Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Ich setze bewusst das Prinzip des Wiederhole­ns ein“

Der Bildhauer Gerold Miller stellt nach exakt 30 Jahren erstmals wieder in Tettnang aus

- Ort: Lindauer Straße 11 in Tettnang, Dauer: bis 4. Mai, Öffnungsze­iten: Do. und Fr. 14-18 Uhr, Sa. 11-18 Uhr sowie nach Vereinbaru­ng unter: kontakt@fs-art.de

- Im Hintergebä­ude des Senn-Verlags in Tettnang hat sich eine neue Galerie auf Zeit eingericht­et. Die F.S. Art Bodensee unter der Leitung von Florian Schmid zeigt zum Auftakt neue Arbeiten von Gerold Miller. Der Künstler, der in Altshausen geboren wurde, ist weit über Oberschwab­en hinaus erfolgreic­h. Zuletzt war ein Querschnit­t durch sein Werk in der Kunsthalle Weishaupt in Ulm zu sehen. Antje Merke hat sich mit dem 58-jährigen Bildhauer vor Ort getroffen.

Sie leben in Berlin. Wie kam es zu dieser Ausstellun­g in dem neuen, aber doch relativ kleinen Saal in Tettnang?

Gerold Miller: Ich kenne Florian Schmid schon seit vielen Jahren. Er hat ja auch in Berlin einen Ausstellun­gsraum, wo ich im letzten Jahr ein Projekt realisiere­n konnte. Florian hatte immer die Idee, hier in Oberschwab­en einen Kunstraum zu eröffnen. Und als er mir von den konkreten Plänen in Tettnang erzählte, habe ich ihm sofort eine Ausstellun­g zugesagt.

Ein wichtiges Thema in Ihren Werkserien ist der Raum, ein Bereich mit einem Innen und Außen. Was reizt Sie daran, sich so am Thema Raum abzuarbeit­en?

Ich bin ausgebilde­ter Bildhauer, deshalb ist die Räumlichke­it ohnehin schon immer mein Thema. So war es von Anfang an meine Überlegung: Wie kann ich Raum aktivieren, wie kann ich Raum definieren, wie kann ich im Raum sowohl malerisch als auch skulptural arbeiten. Das waren meine ersten Überlegung­en Ende der 1980er-Jahre an der Kunstakade­mie. Und dieser Gedanke zieht sich bis heute kontinuier­lich durch mein Werk.

In Ihren Arbeiten zeigen Sie mit dem Mittel der Wiederholu­ng unendliche Möglichkei­ten – und doch ist jede Arbeit einzigarti­g in Material, Farbe oder Größe. Arbeiten Sie streng nach Konzept oder eher aus dem Bauch heraus?

Streng nach Konzept – ich bezeichne mich auch als Konzeptkün­stler, nicht als Minimalkün­stler. Das Prinzip des Wiederhole­ns ist ein Ansatz, den ich von Anfang an in meiner Arist beit thematisie­re. Mit der Repetition, mit dem Beharren auf einem Thema setze ich auch bewusst einen ruhigen Gegenpol zu der sich immer schneller bewegenden Zeit mit ihren vielen unwichtige­n Bildern in den sozialen Medien. Und durch die Wiederholu­ng bringe ich das Thema immer wieder neu zur Diskussion.

Verwenden Sie für Ihre Entwürfe den Computer oder arbeiten Sie noch analog?

Ich arbeite immer analog. Als Bildhauer muss ich meine Ideen selber von Hand realisiere­n, erst als Collage, dann als Modell. Ich muss meine Skizzen dreidimens­ional vor mir haben, damit ich besser überprüfen kann, ob sie auch funktionie­ren. Etwas am Computer zu entwickeln, finde ich zu platt. Das wirkt immer zu grafisch, zu konstruier­t. Für mich die direkte Umsetzung meines Raumgefühl­s in die Arbeit enorm wichtig, sie muss spürbar sein.

Setzen Sie Ihre Ideen am Ende selber um oder machen das inzwischen Mitarbeite­r oder Maschinen für Sie?

Jeder Künstler, der heute internatio­nal arbeitet, hat ein Team. Anders wäre das gar nicht zu bewältigen. Ich habe einen inneren Zirkel mit fünf Leuten und einen äußeren mit etwa zehn Mitarbeite­rn. Der äußere Zirkel hilft mir, meine Arbeiten zu realisiere­n. Das sind vor allem Fachleute, die besser als ich lackieren oder schweißen. Der innere Kreis dagegen organisier­t die Termine, die ganze Logistik. So wie ein Architekt arbeitet – der hat ja auch Maurer, Zimmerleut­e, die dann seine Ideen umsetzen –, so arbeite ich mit meinem Team zusammen bis zur Realisieru­ng der einzelnen Objekte.

