Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Ich setze bewusst das Prinzip des Wiederholens ein“
Der Bildhauer Gerold Miller stellt nach exakt 30 Jahren erstmals wieder in Tettnang aus
- Im Hintergebäude des Senn-Verlags in Tettnang hat sich eine neue Galerie auf Zeit eingerichtet. Die F.S. Art Bodensee unter der Leitung von Florian Schmid zeigt zum Auftakt neue Arbeiten von Gerold Miller. Der Künstler, der in Altshausen geboren wurde, ist weit über Oberschwaben hinaus erfolgreich. Zuletzt war ein Querschnitt durch sein Werk in der Kunsthalle Weishaupt in Ulm zu sehen. Antje Merke hat sich mit dem 58-jährigen Bildhauer vor Ort getroffen.
Sie leben in Berlin. Wie kam es zu dieser Ausstellung in dem neuen, aber doch relativ kleinen Saal in Tettnang?
Gerold Miller: Ich kenne Florian Schmid schon seit vielen Jahren. Er hat ja auch in Berlin einen Ausstellungsraum, wo ich im letzten Jahr ein Projekt realisieren konnte. Florian hatte immer die Idee, hier in Oberschwaben einen Kunstraum zu eröffnen. Und als er mir von den konkreten Plänen in Tettnang erzählte, habe ich ihm sofort eine Ausstellung zugesagt.
Ein wichtiges Thema in Ihren Werkserien ist der Raum, ein Bereich mit einem Innen und Außen. Was reizt Sie daran, sich so am Thema Raum abzuarbeiten?
Ich bin ausgebildeter Bildhauer, deshalb ist die Räumlichkeit ohnehin schon immer mein Thema. So war es von Anfang an meine Überlegung: Wie kann ich Raum aktivieren, wie kann ich Raum definieren, wie kann ich im Raum sowohl malerisch als auch skulptural arbeiten. Das waren meine ersten Überlegungen Ende der 1980er-Jahre an der Kunstakademie. Und dieser Gedanke zieht sich bis heute kontinuierlich durch mein Werk.
In Ihren Arbeiten zeigen Sie mit dem Mittel der Wiederholung unendliche Möglichkeiten – und doch ist jede Arbeit einzigartig in Material, Farbe oder Größe. Arbeiten Sie streng nach Konzept oder eher aus dem Bauch heraus?
Streng nach Konzept – ich bezeichne mich auch als Konzeptkünstler, nicht als Minimalkünstler. Das Prinzip des Wiederholens ist ein Ansatz, den ich von Anfang an in meiner Arist beit thematisiere. Mit der Repetition, mit dem Beharren auf einem Thema setze ich auch bewusst einen ruhigen Gegenpol zu der sich immer schneller bewegenden Zeit mit ihren vielen unwichtigen Bildern in den sozialen Medien. Und durch die Wiederholung bringe ich das Thema immer wieder neu zur Diskussion.
Verwenden Sie für Ihre Entwürfe den Computer oder arbeiten Sie noch analog?
Ich arbeite immer analog. Als Bildhauer muss ich meine Ideen selber von Hand realisieren, erst als Collage, dann als Modell. Ich muss meine Skizzen dreidimensional vor mir haben, damit ich besser überprüfen kann, ob sie auch funktionieren. Etwas am Computer zu entwickeln, finde ich zu platt. Das wirkt immer zu grafisch, zu konstruiert. Für mich die direkte Umsetzung meines Raumgefühls in die Arbeit enorm wichtig, sie muss spürbar sein.
Setzen Sie Ihre Ideen am Ende selber um oder machen das inzwischen Mitarbeiter oder Maschinen für Sie?
Jeder Künstler, der heute international arbeitet, hat ein Team. Anders wäre das gar nicht zu bewältigen. Ich habe einen inneren Zirkel mit fünf Leuten und einen äußeren mit etwa zehn Mitarbeitern. Der äußere Zirkel hilft mir, meine Arbeiten zu realisieren. Das sind vor allem Fachleute, die besser als ich lackieren oder schweißen. Der innere Kreis dagegen organisiert die Termine, die ganze Logistik. So wie ein Architekt arbeitet – der hat ja auch Maurer, Zimmerleute, die dann seine Ideen umsetzen –, so arbeite ich mit meinem Team zusammen bis zur Realisierung der einzelnen Objekte.
