Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Initiative will Ganztagsschule von Bürokratie befreien
Kommunen und Vereine entwickeln Konzept zur Entlastung der Schulleiter bei Bürokratie
STUTTGART (kab) - Der Verwaltungsaufwand des Ganztagsbetriebs an Grundschulen bringt den weiteren Ausbau ins Stocken. Das bestätigen Schulleiter und Kommunen ebenso wie Vereine, Kirchen und andere Organisationen, die Schulstunden im Ganztag mit eigenen Angeboten füllen. Ein breites Bündnis hat Leitlinien entwickelt, um den Verwaltungsaufwand für die Rektoren zu senken. Das Konzept sieht unter anderem einen landesweiten Bezahlungsschlüssel für das außerschulische Personal vor. Bisher muss darüber jeder Schulleiter mit den einzelnen Partnern verhandeln.
STUTTGART - Der Ausbau des Ganztagsbetriebs an Grundschulen stockt. 70 Prozent der 2500 Grundschulen im Land sollten bis 2023 umstellen – dieses Ziel hatte die grünrote Vorgängerregierung bei der Einführung zum Schuljahr 2014/2015 ausgegeben. Mit aktuell weniger als 20 Prozent ist dieses Ziel in weiter Ferne. Ein Grund: Viele Eltern wünschen sich eine flexiblere Betreuung. Ein anderer: Die Organisation des Ganztags ist für viele Schulleiter ein Mammut-Aufwand, den sie scheuen – und deshalb nicht umstellen wollen. Ein Bündnis aus Kirchen, Verbänden und Kommunen hat ein Konzept entwickelt, um den Ganztag einfacher und strukturierter zu machen. Passiert ist seitdem nichts.
Manche Eltern, gerade auf dem Land, haben es schwer, eine Ganztagsgrundschule für ihr Kind zu finden. Etliche Schulleiter schrecken vor dem bürokratischen Aufwand zurück – wie groß dieser ist, wissen sie von ihren Kollegen, die umgestellt haben. Diese haben ihrem Unmut unter anderem bei den beiden Ganztagsgipfeln Luft gemacht, zu denen Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) Ende 2016 und Mitte 2017 eingeladen hatte.
Die Probleme: Die Schulleiter können Lehrerstunden in Geld umwandeln, um damit außerschulische Partner in den Ganztagsunterricht einzubinden – also Sportvereine, Musikschulen, Kirchen, oder auch Jugendbildungsorganisationen. Die Rektoren müssen alles selbst organisieren, jedes Jahr aufs Neue Verträge mit den Partnern abschließen, Stunden planen. Extra Zeit für diesen Aufwand bekommen sie kaum.
Einheitliche Hilfe fehlt
„Das ist ein enormer Aufwand“, sagt Herbert Weiß. Er leitet die Grundschule Weststadt in Ravensburg, die den Ganztag anbietet. Zum Glück, sagt er, bekommt er viel Unterstützung aus dem Rathaus, sonst wäre das kaum zu leisten. Dieses Glück hätten aber nicht alle. „Die Unterstützungssysteme sind im Land extrem unterschiedlich“, sagt Weiß. „Es braucht dringend mehr Einheitlichkeit und mehr Hilfe für die Schulen bei der Verwaltung.“
Norbert Brugger, Bildungsdezernent beim Städtetag, kennt die Nöte der Rektoren. „Schulleiter finden es zum Teil unmöglich, die Ganztagsschule zu managen. Es gäbe fast keine Ganztagsschule, ohne ein Engagement der Städte – obwohl diese als Schulträger gesetzlich keine Koordinierung übernehmen müssen, tun sie es zum Teil auf eigene Kosten.“
Das Kultusministerium hat zum aktuellen Schuljahr in fünf Städten Pilotprojekte gestartet. Die Kommunen haben mit eigenem und mit Landesgeld Koordinierungsstellen geschaffen. Diese sollen die Bürokratie rund um Ganztagsbetrieb und Betreuung der Schüler abwickeln und die Schulleitungen entlasten. Ein Fazit dazu steht aus.
Für Brugger vom Städtetag reicht das nicht. Deshalb hat er mit acht außerschulischen Partnern ein Konzept entwickelt, das Modell „verlässliche Kooperation“. „Wir wollen mit vielen Bausteinen versuchen, die Komplexität zu reduzieren“, erklärt er. Die Arbeitsgruppe hat Leitlinien erstellt, wieviel es kostet, wenn außerschulische Partner Schulstunden übernehmen. Wie hoch die Kosten sind, soll davon abhängen, wie gut das Personal qualifiziert ist. Und davon, ob es sich um ein Betreuungsoder ein Bildungsangebot handelt. Verträge sollen für drei Jahre geschlossen werden – das bringe Planbarkeit. „Es ist eine Verständigung auf eine gemeinsame Basis, damit beide Seiten wissen, zu welchen Konditionen die Vereine, Kirchen und Organisationen Arbeit in den Schulen übernehmen“, so Brugger.
Wunsch nach Struktur
Auch der Gemeindetag, der die kleineren Kommunen im Land vertritt, hat ein solches Papier mit denselben Partnern entwickelt. „Das Konzept kann dazu dienen, verbindliche Strukturen zu schaffen“, sagt der Erste Beigeordnete Steffen Jäger. „Es wird ein maßgeblicher Erfolgsfaktor für den schnelleren Ausbau des Ganztags sein.“
„Es muss eine Vereinfachung bei den Verträgen geben“, sagt Rolf Schmid. Er ist nicht nur im Präsidium bei Landessportverband und Württembergischen Landessportbund, sondern hat 20 Jahre die Braith-Grundschule in Biberach geleitet. „Wenn eine Schule einen außerschulischen Partner einkauft, will sie wissen: Wie viel kostet das?“Bisher regle das jede Schule mit jedem Sportverein selbst. Beim Sport sei die Bandbreite 25 bis 48 Euro.
„Wir sind uns mit Städtetag und Gemeindetag einig“, sagt Oliver Pum vom Evangelischen Jugendwerk Württemberg. „Jetzt hängt es an der Finanzierung.“Schule dürfe kein geschlossenes System sein, sondern müsse ins Gemeinwesen hineinwirken. Der bürokratische Aufwand für die Schulen müsse dafür sinken. „Vereinfachungen helfen auch uns, wenn manche Dinge nicht mehr in Einzelverträgen geregelt werden müssen, sondern auf Landesebene.“
Seit vergangenem Juni liegt das Konzept der Kultusministerin vor – eine Aufforderung, dies auch umzusetzen, sehe Ministerin Eisenmann nicht, erklärt ein Sprecher. Auch mehr Geld für diesen Bereich werde es nicht geben. Laut Städtetag wäre dies jedoch nötig. „Ich freue mich, wenn sich Städtetag und außerschulische Partner für eine gute Ganztagsbetreuung einsetzen“, sagt Eisenmann zwar. Ihr Sprecher erklärt jedoch: „Wesentliche Vereinfachungseffekte für die Schulleitungen sind von dem Modell nicht zu erwarten.“