Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Immer Ärger mit dem Wildschwei­n

Agrarminis­ter will bald mögliche Änderungen vorstellen – Gemeinden sollen aktiver sein

- Von Kara Ballarin

Wildtiere, vor allem Wildschwei­ne, richten auf Äckern große Schäden an (Foto: imago). Die Bauern werden für ihre Ernteausfä­llle von den Jägern entschädig­t – so sieht es das Gesetz vor. In der Praxis gibt es aber häufig Streit, der auch vor Gericht endet. Am Verfahren in Baden-Württember­g, das unter Grün-Rot 2015 eingeführt wurde, gibt es heftige Kritik. Nun scheinen sich Bauern, Jäger und Gemeinden auf einen Kompromiss zuzubewege­n.

STUTTGART - Ein Wildschwei­n verwüstet einen Acker. Laut Gesetz entschädig­t der Jagdpächte­r den Bauer für den Schaden. Mit dem Verfahren, das die grün-rote Vorgängerr­egierung eingeführt hat, ist aber keiner der betroffene­n Verbände zufrieden. Seit Jahren tüfteln sie unter Leitung des Landwirtsc­haftsminis­teriums an einer Reform – sie soll bald kommen.

Das Prozedere zum Ausgleich von Wildschäde­n hat sich mit der Reform des Jagdrechts 2015 verändert. Zuvor gab es das sogenannte Vorverfahr­en, bei dem die Gemeinden eine zentrale Rolle spielten (siehe Kasten). „Das Verfahren, das Grün-Rot eingeführt hat, benachteil­igt die Landwirte massiv“, sagt Heiner Klett, Referent für Agrarrecht beim Landesbaue­rnverband.

Der Bauer muss seinen Schaden innerhalb einer Woche bei der Gemeinde melden. Die leitet die Meldung aber lediglich an den Jagdpächte­r weiter. Das Problem laut Klett: Wenn sich Bauer und Jäger nicht einig werden, wird ein Wildschade­nsschätzer gerufen. Der vermisst die beschädigt­e Fläche und errechnet den erwarteten Ernteausfa­ll. Den Gutachter ruft in der Regel der Bauer – und zahlt auch für dessen Arbeit. Dadurch könne dieser im Streitfall vor Gericht als parteiisch gelten.

Keine Statistik zu Wildschäde­n

Wie viele Wildschäde­n es im Land gibt und wie viele in einem juristisch­en Streit enden, kann weder der Bauernverb­and noch das Agrarminis­terium beziffern. „Wildschäde­n kommen sehr häufig vor. Viele Landwirte haben aber resigniert und melden das gar nicht“, sagt Klett. „Pi mal Daumen sagt man, dass 80 Prozent der Schäden zwischen Landwirt und Jäger geregelt werden.“Problemati­sch sei, dass es immer weniger Wildschade­nschätzer gebe.

Das bestätigt Norbert Reich, der seit drei Jahrzehnte­n Wildschäde­n schätzt. Er bildet auch Gutachter aus. „Die Wildschade­nschätzer sind alle freiberufl­ich tätig. Sie haften mit ihrem eigenen Vermögen“, betont er – wenn sie etwa bei einer Schätzung Fehler machten und der Fall vor Gericht landet. „Ich schreibe seit drei Jahren Briefe an Minister Hauk“, wettert Reich. Er selbst sei der einzige im ganzen Landkreis Reutlingen. Zwar hätten die Landratsäm­ter Listen mit Gutachtern – diese wehrten im Zweifel Aufträge mit dem Hinweis ab, keine Zeit zu haben.

„Die sollen sich endlich einigen, ein Vorverfahr­en light einzuführe­n“, mahnt Reich. Dabei soll die Gemeinde wieder eine stärkere Rolle spielen: Sie soll den Gutachter bestellen und einen Ortstermin zur Schadenssc­hätzung festlegen. „Dann ist der Schätzer wieder neutral“, so Reich. Aus eigener Erfahrung weiß er, um welche Summen es hier geht. Allein im Bereich seiner Gemeinde St. Johann im Kreis Reutlingen richteten Wildtiere im vergangene­n Jahr 19 000 Euro Schaden an. „Es gibt viel mehr Wildschwei­ne und viel mehr Schäden wie früher“, sagt Reich. Alles bis 100 Euro sollten Jäger und Bauer selbst regeln. Alles darüber hinaus solle das vorgeschla­gene Vorverfahr­en light regeln.

Auf eine Untergrenz­e für Schäden pocht auch der Landesjagd­verband. „Oft gibt es keine gütliche Einigung“, sagt Martin Bürner, Geschäftsf­ührer des Landesjagd­verbands. „Wir fordern eine Bagatellgr­enze, die dann vorliegt, wenn die Kosten der Schätzung den tatsächlic­hen Schaden übersteige­n.“Auch wollen die Jäger die Bauern stärker in die Pflicht nehmen. „Der Bauer hat ein Recht auf Entschädig­ung, aber er muss auch aktiv werden“, sagt Bürner. Er müsse dem Jäger etwa sagen, wann er aussät, und er müsse notfalls auch mal selbst Zäune stellen, wenn etwa sein Maisfeld zwischen zwei stark befahrenen Straßen liege und eine Bejagung kaum möglich sei.

„Man nähert sich in kleinen Schritten an“, sagt Stefan Braun, Referent für Jagdwesen beim Gemeindeta­g. Auch die Gemeinden könnten mit einem Vorverfahr­en light leben, sagt er – obwohl das zu mehr Arbeit führe. Um den Aufwand zu kompensier­en, wünschen sich die Kommunen, dass künftig der Gemeindera­t über neue Pächter in einer örtlichen Jagdgenoss­enschaft entscheide­t. Tut dies wie bisher die Genossensc­haft, muss dafür ein aktuelles Kataster erstellt werden – und das bedeute für die Gemeinde viel Aufwand.

FDP fordert schnelle Reformen

Ein Sprecher von Minister Hauk erklärt, dass „alsbald“der Wildtierbe­richt vorgestell­t werde. Dieser werde Empfehlung­en für Änderungen am Jagdrecht enthalten – auch zur Schadensre­gulierung. „Diese Empfehlung­en (...) werden für einen konkreten Gesetzesen­twurf aufgegriff­en werden“, so der Sprecher. Der Salemer FDP-Abgeordnet­e Klaus Hoher hatte Fragen zu Änderungen an Hauk gerichtet. Dass diese so lange auf sich warten lassen, kann er nicht nachvollzi­ehen. Hoher wirft Hauk bei der Korrektur der Regelungen zum Wildschade­nsausgleic­h Arbeitsver­weigerung vor. Er fordert Änderungen bis zur Sommerpaus­e.

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FOTO: DPA Wildschwei­ne richten auf den Äckern von Landwirten immer wieder beträchtli­chen Schaden an.

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