Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Die Haselmaus ist nicht wichtiger als der Mensch“
Regierungspräsident Klaus Tappeser spricht im SZ-Interview über Straßenbau und Uferrenaturierung
FRIEDRICHSHAFEN - Klaus Tappeser (61) ist seit Oktober 2016 Präsident des Regierungspräsidiums (RP) Tübingen. Als Schaltstelle zwischen den Landesministerien und den Landratsämtern ist das RP auch mit wichtigen Projekten im Bodenseekreis befasst. Mit Martin Hennings und Alexander Tutschner spricht CDU-Mann Tappeser unter anderem über den Straßenbau und die Uferrenaturierung in Kressbronn.
Die B-30-Ortsumfahrung Ravensburg soll in diesem Jahr fertiggestellt werden, dann wird der NordSüd-Verkehr voraussichtlich in Meckenbeuren stehen ...
Wir werden die gesamte Ortsumgehung Ravensburg in diesem Jahr freigeben. Die Situation in Meckenbeuren wird sich dann nicht verbessern, da muss man kein Prophet sein. Seit 2015 diskutieren wir hier die Umfahrungsmöglichkeit und den Anschluss nach Friedrichshafen. Wir planen wie angekündigt auf der Osttrasse weiter, die zwar länger ist, aber mehr Anschlüsse abholen kann. Die Westtrasse war aus Gründen des Umwelt- und Artenschutzes nicht möglich.
Es geht also nicht um den Schutz von Staatswald, wie von manchen gemutmaßt wurde?
Hier gibt es nicht mehr und nicht weniger Staatswald als irgendwo anders. Es geht nur um das Bundesnaturschutzgesetz. Es ist aufgrund immer neuer Auflagen heute deutlich komplizierter, eine Straße zu bauen als noch im letzten Jahrhundert.
Viele Meckenbeurer, vor allem Landwirte sind nicht glücklich über den Flächenverbrauch ...
Es handelt sich hier um eine prosperierende und landschaftlich wunderschöne Region. Diese wird aber auch zum Anziehungspunkt, das heißt, wir brauchen Gewerbeflächen und wir brauchen Wohnflächen, vor allem auch für die, die nicht so gut verdienen. Und funktionierende Straßen. Es geht dabei immer um Fläche. Denn wir brauchen Flächen nicht nur für die Maßnahme, sondern auch noch für den Ausgleich. Hier geht es auch um die Identität der Landschaft, denn Obst- und Hopfenanbau gehören genauso zu dieser Landschaft und die wollen wir erhalten. Deshalb sollten wir so viel Ausgleich wie möglich außerhalb der Planungsräume machen. Mit den Bauern müssen wir reden, damit so wenig landwirtschaftliche Fläche wie möglich geopfert wird.
Auf der Bürgerinformation im vergangenen Herbst in Brochenzell wurde versprochen, dass es transparent und zügig weitergeht. Was passiert denn derzeit?
Straßen müssen rechtssicher geplant werden, das heißt, schon bei der Planung müssen mögliche Einwände berücksichtigt werden. Es muss abgewogen werden, ob sie gerechtfertigt sind oder nicht. Unsere Planer machen also nicht nur einen Strich in die Landschaft und berechnen ein paar Radien. Wir müssen immer schauen: sind wir verkehrswirksam und netzwirksam? Wir haben hier am Bodensee auf manchen Straßen Tageseinheiten von bis zu 40 000 Autos. Das haben manche Autobahnen in Ostdeutschland nicht. Wir müssen außerdem die Schutzgüter berücksichtigen: Mensch, Natur, Boden, Wasser, Luft und Lärm – alles muss geprüft werden, schon im Planungsprozess.
Wie lange wird das dauern?
