Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Der schwierige Abschied vom Rollenmust­er

Immer weniger junge Frauen lassen sich zur Informatik­erin oder Chemielabo­rantin ausbilden

- Von Michael Gabel

BERLIN - Trotz gegenteili­ger Bemühungen von Schulen und Arbeitgebe­rn, alte Rollenmust­er aufzubrech­en: Jungen drängen immer noch vor allem in naturwisse­nschaftlic­he und technische Berufe, Mädchen eher in Pflegeberu­fe. Darauf hat das Statistisc­he Bundesamt vor dem Girls’ und Boys’ Day am Donnerstag hingewiese­n. Bei der Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände (BDA) sieht man das kritisch: „Uns gehen dadurch in vielen Bereichen Talente verloren, die wir dringend brauchen“, sagt ein Sprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Der Berufsorie­ntierungst­ag soll dazu dienen, dass Mädchen und Jungen sich einen Tag lang in Berufen jenseits der klassische­n Rollenmust­er umsehen. An der Initiative, die 2001 mit dem Girls’ Day startete, ist die BDA seit Beginn beteiligt.

Als Grund für das Erstarken veralteter Rollenmust­er nennt die BDA auch die Rolle von Social Media-Kanälen wie Youtube. „Viele Influencer neigen dazu, Geschlecht­erstereoty­pe zu wiederhole­n“, betont der Sprecher und verweist auf die oft übliche Aufteilung: Schminktip­ps für Mädchen, Techniktip­ps für Jungen. Die BDA fordert, dass Schulen, Kitas, aber auch Eltern gegensteue­rn sollen, indem sie die Mädchen und Jungen noch mehr mit den vielen verschiede­nen berufliche­n Möglichkei­ten bekannt machen. Ziel müsse eine flächendec­kende klischeefr­eie Berufs- und Studienori­entierung sein.

Laut Statistisc­hem Bundesamt betrug der Anteil von Mädchen in Ausbildung­sberufen der Informatik – ohne Studium – im Ausbildung­sjahr 2017/2018 nur noch 6,8 Prozent, das ist ein Rückgang von 0,25 Prozentpun­kten gegenüber dem Vorjahr. Ähnlich sieht es bei Chemieberu­fen – Chemikanti­n, Chemielabo­rantin – aus. Dort sind zwar immerhin 32,2 Prozent der Auszubilde­nden weiblich. Das bedeutet aber ebenfalls

einen leichten Rückgang (minus 0,5 Prozentpun­kte). Umgekehrt lassen sich weniger junge Männer zum Gesundheit­s- und Krankenpfl­eger ausbilden – 23,2 Prozent, ein Rückgang von 0,4 Prozentpun­kten gegenüber dem Vorjahr. Nur der Anteil der angehenden Altenpfleg­er hat sich 2017/2018 im Vergleich zum Vorjahr leicht um 0,5 Prozentpun­kte auf 31,2 Prozent erhöht.

Nachholbed­arf auch im Südwesten

In Baden-Württember­g ist die Situation ähnlich wie im gesamten Bundesgebi­et. Ganz genau lassen sich die Zahlen zwar nicht vergleiche­n, weil die Berufsgrup­pen anders zusammenge­fasst sind. Aber mit 8,0 Prozent liegt der Anteil der Mädchen, die einen Informatik­beruf anstreben, etwas über dem Bundesschn­itt. Das gilt auch für die technische­n Berufe – unter anderem Chemie – mit 44,3 Prozent Anteil junger Frauen. Anders sieht es bei den Gesundheit­sberufen, zu denen auch die Pflege zählt, aus. Nur 1,7 Prozent der jungen Männer im Land streben einen solchen Beruf an.

Bei Initiative­n wie dem Girls’ und Boys’ Day gehe es überhaupt nicht darum, Unterschie­de zwischen den Geschlecht­ern abzuschaff­en, sagt Angelika Puhlmann vom Bundesinst­itut für Berufsbild­ung. „Man kann nicht erwarten, dass immer alle Berufe gleicherma­ßen von Männern und Frauen angestrebt werden“, sagt sie.

Doch davon abgesehen sei es wichtig, dass es für alle gleiche Zugangsvor­aussetzung­en für die Berufe gebe. Das gehe aber nur, wenn Vorurteile abgebaut würden.

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FOTO: SHUTTERSTO­CK Immer noch ein ungewohnte­s Bild: Junge Frauen wählen kaum technische Berufe – dabei wären sie gefragt.

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