Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Theresa May opfert sich für den Brexit
Die britische Premierministerin stellt ihren Rücktritt in Aussicht – Unterhaus lehnt alle acht Alternativen zu Brexit-Abkommen ab
LONDON - Um den von ihr ausgehandelten EU-Austrittsvertrag zu retten, gibt Theresa May vorzeitig ihr Amt auf. In einer Sitzung ihrer konservativen Fraktion gab die britische Premierministerin am Mittwochabend ihren Rückzug bekannt: „Das ist der richtige Schritt für unser Land und die Partei.“Unmittelbar nach der Erklärung der Regierungschefin kündigten zahlreiche Brexit-Hardliner an, sie würden dem Verhandlungspaket im dritten Anlauf zustimmen.
Als möglicher Abstimmungstermin wurde am Abend in London dieser Freitag, 29. März, genannt – eigentlich der Termin, an dem Großbritannien aus der EU ausscheiden wollte. Nachdem der Europäische Rat vergangene Woche der Insel zusätzlichen Aufschub gewährt hatte, konsultierte die 62-Jährige führende Vertreter der Partei-Rechten. Diese ließen erkennen, sie erwarteten von der 62Jährigen einen Zeitplan für ihren Rücktritt. Im Gegenzug sei ihre Zustimmung zum Scheidungspaket aus Austrittsvertrag und politischer Zukunftserklärung zu erwarten.
Neue Führung für den Brexit
Unter den Brexit-Befürwortern außerhalb und innerhalb des Kabinetts gilt es als ausgemacht, dass Großbritannien in den Verhandlungen über die zukünftige politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Brüssel eine neue Führung braucht. Sie stehe „voll und ganz hinter dem Austrittsvertrag“, teilte Parlamentsministerin Andrea Leadsom der BBC mit. Ob dies auch für die Zukunft gelte? „Das ist eine Angelegenheit für die Premierministerin.“
Gebannt verfolgten politische Beobachter jeden Halbsatz jener BrexitVorkämpfer, die wie Jacob Rees-Mogg nicht nur zweimal gegen den Vertrag gestimmt, sondern im Dezember der Parteichefin auch das Vertrauen entzogen hatten. Er neige nun dazu, dem Vertrag doch noch zuzustimmen, denn: „Ein halber Laib ist besser als gar kein Brot.“
Ähnliches war auch von Ex-Außenminister Boris Johnson zu hören, der zu den wichtigsten Anwärtern auf Mays Erbe zählt. Chancen rechnen sich auch Johnsons Nachfolger im Außenamt, Jeremy Hunt, sowie Innenminister Sajid Javid und Parlamentsministerin Andrea Leadsom aus. Als Kandidat der rund 20 BrexitUltras, die einem chaotischen Austritt ohne Vereinbarung („No Deal“) das Wort reden, dürfte Ex-Brexitminister Dominic Raab antreten. Bei den Buchmachern gilt Umweltminister Michael Gove als Favorit. Der einstige Vormann der Brexit-Kampagne ist, anders als seine Mitstreiter, mehrfach ausdrücklich auf jene 48 Prozent zugegangen, die Großbritannien in der EU belassen wollten.
Kapriolen schlug die Brexit-Debatte auch in der oppositionellen Labour-Party. Außenhandelssprecher Barry Gardiner, ein Vertrauter des EU-skeptischen Vorsitzenden Jeremy Corbyn, positionierte morgens seine Partei gegen den Fortbestand der Mitgliedschaft im Brüsseler Club. Das führte zu einem Sturm der Entrüstung, an dessen Ende sich die Parteiführung zu einem klärenden Wort gezwungen sah: In der abendlichen Abstimmung über mögliche Auswege aus der Brexit-Blockade werde es einen Fraktionszwang für ein zweites Referendum geben. Der Antrag der früheren Außenministerin Margaret Beckett sieht die Zustimmung zu Mays Austrittsvertrag unter der Bedingung vor, dass dieser vor der Ratifizierung dem Volk vorgelegt wird. Becketts Vorschlag wurde aber mit 295:268 Stimmen abgelehnt.
Abgestimmt wurde insgesamt über acht Möglichkeiten. Diese reichten von der Aufkündigung des Austritts über ein zweiten Referendum bis zu einem weichen Brexit, bei dem die Insel in Binnenmarkt und Zollunion verbleiben würde. Für keine der acht Optionen kam am Abend eine Mehrheit zustande.
In der Fraktionssitzung zuvor hätten sich bewegende Szenen abgespielt, berichteten Tory-Abgeordnete den britischen Medien. George Freeman zitierte die Premierministerin mit den Worten: „Ich habe viele Fehler gemacht, ich bin auch nur ein Mensch. Ich flehe Sie an, Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie dem Deal zu, dann gehe ich.“