Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Erbärmlicher Asyl-Egoismus
Die Aussetzung der EU-Mission Sophia wird grausame Folgen haben. Dass der Friedensnobelpreisträger EU sich faktisch abmeldet aus der Seenotrettung im Mittelmeer wird bedeuten, dass noch mehr Menschen als bisher vor den Toren Europas auf eine besonders leidvolle Art sterben: durch Ertrinken. Es ist das fürchterlichste Symptom einer europäischen Krankheit. Diese Krankheit heißt erbärmlicher Asyl-Egoismus.
Italien ist davon befallen, seit Monaten in verschärfter Form. Die Visegrad-Staaten um Ungarn und Polen sowieso. Auch Deutschland leidet seit zwei Jahrzehnten an erbärmlichem Asyl-Egoismus – mal mehr, mal weniger intensiv. 2011, als Italien zum x-ten Mal andere EU-Staaten um einen festen EU-weiten Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge bat, weil immer mehr Migranten übers Mittelmeer kamen, sagte der damalige Innenminister Hans Peter Friedrich: „Italien muss sein Flüchtlingsproblem selbst regeln.“Deutschland pochte auf die atemberaubend ungerechte Dublin-III-Verordnung, nach der in aller Regel das Land für einen Asylbewerber zuständig ist, in dem dieser erstmals die EU betritt.
Freilich, es gab die Monate ab dem Herbst 2015, in denen man nichts gemerkt hat vom deutschen Asyl-Egoismus. Die Monate, in denen Hunderttausende aus Bürgerkriegs- und Elendsregionen ins Land gekommen sind. Monate, die heute hierzulande gemeinhin „Flüchtlingskrise“genannt werden. In Wahrheit war das nur das Zeitfenster, in dem auch in Deutschland eine Krise sichtbar wurde, die am Rande Europas seit zwei Jahrzehnten herrscht: in den Flüchtlingscamps von Lampedusa und Lesbos, am Stacheldraht von Ceuta und Melilla, am Boden des Mittelmeers, wo Leichen Tausender Ertrunkener verrotten.
Ein europäisches Asylsystem muss her, mit festen, objektiv errechneten Verteilungsquoten für Flüchtlinge – ähnlich dem Königsteiner Schlüssel, nach dem Asylbewerber zwischen deutschen Bundesländern verteilt werden. Der Asyl-Egoismus, diese tausendfach tödliche Schande für Europa, muss endlich aufhören.