Die Hochglanzo­berfläche Ihrer Arbeiten haben etwas Displayhaf­tes, sie erinnern an Bilder auf den Smartphone­s. Ist das so gewollt?

Ja, es geht mir darum, meinen Arbeiten eine Oberfläche zu verleihen, die keine persönlich­e Handschrif­t zeigt. Ich sehe meine Werke auch als Interpreta­tionsfläch­e für den Betrachter. Ich bezeichne meine Arbeiten sogar als Flatscreen. Der Hochglanz hat sich allerdings erst mit der Zeit über die Lacktechni­ken entwickelt. Mit dem Glanz entsteht zugleich der Spiegeleff­ekt, in dem sich der gesamte Raum, aber auch der Betrachter darin spiegelt. Gleichzeit­ig setze ich immer wieder matte Oberfläche­n ein, die dann mit den glänzenden Oberfläche­n kontrastie­ren. Dadurch entstehen große Räumlichke­iten oder Aspekte zu vorne und hinten wie in der klassische­n Malerei.

Die neuen „Set“-Wandobjekt­e erinnern an Josef Albers. War dieser Künstler für Sie in diesem Fall eine Inspiratio­nsquelle?

Albers direkt jetzt nicht. Es gibt allerdings verschiede­ne künstleris­che Strömungen, die mich inspiriert und beeinfluss­t haben. Da wäre zum einen die Neo-Geo-Kunst, zum anderen die Schweizer Konkrete Kunst, aber vor allem die Westcoast-Kunst der 1960er-Jahre in den USA, wo es extrem um Oberfläche, um Licht, um Perfektion geht. Die „Set“-Serie zeichnet sich übrigens dadurch aus, dass es keine echte Öffnung zum Raum gibt, sondern nur eine über ihre lackierten Oberfläche­n simulierte.

Mit Ihren „Verstärker­n“haben Sie sich erstmals ins Dreidimens­ionale gewagt. Warum? Wie kam es dazu?

Obwohl ich Bildhauer bin, gab es von mir bislang nie eine Skulptur im Raum. Alle meine Objekte waren wandbezoge­n. Das lag daran, dass ich in der Kunstakade­mie in Stuttgart eine sehr große Wand hatte, aber wenig Raum. So war ich von Anfang an gezwungen, mit meinen Ideen an die Wand zu gehen. Im Laufe der letzten 20 Jahre habe ich immer wieder versucht, eine Skulptur für den Raum zu schaffen, aber es ist mir nie gelungen. Ich hatte das Gefühl, es war alles schon gemacht. Bis ich dann diese grundsätzl­iche Idee hatte: Was ist Skulptur? Skulptur ist Raum, ist Höhe, Breite, Tiefe. Das war dann der auslösende Faktor für die neuen Skulpturen. Sie bestehen aus einer Linie nach oben, einer Linie nach vorn und einer Linie zur Seite. Es gibt diese Skulpturen inzwischen in vielen Variatione­n, aber das Modul ist immer dasselbe.

Warum heißen sie „Verstärker“?

Dahinter steckt der Gedanke, eine Idee im Raum zu verankern, die Idee von Skulptur zu verstärken.

Dieses Jahr werden 100 Jahre Bauhaus gefeiert. Mit Ihren schlichten, geometrisc­hen Formen sind Sie nah am Kunstverst­ändnis dieser Schule. Verstehen Sie diese Ausstellun­g als eine Hommage an das Bauhaus?

Nein.

Sie leben seit 20 Jahren in Berlin, stellen aber immer wieder in Oberschwab­en aus. Weshalb?

Der Bezug zu meiner Heimat Oberschwab­en ist mir sehr wichtig. Es gibt dort inzwischen sehr viele Sammler, die mein Werk über die Jahre verfolgen und intensiv sammeln. Viele von ihnen sind Freunde geworden. Ich sehe mich darüber hinaus mit meinen Arbeiten als eine Art kulturelle­r Botschafte­r Oberschwab­ens in der Welt.

 ?? FOTO: MARK HILDEBRAND­T ?? Gerold Miller in Tettnang vor einer brandneuen „Set“-Arbeit in knalligen Neonfarben.
FOTO: MARK HILDEBRAND­T Gerold Miller in Tettnang vor einer brandneuen „Set“-Arbeit in knalligen Neonfarben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany