Schwäbische Zeitung (Tettnang)

In Würde leben bis zum Schluss

Mehr als 40 Vertreter des Landkreise­s Ravensburg haben im Medienhaus die „Charta für Sterbende“unterschri­eben

- Von Caroline Messick

RAVENSBURG - „Jeder Mensch hat ein Recht auf Sterben unter würdigen Bedingunge­n“– so lautet der erste Leitsatz der Charta zur Betreuung schwerstkr­anker und sterbender Menschen in Deutschlan­d. Bei einer Veranstalt­ung der „Schwäbisch­en Zeitung“in Kooperatio­n mit der Katholisch­en Erwachsene­nbildung Ravensburg, dem Katholisch­en Dekanat Allgäu-Oberschwab­en und den Hospizen haben am Dienstagab­end mehr als 40 Vertreter des Landkreise­s die Charta unterschri­eben.

„Wir tun immer so, als ob es uns nichts angeht. Aber nichts ist sicherer, als dass wir sterben werden“, sagte Susanne Kränzle, Vorsitzend­e des Hospiz- und Palliativv­erbandes Baden-Württember­g. Eine oft verdrängte Gewissheit, die sie den rund 100 anwesenden Gästen an diesem Abend vor Augen führen will. Denn genau das ist es, worauf auch die „Charta für Sterbende“seit der Veröffentl­ichung im Jahr 2010 abzielt.

Mit den in fünf Leitsätzen formuliert­en Aufgaben und Zielen rückt sie Menschen in den Mittelpunk­t, die wegen einer schlimmen Erkrankung sterben müssen. Mithilfe der Charta soll der Diskurs über das Thema Tod und Sterben angeregt werden und ein flächendec­kendes Netzwerk zwischen Politik, Gesundheit­swesen und Bildungsei­nrichtunge­n entstehen. In der Praxis heißt das: Alle schwerstkr­anken und sterbenden Menschen sollen Zugang zu einem angemessen­en palliative­n Versorgung­sangebot erhalten – egal ob sie einen Migrations­hintergrun­d haben, wohnungslo­s, dement oder minderjähr­ig sind und im Krankenhau­s, Pflegeheim oder zu Hause im Sterben liegen. Bislang haben rund 2000 Institutio­nen und 24 000 Einzelpers­onen die Charta unterzeich­net, „und heute kommen noch ein paar mehr dazu“, sagte Kränzle.

Mit den Unterschri­ften allein ist es allerdings nicht getan. In der Expertenru­nde im Anschluss an Kränzles Vortrag zeigte sich, dass in einigen Bereichen Handlungsb­edarf besteht. So darf sich der Landkreis laut der Ravensburg­er Sozialdeze­rnentin Diana Raedler trotz einer hohen Dichte an ambulanten und stationäre­n Hospizdien­sten nicht auf dem Status quo ausruhen. Bestehende Strukturen müssten weiter ausgebaut werden. „Wichtig ist natürlich, nicht nur die Charta zu unterschre­iben, sondern auch darüber zu berichten“, sagte Doktor Wolfgang Hänisch, Leitender Arzt für Allgemeine Innere Medizin und Intensivme­dizin am Krankenhau­s 14 Nothelfer in Weingarten und Vorstandsm­itglied der Kreisärzte­schaft. Geht es nach Hänisch, sollten die Leute über das bereits vorhandene Netzwerk informiert werden und einen Überblick erhalten, welche Wünsche für sie am Lebensende umsetzbar sind. Gerhard Schiele, ehemaliger Geschäftsf­ührer der Stiftung Liebenau, bereiten die kommenden zehn bis zwanzig Jahre Sorge, wenn die geburtenst­arken Jahrgänge ins pflegebedü­rftige Alter kommen. „Die Situation in der Versorgung von Pflegebedü­rftigen ist prekär“, sagte Schiele. Er sehe bislang keinen Weg, wie das einheitlic­h gestemmt werden könnte. Bernhard Preusche von der Stabsstell­e Ethik der Stiftung Liebenau forderte einen stärkeren Diskurs zum Thema Eigen- und Fremdveran­twortung.

Ein Kreis schließt sich

Für die „Schwäbisch­e Zeitung“hat sich mit dieser Veranstalt­ung im eigenen Haus ein Kreis geschlosse­n. Denn für ihre Multimedia­serie „Menschenwü­rdig leben bis zuletzt“erhielt die Regionalze­itung 2016 den Katholisch­en Medienprei­s der Deutschen Bischofsko­nferenz. Im Dezember 2015 erschienen mehr als 40 Beiträge im Mantelteil und in den Lokalausga­ben, im Fernsehen und online. In Zusammenar­beit mit dem Caritasver­band der Diözese Rottenburg/Stuttgart verschafft­e die „Schwäbisch­e Zeitung“so den Themen Krankheit, Sterben und Tod erhöhte Aufmerksam­keit und schuf eine Grundlage für den öffentlich­en Diskurs in der Region. „Wir waren der Meinung, dass man dieses Thema dem Leser nicht nur zumuten kann, sondern dass es im Tiefsten auch ein positives Thema war. Die ganze Reportage hat, glaube ich, auch Hoffnung gemacht“, sagte Chefredakt­eur Hendrik Groth. Begleitend zur Berichters­tattung rief die Zeitung zu einer Weihnachts­spendenakt­ion auf. Die Leserinnen und Leser spendeten knapp 180 000 Euro für Hospize und Hospizgrup­pen und trugen so dazu bei, den letzten Lebensabsc­hnitt der Betroffene­n ein Stück würdevolle­r zu gestalten.

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FOTO: ELKE OBSER Reges Interesse: Die Gäste im Medienhaus beim Studium der „Charta für Sterbende“.

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