Gerade werden wichtige Gespräche geführt, ich kann aber keine Zeitrahmen nennen. Nur so viel: Wenn wir die Ortsumgehung jetzt nicht schaffen, dann schaffen wir sie in den nächsten Generationen nicht mehr. Und es wird irgendwann heißen: Warum haben wir das damals nicht gemacht? Deshalb so viel zur Systematik: Wir diskutieren nicht mit der Bürgerschaft darüber, ob die Straße kommt oder nicht, sondern nur darüber, wie sie gebaut wird. Eine Straße in dieser dicht besiedelten und prosperierenden Landschaft zu bauen, wird freilich immer jemandem weh tun.
Was die B 31 neu zwischen Immenstaad und Meersburg betrifft, hat sich das RP auf drei Korridore festgelegt, welche Faktoren waren für die Entscheidung maßgebend?
Die entscheidenden Kriterien werden im Zuge der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung in den nächsten Monaten kontinuierlich und transparent dargestellt. Allgemein lässt sich sagen, dass wir das Ziel verfolgen, eine verkehrswirksame, technisch machbare, finanzierbare, umweltschonende, konfliktarme und soweit möglich, eine von der Raumschaft mitgetragene Variante zu erarbeiten.
Was ist dabei wichtiger: Mensch oder Natur?
Wir dürfen nicht so tun, als wäre die Haselmaus wichtiger als der Mensch. Wir brauchen als Mensch aber ein ausgeglichenes Ökosystem. Wir bekommen das gerade beim Insektensterben mit.
Die Variante A hätte den Vorteil, dass es schon eine Straße gibt, die man ausbauen könnte. Kritisch dürfte aber ein Tunnel bei Hagnau sein ...
Für die seenahe Trasse brauchen wir immer ein Parallelsystem zur Erschließung der Gemeinden, die ja wie Perlen an der Schnur aufgereiht sind. Von einer vierspurigen Bundesstraße können wir nicht direkt den Verkehr ableiten. Wir brauchen das Parallelsystem insbesondere für langsame Autos und für die Erschließung. Und die Experten sind sich darüber einig, dass eine neue Straße im Betrieb funktionieren muss. Ein Tunnel ist erfahrungsgemäß einige Tage im Jahr gesperrt, wegen der Unterhaltung oder bei Unfällen. In dieser Zeit müssen sie irgendwo mit den Autos hin. Ein Tunnel oder Deckel hält zudem auch nicht den ganzen Lärm ab.
Ein Knackpunkt in der Planung in den Varianten C und B ist die Lipbach-Senke bei Immenstaad. Wegen eines Biotops soll die Straße nun doch durch den Ort führen?
Laut den Natur- und Landschaftsexperten ist das Lipbachtal ganz schwer zu überwinden. Die Immenstaader wollen die Straße natürlich raus aus dem Ort haben und wollen ihren Ort nicht durch die Straße getrennt sehen. Mir ist das aus Sicht der Gemeinde klar, die Immenstaader waren deshalb ja auch stark verterten bei der Bürgerinformation in Markdorf. Diese Themen schauen wir derzeit genau an. Es ist aber jetzt schon klar, dass der Lipbach nicht untertunnelt werden kann.
Wie sind Sie mit der Bürgerbeteiligung zufrieden?
Wir haben 2015 mit dem Dialogforum einen Bürgerprozess angestoßen, um die Planung konfliktfreier zu gestalten. Das ist bislang gelungen. Ein Resultat daraus war ja, dass es jetzt die drei Korridore gibt. Wir werden sehen, was die Leute sagen, wenn wir bis Ende des Jahres die Trasse präsentieren, mit der wir weiter planen. Das Dialogforum mit den zufällig ausgewählten Mitgliedern, den sogenannten Zufallsbürgern, wird auch diesen Prozess begleiten.
Wo rechnen Sie mit den geringsten Widerständen?
Das ist nicht einfach zu sagen. Wir müssen prüfen, was für die einzelnen Schutzgüter das Beste ist. Am Ende muss die Straße auch bezahlbar sein, die Lösung muss wirtschaftlich und ökologisch sein.
Klar ist, dass es noch lange dauern wird bis die B31-neu fertig ist. Ist sie dann vielleicht sogar überflüssig, wenn man an selbstfahrende EMobilität mit wesentlich weniger Verkehr denkt?