Die Hochglanzoberfläche Ihrer Arbeiten haben etwas Displayhaftes, sie erinnern an Bilder auf den Smartphones. Ist das so gewollt?
Ja, es geht mir darum, meinen Arbeiten eine Oberfläche zu verleihen, die keine persönliche Handschrift zeigt. Ich sehe meine Werke auch als Interpretationsfläche für den Betrachter. Ich bezeichne meine Arbeiten sogar als Flatscreen. Der Hochglanz hat sich allerdings erst mit der Zeit über die Lacktechniken entwickelt. Mit dem Glanz entsteht zugleich der Spiegeleffekt, in dem sich der gesamte Raum, aber auch der Betrachter darin spiegelt. Gleichzeitig setze ich immer wieder matte Oberflächen ein, die dann mit den glänzenden Oberflächen kontrastieren. Dadurch entstehen große Räumlichkeiten oder Aspekte zu vorne und hinten wie in der klassischen Malerei.
Die neuen „Set“-Wandobjekte erinnern an Josef Albers. War dieser Künstler für Sie in diesem Fall eine Inspirationsquelle?
Albers direkt jetzt nicht. Es gibt allerdings verschiedene künstlerische Strömungen, die mich inspiriert und beeinflusst haben. Da wäre zum einen die Neo-Geo-Kunst, zum anderen die Schweizer Konkrete Kunst, aber vor allem die Westcoast-Kunst der 1960er-Jahre in den USA, wo es extrem um Oberfläche, um Licht, um Perfektion geht. Die „Set“-Serie zeichnet sich übrigens dadurch aus, dass es keine echte Öffnung zum Raum gibt, sondern nur eine über ihre lackierten Oberflächen simulierte.
Mit Ihren „Verstärkern“haben Sie sich erstmals ins Dreidimensionale gewagt. Warum? Wie kam es dazu?
Obwohl ich Bildhauer bin, gab es von mir bislang nie eine Skulptur im Raum. Alle meine Objekte waren wandbezogen. Das lag daran, dass ich in der Kunstakademie in Stuttgart eine sehr große Wand hatte, aber wenig Raum. So war ich von Anfang an gezwungen, mit meinen Ideen an die Wand zu gehen. Im Laufe der letzten 20 Jahre habe ich immer wieder versucht, eine Skulptur für den Raum zu schaffen, aber es ist mir nie gelungen. Ich hatte das Gefühl, es war alles schon gemacht. Bis ich dann diese grundsätzliche Idee hatte: Was ist Skulptur? Skulptur ist Raum, ist Höhe, Breite, Tiefe. Das war dann der auslösende Faktor für die neuen Skulpturen. Sie bestehen aus einer Linie nach oben, einer Linie nach vorn und einer Linie zur Seite. Es gibt diese Skulpturen inzwischen in vielen Variationen, aber das Modul ist immer dasselbe.
Warum heißen sie „Verstärker“?
Dahinter steckt der Gedanke, eine Idee im Raum zu verankern, die Idee von Skulptur zu verstärken.
Dieses Jahr werden 100 Jahre Bauhaus gefeiert. Mit Ihren schlichten, geometrischen Formen sind Sie nah am Kunstverständnis dieser Schule. Verstehen Sie diese Ausstellung als eine Hommage an das Bauhaus?
Nein.
Sie leben seit 20 Jahren in Berlin, stellen aber immer wieder in Oberschwaben aus. Weshalb?
Der Bezug zu meiner Heimat Oberschwaben ist mir sehr wichtig. Es gibt dort inzwischen sehr viele Sammler, die mein Werk über die Jahre verfolgen und intensiv sammeln. Viele von ihnen sind Freunde geworden. Ich sehe mich darüber hinaus mit meinen Arbeiten als eine Art kultureller Botschafter Oberschwabens in der Welt.