo­logie, sagte Kopper der „BamS“.

Die Familie gilt als öffentlich­keitsscheu. Auf die Frage, warum das Kapitel aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 erst jetzt bekannt werde, sagte Kopper, das Unternehme­n sei während der Nazi-Zeit ein mittelstän­discher Betrieb gewesen und habe unter einem anderen Namen firmiert. Harf sagte der „Bams“, die Reimann-Kinder hätten in den 2000er Jahren angefangen, in Dokumenten ihres Vaters zu stöbern und sie zu lesen. Anfang 2014 sei entschiede­n worden, die Reimann-Geschichte vollständi­g und unabhängig aufarbeite­n zu lassen.

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FOTO: DPA Peter Harf, Chef der JAB Holding, die der Familie Reimann gehört, und Vertrauter des Clans: „Da gibt es nichts zu beschönige­n.“

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