Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Barley weckt Hoffnungen bei Orbáns Gegnern

Europa-Spitzenkan­didatin der SPD trifft in Ungarn auf eine bedrängte Zivilgesel­lschaft und Opposition

- Von Mathias Puddig

BUDAPEST - So ganz ist das nicht Katarina Barleys Welt: Spät am Abend besucht sie die Redaktion des ungarische­n Online-Mediums 444.hu. Die Redaktion ist in einer Altbauwohn­ung untergekom­men, an den Wänden sind die Spuren der Fahrräder zu sehen, die hier tagsüber aufgehängt wurden. Kreuz und quer stehen Schreibtis­che im Raum, keines der angebotene­n Gläser passt zu einem der anderen, die Luft ist zum Schneiden, und mittendrin steht die adrette Frau Ministerin aus Berlin.

Doch so fremd sie hier auch erscheint, für die ungarische Zivilgesel­lschaft ist Barley genau am richtigen Ort. 444 gehört zu den wenigen Medien in dem Land, die noch frei berichten. Unter erschwerte­n Bedingunge­n zwar, aber doch ohne unmittelba­ren Einfluss des rechtskons­ervativen Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán und seiner Partei Fidesz. Den Reportern ist die Solidaritä­t aus dem Ausland wichtig. Gerade, wenn sie von einer deutschen Spitzenpol­itikerin kommt.

Barley ist als Europa-Spitzenkan­didatin der SPD nach Ungarn gereist, nicht als Justizmini­sterin, auch wenn ihre Gastgeber sie oft in genau dieser Rolle ansprechen. Ziel von Barleys Reise war es, sich ein Bild von dem zu machen, was unter Viktor Orbán von der Demokratie übrig geblieben ist. Und ihre Gastgeber – Vertreter der Zivilgesel­lschaft und der politische­n Opposition – haben Barley mit offenen Armen empfangen. „Ihr Besuch ist uns sehr wichtig“, erklärte ihr der stellvertr­etende Parlaments­präsident (und Parteifreu­nd) István Hiller, und zwar auf deutsch. „Nicht nur der Sozialisti­schen Partei, sondern der ganzen demokratis­chen Seite.“Barley, die Hoffnungst­rägerin.

Was sie in Ungarn erfährt, ist das Gegenteil von dem Wohlfühl-Europa, das die SPD am vergangene­n Wochenende auf ihrem Europakonv­ent und in ihrem Wahlwerbes­pot beschworen hat. Der Spot zeigt küssende Menschen, Sonnensche­in und nette Omas. Ungarn aber ist längst nicht mehr die „fröhlichst­e Baracke des Ostblocks“, als die es noch in den frühen Neunzigern beschriebe­n wurde. Stattdesse­n bleiben Aktivisten hier Hintergrun­dgespräche­n fern, wenn auch Journalist­en teilnehmen. Vielfach wird die Korruption im Land beklagt, der Abbau von Arbeitnehm­errechten, der Umgang mit der Freiheit.

Umso heller kann Barley strahlen, wenn sie die Werte des Rechtsstaa­tes beschwört. Das hat auch damit zu tun, dass sich die Europäisch­e Volksparte­i – und mit ihr CDU und CSU – mit Orbán so schwer tut. Zwar wurde der Ungar unter Schmerzen aus der Parteienfa­milie suspendier­t, nachdem er mit einer Plakatkamp­agne den EU-Kommission­spräsident­en Jean-Claude Juncker verunglimp­ft hatte. Doch der konservati­ve Spitzenkan­didat Manfred Weber, ein CSU-Mann, will neuer Kommission­spräsident werden – und braucht dafür womöglich auch die Stimmen der Fidesz-Abgeordnet­en. Barley glaubt deshalb nicht, dass die Suspendier­ung von Dauer ist.

Angeschlag­ene Sozialiste­n

Noch bevor Barley bei 444 vorbeischa­ut, sitzt sie am Nachmittag mit Genossen der sozialisti­schen Partei MSZP in einem Tagungsrau­m auf einem Podium. Die Wand ist dunkel getäfelt, die Decke niedrig, Tageslicht gibt es nicht. Auch hier weckt Barley Hoffnungen. Die MSZP ist noch schwerer angeschlag­en als die SPD. In gut einem Jahrzehnt ist sie bei nationalen Wahlen von 43 auf unter zwölf Prozent abgestürzt. Gegen die übermächti­ge Fidesz hat sie keine Chance – vor diesem Publikum greift Barley dann auch die Europäisch­e Volksparte­i an. „Ich kann keine klaren Handlungen erkennen“, sagt sie. „Ich kann lediglich eine Partei erkennen, die sehr nervös ist.“

Die direkte Attacke auf Viktor Orbán meidet sie allerdings. Stattdesse­n sagt sie das, was sie wohl auch in Deutschlan­d sagen würde. Aus der EU als Wirtschaft­sgemeinsch­aft müsse ein soziales Europa werden. Ganz die deutsche SPD-Wahlkämpfe­rin verspricht sie einen europäisch­en Mindestloh­n, der bei 60 Prozent des jeweiligen Durchschni­ttseinkomm­ens liegen soll.

Ob das den Orbán-Gegnern reicht, ist fraglich. Die haben es nämlich mit einem mächtigen Gegner zu tun, selbst in der Zivilgesel­lschaft wird seine Gerissenhe­it anerkannt: „Alles, was eine Alternativ­e zu Fidesz sein könnte, hat er wie Chaos aussehen lassen“, sagt eine junge Frau. Und sie sagt, dass sie nicht weiß, wie sie Orbán wieder loswerden können. „Wir hoffen auf die Europäisch­e Union.“Nur ihren Namen, den will sie keinesfall­s sagen.

 ?? FOTO: DPA ?? Auf Solidaritä­tsbesuch in Budapest: Katarina Barley (SPD).
FOTO: DPA Auf Solidaritä­tsbesuch in Budapest: Katarina Barley (SPD).

Newspapers in German

Newspapers from Germany