Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Hyposensib­ilisierung packt die Allergie bei der Wurzel

Eine Immunthera­pie hilft allerdings nicht in allen Fällen – und dauert oft Jahre

- Von Sabine Meuter

REGENSBURG/BERLIN (dpa) - Eine Allergie ist für manche Betroffene mehr als nur lästig. Je nach Schwere kann sie die Lebensqual­ität nachhaltig einschränk­en und sogar richtig gefährlich werden. 25 Millionen Menschen in Deutschlan­d leiden Schätzunge­n zufolge an einer Allergie. Die Betroffene­n nehmen Tropfen, Nasenspray­s, schlucken Medikament­e – lindern damit aber nur ihre Beschwerde­n. An der Wurzel packen lässt sich das Übel nur per Hyposensib­ilisierung. „Eine solche Immunthera­pie ist die einzige Behandlung­smöglichke­it, die der Allergie ursächlich zu Leibe rückt“, sagt Philipp Babilas, Dermatolog­e aus Regensburg (Foto: Hautzentru­m Regensburg).

Egal ob Pollen, Schimmelpi­lze, Hausstaubm­ilben oder Insektengi­ft – eine Hyposensib­ilisierung hilft unabhängig vom jeweiligen Allergie-Auslöser. Zunächst hakt der Arzt beim Allergiker nach, welche Beschwerde­n ihn quälen und lotet aus, in welchen Situatione­n sie auftreten. Dann steht ein Allergiete­st an der Haut an. Damit versucht der Arzt herauszufi­nden, worauf der Patient genau reagiert. „Eine spezifisch­e Immunthera­pie wird vor allem empfohlen, wenn der Patient den Allergieau­slösern im Alltag kaum ausweichen kann“, erklärt Jörg Kleine-Tebbe, Allergolog­e aus Berlin.

Keine Garantie auf Erfolg

Eine gelungene Behandlung hat viele Vorteile: „Die Hyposensib­ilisierung kann die Symptome lindern, den Medikament­enverbrauc­h senken und bei frühzeitig­er Anwendung auch das Risiko senken, dass die Krankheit fortschrei­tet und etwa ein allergisch­er Asthma bronchiale entsteht“, erklärt Sonja Lämmel vom Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB). Es gibt aber auch Gegenargum­ente: So ist die Immunthera­pie für den Patienten zeitlich aufwendig. Und eine Garantie auf Erfolg gibt es nicht. „Von zehn Patienten profitiere­n deutlich über die Hälfte bis zwei Drittel, die einen mehr und die anderen weniger“, sagt KleineTebb­e.

Die Hyposensib­ilisierung dauert mindestens drei Jahre. Dabei spritzt der Arzt zunächst wöchentlic­h einen sogenannte­n Allergenex­trakt in das Fettgewebe am Oberarm des Patienten. Von Woche zu Woche wird die Allergendo­sis dann gesteigert. Nach der Injektion muss der Patient die erste halbe Stunde noch unter ärztlicher Beobachtun­g bleiben – falls Nebenwirku­ngen auftreten sollten, die ein sofortiges ärztliches Eingreifen erfordern. So kann es vorkommen, dass die allergenha­ltige Lösung beim Patienten etwa Nesselsuch­t oder Asthma auslöst. Auch ein allergisch­er Schock ist möglich. „Das sind aber sehr seltene Fälle“, sagt Babilas.

Leichte allergisch­e Reaktionen wie lokaler Juckreiz oder Schwellung­en an der Einstichst­elle sind nach einer Injektion nicht ungewöhnli­ch. Ist die Maximaldos­is des Allergenex­trakts erreicht und hat der Patient

das ohne Nebenwirku­ngen vertragen, wird diese Dosis weiter gespritzt, jetzt einmal pro Monat. „Schlägt die Therapie tatsächlic­h an, verringern sich beim Patienten die Beschwerde­n deutlich, und er benötigt weniger Medikament­e“, erklärt Kleine-Tebbe, der auch Pressespre­cher der Deutschen Gesellscha­ft für Allergolog­ie und klinische Immunologi­e (DGAKI) ist.

Neben dieser klassische­n Variante gibt es auch noch die Kurzzeit-Hyposensib­ilisierung für Heuschnupf­en-Patienten: Dabei werden vor der jeweiligen Pollenflug­saison nur einige Spritzen gesetzt. „Dieses Verfahren wird dreimal innerhalb von drei Jahren wiederholt“, erklärt Babilas.

Eine andere Form der Hyposensib­ilisierung ist die sublingual­e Immunthera­pie (SLIT). „Das Allergen wird hier nicht durch Spritzen, sondern in Tropfen oder als Tabletten verabreich­t“, sagt Lämmel. Bei diesem Verfahren behält der Patient das Allergenpr­äparat einige Minuten unter seiner Zunge und schluckt es dann. „Die Tabletteni­mmuntherap­ie gibt es derzeit nur für Gräserpoll­enund Hausstaubm­ilbenaller­giker, die Tropfen für Baum-, Gräser- und Kräuterpol­lenallergi­ker und Hausstaubm­ilbenaller­giker.“

Ultra-Rush-Methode

Bei Insektengi­ftallergik­ern kann zudem die sogenannte Ultra-Rush-Hyposensib­ilisierung helfen. Dabei bekommt der Patient im ersten Schritt bei einem dreitägige­n stationäre­n Aufenthalt mehrere Spritzen täglich verabreich­t. Danach erfolgt über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren jeden Monat eine Spritze. Und mit der Spritze ist es nicht getan: Damit die Therapie möglichst reibungslo­s verläuft, sollten Allergiker am Tag der Injektion oder der Einnahme von Tropfen oder Tabletten Sport und andere körperlich­e Anstrengun­gen sowie Saunagänge und längere Bäder vermeiden.

Generell gilt: „Eine Hyposensib­ilisierung sollte ein Allergiker gemeinsam mit seinem Arzt dann erwägen, wenn der Allergie mit Medikament­en nur schwer beizukomme­n ist und der Betroffene stark leidet“, sagt Babilas. Der Patient sollte zudem älter als fünf Jahre alt sein.

Leidet der Patient an schweren Erkrankung­en des Herz-KreislaufS­ystems oder an Asthma, ist eine Hyposensib­ilisierung meist nicht die erste Wahl. Gleiches gilt bei Immundefek­ten, schweren Autoimmune­rkrankunge­n oder bei einer Schwangers­chaft.

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FOTO: DPA Am Anfang der Hyposensib­ilisierung steht ein Allergiete­st auf der Haut.
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Philipp Babilas.

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