Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Der schwierige Abschied vom Rollenmuster
Immer weniger junge Frauen lassen sich zur Informatikerin oder Chemielaborantin ausbilden
BERLIN - Trotz gegenteiliger Bemühungen von Schulen und Arbeitgebern, alte Rollenmuster aufzubrechen: Jungen drängen immer noch vor allem in naturwissenschaftliche und technische Berufe, Mädchen eher in Pflegeberufe. Darauf hat das Statistische Bundesamt vor dem Girls’ und Boys’ Day am Donnerstag hingewiesen. Bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sieht man das kritisch: „Uns gehen dadurch in vielen Bereichen Talente verloren, die wir dringend brauchen“, sagt ein Sprecher der „Schwäbischen Zeitung“.
Der Berufsorientierungstag soll dazu dienen, dass Mädchen und Jungen sich einen Tag lang in Berufen jenseits der klassischen Rollenmuster umsehen. An der Initiative, die 2001 mit dem Girls’ Day startete, ist die BDA seit Beginn beteiligt.
Als Grund für das Erstarken veralteter Rollenmuster nennt die BDA auch die Rolle von Social Media-Kanälen wie Youtube. „Viele Influencer neigen dazu, Geschlechterstereotype zu wiederholen“, betont der Sprecher und verweist auf die oft übliche Aufteilung: Schminktipps für Mädchen, Techniktipps für Jungen. Die BDA fordert, dass Schulen, Kitas, aber auch Eltern gegensteuern sollen, indem sie die Mädchen und Jungen noch mehr mit den vielen verschiedenen beruflichen Möglichkeiten bekannt machen. Ziel müsse eine flächendeckende klischeefreie Berufs- und Studienorientierung sein.
Laut Statistischem Bundesamt betrug der Anteil von Mädchen in Ausbildungsberufen der Informatik – ohne Studium – im Ausbildungsjahr 2017/2018 nur noch 6,8 Prozent, das ist ein Rückgang von 0,25 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr. Ähnlich sieht es bei Chemieberufen – Chemikantin, Chemielaborantin – aus. Dort sind zwar immerhin 32,2 Prozent der Auszubildenden weiblich. Das bedeutet aber ebenfalls
einen leichten Rückgang (minus 0,5 Prozentpunkte). Umgekehrt lassen sich weniger junge Männer zum Gesundheits- und Krankenpfleger ausbilden – 23,2 Prozent, ein Rückgang von 0,4 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr. Nur der Anteil der angehenden Altenpfleger hat sich 2017/2018 im Vergleich zum Vorjahr leicht um 0,5 Prozentpunkte auf 31,2 Prozent erhöht.
Nachholbedarf auch im Südwesten
In Baden-Württemberg ist die Situation ähnlich wie im gesamten Bundesgebiet. Ganz genau lassen sich die Zahlen zwar nicht vergleichen, weil die Berufsgruppen anders zusammengefasst sind. Aber mit 8,0 Prozent liegt der Anteil der Mädchen, die einen Informatikberuf anstreben, etwas über dem Bundesschnitt. Das gilt auch für die technischen Berufe – unter anderem Chemie – mit 44,3 Prozent Anteil junger Frauen. Anders sieht es bei den Gesundheitsberufen, zu denen auch die Pflege zählt, aus. Nur 1,7 Prozent der jungen Männer im Land streben einen solchen Beruf an.
Bei Initiativen wie dem Girls’ und Boys’ Day gehe es überhaupt nicht darum, Unterschiede zwischen den Geschlechtern abzuschaffen, sagt Angelika Puhlmann vom Bundesinstitut für Berufsbildung. „Man kann nicht erwarten, dass immer alle Berufe gleichermaßen von Männern und Frauen angestrebt werden“, sagt sie.
Doch davon abgesehen sei es wichtig, dass es für alle gleiche Zugangsvoraussetzungen für die Berufe gebe. Das gehe aber nur, wenn Vorurteile abgebaut würden.