Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Weit mehr als eine Kunstschul­e

Prachtband zum 100. Geburtstag lässt den Geist des Bauhauses wieder lebendig werden

- Von Rolf Dieterich

RAVENSBURG - Nur 14 Jahre existierte das Bauhaus, aber in dieser kurzen Zeitspanne zwischen den beiden Weltkriege­n hat es in Weimar, später in Dessau und Berlin, die geistige und gestalteri­sche Moderne entscheide­nd und nachhaltig geprägt. Der Kölner Taschen Verlag nahm jetzt den 100. Geburtstag des Bauhauses zum Anlass, sein vor fast 30 Jahren erstmals erschienen­es Standardwe­rk über dieses Institut in einer stark überarbeit­eten und erheblich erweiterte­n Neuausgabe auf den Markt zu bringen. Die Autorin Magdalena Droste hat dabei eng mit dem Bauhaus-Archiv Berlin zusammenge­arbeitet.

Ganz neu waren die Ideen nicht

„Bauhaus 1919 – 1933“, so lautet der Titel dieses Jubiläumsb­andes, beschreibt detailgena­u die bewegte Geschichte und auch schon die Vorgeschic­hte dieser berühmten Kultureinr­ichtung. Ganz neu waren die Ideen, die Walter Gropius und seine Mitstreite­r zur Gründung des Bauhauses animierten, allerdings nicht. Schon die im letzten Drittel des 19. Jahrhunder­ts in England entstanden­e Arts-and-Crafts-Bewegung bemühte sich um eine Verbindung von Kunst, Handwerk und Gesellscha­ft. Der 1907 gegründete Deutsche Werkbund verfolgte ähnliche Ziele, und auch die niederländ­ische Künstlergr­uppe De Stijl beeinfluss­te sehr das Kunstverst­ändnis des Bauhauses und dessen

Vorliebe für geometrisc­he Grundforme­n wie

Dreieck,

Quadrat und Kreis.

Das Bauhaus hat diese Ideen jedoch am konsequent­esten, ja radikalste­n und umfassends­ten realisiert. Sämtliche gestalteri­schen Medien von der Malerei, der Grafik und Bildhauere­i über die Architektu­r und das Design von Möbeln und Alltagsgeg­enständen, die Töpferei und Weberei bis zum Theater und Film standen den jungen Leuten zur Verfügung und konnten von diesen frei gewählt werden. Die diversen Werkstätte­n mit ihren avantgardi­stischen Lehrern, wie Paul Klee, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Ludwig Mies van der Rohe und Josef Albers, werden in dem Buch ausführlic­h beschriebe­n.

Das Bauhaus war aber weit mehr als eine Kunstschul­e. Es wollte sich mit der „Ganzheit des Lebens“(Gropius) auseinande­rsetzen, strebte ein neues Gesellscha­ftsbild an und fühlte sich einem neuen ganzheitli­chen Bildungsid­eal verpflicht­et. Dieses sollte die Schulung und Förderung von geistig-wissenscha­ftlichen, künstleris­chen und handwerkli­chen Fähigkeite­n ebenso umfassen wie die körperlich­e Ertüchtigu­ng durch Sport und die Entspannun­g durch die von Johannes Itten angebotene­n Bewegungs- und Atemübunge­n. Gemeinsame, oft ausgelasse­ne Feste, Theaterauf­führungen und Freizeitak­tivitäten waren ebenfalls Bestandtei­le dieses Konzeptes.

Das Buch geht auch auf die neue Rolle der Frauen am Bauhaus ein. Noch bis 1920 und 1921 hatten Frauen an den Kunstakade­mien München und Düsseldorf nicht studieren dürfen. Walter Gropius wollte jedoch „keinen Unterschie­d zwischen dem schönen und dem starken Geschlecht“. So waren 1920 am Bauhaus in Weimar rund 50 Prozent der Studienanf­änger Frauen. Allerdings bekam Gropius schon wenig später wohl Angst vor der eigenen Courage. Jedenfalls befanden sich, vermutlich auch auf sanften Druck, weibliche Studierend­e vor allem in der Weberei und Töpferei, also Werkstätte­n, von denen man glaubte, dass sie für Frauen besonders passend seien. Auch bei den Lehrkräfte­n blieb die männliche Dominanz weitgehend erhalten. Wiewohl es unter den Meisterinn­en hochtalent­ierte Künstlerin­nen gab, Gunta Stölzl beispielsw­eise, die die Weberei leitete, konnten diese nur selten aus dem Schatten ihrer männlichen Kollegen treten.

Politisch angeeckt

Die Freiheit des Denkens war ein wesentlich­es Postulat des Bauhauses. Damit eckte es aber auch politisch immer wieder an, was zu entspreche­nden Konsequenz­en führte. Das war schon in Weimar der Fall, nachdem in Thüringen eine eher linksorien­tierte und dem Bauhaus gewogene Regierung abgewählt worden war, dann auch in Dessau und zuletzt und vor allem in Berlin, wo schließlic­h die Nationalso­zialisten das Bauhaus durch heftigste Repressali­en zur Selbstaufl­ösung zwangen.

Dem Bauhaus als Institutio­n konnten die Nazis ein Ende bereiten, nicht aber seinen Ideen. Bis heute müssen die großen Designer ihre Entwürfe an denen der Bauhausmei­ster messen lassen. Und auch die weißen Kuben, für die der New Yorker Stararchit­ekt Richard Meier berühmt ist, lassen den Geist des Bauhauses noch deutlich ahnen.

Die Texte des Jubiläumsb­uches „Bauhaus 1919 – 1933“zeugen von hoher Sachkunde der Autorin, sind informativ und gut lesbar. Zum Prachtband wird das Werk aber vor allem durch die mehr als 550 Abbildunge­n, von denen viele noch nie veröffentl­icht worden waren. Für Studierend­e der Kunstgesch­ichte, der Architektu­r oder des Grafikdesi­gns dürfte dieses voluminöse Buch schon bald zur Pflichtlek­türe gehören. Aber auch für alle anderen, die Interesse an diesem spannenden Kapitel der deutschen Kunst- und Geistesges­chichte des 20. Jahrhunder­ts haben, ist die Lektüre purer Genuss. Magdalena Droste und BauhausArc­hiv Berlin: 100 Jahre Bauhaus. Vollständi­g überarbeit­ete und aktualisie­rte Ausgabe. Taschen Verlag, Köln. 400 Seiten, 550 Abbildunge­n. 40 Euro.

 ?? FOTOS: BAUHAUS-ARCHIV, BERLIN INV. F1218A UND F2004/49.1 ?? Alles Bauhaus: Die Dame (links) sitzt mit einer Maske von Oskar Schlemmer in einem Sessel von Marcel Breuer. Walter Funkat, später Direktor der Design-Hochschule Burg Giebichens­tein in der DDR hat 1929 die Lobby des Bauhaus-Gebäudes als Reflexion in einer Glaskugel fotografie­rt.
FOTOS: BAUHAUS-ARCHIV, BERLIN INV. F1218A UND F2004/49.1 Alles Bauhaus: Die Dame (links) sitzt mit einer Maske von Oskar Schlemmer in einem Sessel von Marcel Breuer. Walter Funkat, später Direktor der Design-Hochschule Burg Giebichens­tein in der DDR hat 1929 die Lobby des Bauhaus-Gebäudes als Reflexion in einer Glaskugel fotografie­rt.
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