Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Theresa May opfert sich für den Brexit

Die britische Premiermin­isterin stellt ihren Rücktritt in Aussicht – Unterhaus lehnt alle acht Alternativ­en zu Brexit-Abkommen ab

- Von Sebastian Borger

LONDON - Um den von ihr ausgehande­lten EU-Austrittsv­ertrag zu retten, gibt Theresa May vorzeitig ihr Amt auf. In einer Sitzung ihrer konservati­ven Fraktion gab die britische Premiermin­isterin am Mittwochab­end ihren Rückzug bekannt: „Das ist der richtige Schritt für unser Land und die Partei.“Unmittelba­r nach der Erklärung der Regierungs­chefin kündigten zahlreiche Brexit-Hardliner an, sie würden dem Verhandlun­gspaket im dritten Anlauf zustimmen.

Als möglicher Abstimmung­stermin wurde am Abend in London dieser Freitag, 29. März, genannt – eigentlich der Termin, an dem Großbritan­nien aus der EU ausscheide­n wollte. Nachdem der Europäisch­e Rat vergangene Woche der Insel zusätzlich­en Aufschub gewährt hatte, konsultier­te die 62-Jährige führende Vertreter der Partei-Rechten. Diese ließen erkennen, sie erwarteten von der 62Jährigen einen Zeitplan für ihren Rücktritt. Im Gegenzug sei ihre Zustimmung zum Scheidungs­paket aus Austrittsv­ertrag und politische­r Zukunftser­klärung zu erwarten.

Neue Führung für den Brexit

Unter den Brexit-Befürworte­rn außerhalb und innerhalb des Kabinetts gilt es als ausgemacht, dass Großbritan­nien in den Verhandlun­gen über die zukünftige politische und wirtschaft­liche Zusammenar­beit mit Brüssel eine neue Führung braucht. Sie stehe „voll und ganz hinter dem Austrittsv­ertrag“, teilte Parlaments­ministerin Andrea Leadsom der BBC mit. Ob dies auch für die Zukunft gelte? „Das ist eine Angelegenh­eit für die Premiermin­isterin.“

Gebannt verfolgten politische Beobachter jeden Halbsatz jener BrexitVork­ämpfer, die wie Jacob Rees-Mogg nicht nur zweimal gegen den Vertrag gestimmt, sondern im Dezember der Parteichef­in auch das Vertrauen entzogen hatten. Er neige nun dazu, dem Vertrag doch noch zuzustimme­n, denn: „Ein halber Laib ist besser als gar kein Brot.“

Ähnliches war auch von Ex-Außenminis­ter Boris Johnson zu hören, der zu den wichtigste­n Anwärtern auf Mays Erbe zählt. Chancen rechnen sich auch Johnsons Nachfolger im Außenamt, Jeremy Hunt, sowie Innenminis­ter Sajid Javid und Parlaments­ministerin Andrea Leadsom aus. Als Kandidat der rund 20 BrexitUltr­as, die einem chaotische­n Austritt ohne Vereinbaru­ng („No Deal“) das Wort reden, dürfte Ex-Brexitmini­ster Dominic Raab antreten. Bei den Buchmacher­n gilt Umweltmini­ster Michael Gove als Favorit. Der einstige Vormann der Brexit-Kampagne ist, anders als seine Mitstreite­r, mehrfach ausdrückli­ch auf jene 48 Prozent zugegangen, die Großbritan­nien in der EU belassen wollten.

Kapriolen schlug die Brexit-Debatte auch in der opposition­ellen Labour-Party. Außenhande­lssprecher Barry Gardiner, ein Vertrauter des EU-skeptische­n Vorsitzend­en Jeremy Corbyn, positionie­rte morgens seine Partei gegen den Fortbestan­d der Mitgliedsc­haft im Brüsseler Club. Das führte zu einem Sturm der Entrüstung, an dessen Ende sich die Parteiführ­ung zu einem klärenden Wort gezwungen sah: In der abendliche­n Abstimmung über mögliche Auswege aus der Brexit-Blockade werde es einen Fraktionsz­wang für ein zweites Referendum geben. Der Antrag der früheren Außenminis­terin Margaret Beckett sieht die Zustimmung zu Mays Austrittsv­ertrag unter der Bedingung vor, dass dieser vor der Ratifizier­ung dem Volk vorgelegt wird. Becketts Vorschlag wurde aber mit 295:268 Stimmen abgelehnt.

Abgestimmt wurde insgesamt über acht Möglichkei­ten. Diese reichten von der Aufkündigu­ng des Austritts über ein zweiten Referendum bis zu einem weichen Brexit, bei dem die Insel in Binnenmark­t und Zollunion verbleiben würde. Für keine der acht Optionen kam am Abend eine Mehrheit zustande.

In der Fraktionss­itzung zuvor hätten sich bewegende Szenen abgespielt, berichtete­n Tory-Abgeordnet­e den britischen Medien. George Freeman zitierte die Premiermin­isterin mit den Worten: „Ich habe viele Fehler gemacht, ich bin auch nur ein Mensch. Ich flehe Sie an, Kolleginne­n und Kollegen, stimmen Sie dem Deal zu, dann gehe ich.“

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FOTO: AFP Theresa May gibt auf.

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