Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Nische des guten Gewissens
Warum der Marktanteil ökologischer und sozialverträglicher Textilien so niedrig ist
BERLIN - Diese rostrote Kinderstrickjacke bei Tchibo ist voll öko. Sie trägt das Gots-Siegel für 100 Prozent Biobaumwolle. Auch auf den Erwachsenen-Pyjamas am Ständer nebenan wirbt der Einzelhändler mit dem Hinweis auf umweltfreundliche Stoffe. Die Firma aus Hamburg weiß, dass ökologische und soziale Qualität Verkaufsargumente darstellen. So hat man den Anteil von Biobaumwolle am gesamten Sortiment mittlerweile auf 86 Prozent angehoben.
Ketten wie C&A oder H&M erwecken ebenfalls den Eindruck, nachhaltige Textilien stünden bei ihnen hoch im Kurs. Außerdem haben sich in den besten Lagen der Großstädte hippe Zeitgeistläden wie NudieJeans aus Schweden etabliert. Dort sind die Produkte nicht nur öko, sondern auch noch fair und sozialverträglich. Zusätzlich kann man seine zerschlissene Hose im „Repairshop“abgeben und erhält sie nach einigen Tagen repariert zurück – kostenlos. So sieht Nachhaltigkeit aus.
Anscheinend hat die Textilbranche flächendeckend umgestellt – von konventionellen auf sozialökologische Klamotten. Dieser Eindruck täuscht allerdings komplett. Tatsächlich ist die Bedeutung der Gutes-Gewissen-Produkte für den Gesamtmarkt sehr gering. So bezifferte das Umweltbundesamt den Anteil von Textilien mit dem Gots-Siegel in seiner Untersuchung Grüne Produkte 2017 auf 0,05 Prozent. Rechnet man andere ökologische Qualitätszertifikate hinzu, ist es mehr. Allerdings wird insgesamt nur ein Prozent der Baumwolle weltweit biologisch angebaut und hergestellt. Ähnlich sieht es bei sozialverträglichen Textilien aus. Nur etwa 0,2 Prozent der hierzulande verkauften Stücke kommen aus Fabriken, deren Besitzer beispielsweise vernünftige Löhne, Gewerkschaftsfreiheit und Arbeitsschutz garantieren. Dafür gibt es Gründe.
Der Nachschub fehlt
Während Biobaumwolle oft von kleinen Produzenten geliefert wird, kommt der Löwenanteil des Rohstoffs weltweit von den riesigen Monokulturen landwirtschaftlicher Großbetriebe. Diese beherrschen den Markt. Der Anteil ökologischer Baumwolle lässt sich nicht beliebig steigern. Selbst Firmen, die mehr davon verwenden wollen, geraten an ihre Grenzen. Oft können sie nicht die Mengen kaufen, die sie gerne hätten.
Komplexe Produktionsketten
Vom Feld in Indien bis zum Geschäft in einer bundesdeutschen Innenstadt sind Dutzende oder auch mehr als 100 Firmen in Herstellung, Transport und Vertrieb der Kleidung eingebunden. Für die Textilhändler am Ende der Kette bedeutet es einen erheblichen Aufwand, die zahlreichen Produktionsschritte zu kontrollieren und auf jeder Stufe eine höhere Qualität sicherzustellen. Nicht nur kleine, sondern auch große Unternehmen scheuen diese Mühe. Manches bleibt, wie es schon immer gemacht wurde.
Nachhaltigkeit kostet mehr
Ökologische und soziale Produktion sind teurer als konventionelle Herstellungsverfahren. Bei Biobaumwolle ist der Ertrag pro Fläche oft geringer, weil die Pflanzen beispielsweise ohne künstliche Dünger und Pestizide auskommen müssen. Auch bessere Arbeitsbedingungen haben ihren Preis: Die Löhne liegen höher, Brandschutz in den Fabriken kostet ebenso Geld wie mehr Urlaubstage, kürzere Arbeitszeiten und Fortbildungen für die Beschäftigten. Das schlägt sich oft entweder in geringeren Gewinnmargen der Firmen oder etwas höheren Preisen in den Geschäften nieder. Beides kann hinderlich sein.
Billig boomt
Knapp ein Fünftel der bundesdeutschen Bevölkerung lebt in Armut oder ist von ihr bedroht. Vielleicht ein Drittel hat Geldsorgen. Die soziale Spaltung nahm in den vergangenen Jahrzehnten zu, unter anderem durch Hartz IV und mehr Niedriglohnjobs. Ketten wie KiK und Primark versorgen Verbraucher, die auf den Euro achten müssen, mit preiswerter Kleidung. Dagegen passen bessere Qualitäten und höhere Preise schlecht zu diesem Konsummuster. In ähnliche Richtung wirkt das Bestreben der meisten Unternehmen, ihren Absatz permanent zu steigern. Mehrmals jährlich bringen sie neue Kollektionen in die Geschäfte - „schnelle Mode“, „fast fashion“heißt diese Strategie. Die Kleidung darf nicht zu teuer sein, sonst funktioniert die ständige Konsumschlacht nicht.
Keiner ist verpflichtet
Die Unternehmen müssen sich nicht an besondere ökologische und soziale Standards halten. Nach katastrophalen Unfällen in asiatischen Textilfabriken übt die Bundesregierung zwar sanften Druck aus, um die schlimmsten Missstände abzustellen, doch die Fortschritte dauern lange. Ein Gesetz für Sorgfaltspflichten hiesiger Firmen könnte die Sache beschleunigen. Das Entwicklungsministerium hat inzwischen einen Gesetzentwurf geschrieben. Ob der aber jemals beschlossen wird, steht in den Sternen.