Das sind für uns natürlich ganz wichtige Überlegungen zu Beginn der Planung. Unsere Erhebungen besagen, dass der Individualverkehr auf hohem Niveau stagnieren wird. Und dass der Schwerlastverkehr noch einmal deutlich zunehmen wird. Und schon deshalb ist es wichtig, dass wir leistungsfähige Straßen haben. Wir brauchen künftig einen Mix aus traditionellem Autoverkehr im ländlichen Raum und einen vernünftigen ÖPNV mit einer entsprechenden Taktung, auch wenn er dann teurer wird. Dazu kommen Anruf-Sammeltaxis und auch die Stärkung des Schienennahverkehrs, Stichwort Elektrifizierung der Bodenseegürtelbahn.
Seit Jahrzehnten ist die Uferrenaturierung ein Politikum in Kressbronn. Jetzt wurde mit dem Abriss der Mauer begonnen. Es gab den Vorwurf ans RP, die Gemeinde sei nicht entsprechend eingebunden worden?
Wir binden unsere Kommunen immer frühzeitig ein, über ihre gesetzlichen Vertreter, alles andere wäre unanständig.
Kritiker sagen, es sei Stückwerk, wenn Sie jetzt nur mit einem Teil anfangen ...
Die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Wir arbeiten an dieser Sache seit 20 Jahren, wir sind rechtssicher, wir haben einen Planfeststellungsbescheid, der Gesetzescharakter hat. Es ist durchgeklagt worden bis oben hin und wir haben Recht bekommen. Es ist das gute Recht der Kläger, wir leben ja in einem Rechtsstaat. Aber umgekehrt wird eben auch ein Schuh draus. Wenn wir Recht haben, dann setzen wir das um. Das ist unser Auftrag. Wir mussten deshalb jetzt mit dem ersten Bauabschnitt anfangen, auch damit der Planfeststellungsbescheid nicht verfällt. Beim zweiten Bauabschnitt sind noch Klagen anhängig.
Waren für den Einsatz beim Abriss der Mauer wirklich 20 Polizisten und zwei Polizeiboote nötig?
Wenn etwas passiert wäre, hätte man mir hinterher gesagt, das hätte man doch wissen können. Beim letzten Versuch haben sich Leute an die Bäume angekettet. Vielleicht ist jetzt auch deshalb nichts passiert, weil die Polizei da war. Es geht mir dabei nicht um das Brechen eines Widerstandes, sondern um den Sicherheitsgedanken. Ich wollte, dass wir anfangen zu bauen, und wäre am Ende für Unfälle rechtlich und moralisch verantwortlich gemacht worden. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen.
Wie steht es denn um die Eigentumsrechte der Anwohner?
Durch die gängige Rechtsprechung sehen wir uns darin bestätigt, dass der Planfeststellungsbescheid Grundlage ist, um in Eigentumsrechte der Betroffenen einzugreifen. Diese wiederum sind in der Frage vor das Verwaltungsgericht gezogen und wir haben vom Gericht gesagt bekommen, dass wir ein Enteignungsverfahren machen müssen. Das wundert mich, da wir das Gelände an sich ja nicht wollen, sondern nur ein kurzfristiges Betretungsrecht für notwendige Kernbohrungen. Wenn man die Uferrenaturierung verhindern will, und das wollen die Betroffenen, nützt man jedes Mittel, das ist auch legitim.
Wie sind Ihre Erfahrung grundsätzlich mit Uferrenaturierungen?
Wir haben insgesamt in sieben Kommunen Uferrenaturierungen im Bereich des baden-württembergischen Bodensees. Von Sipplingen bis Friedrichshafen, Teile davon sind schon sehr gut realisiert worden. Wenn ich an den Uferpark in Friedrichshafen denke oder die Umgestaltung in Überlingen im Zuge der Planung für die Landesgartenschau.
Im Verfahren des Grafen Brandenstein-Zeppelin gegen das Land Baden-Württemberg vertritt das RP das Land. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Ich glaube, wir sind da auf gutem Weg. Wenn die Entscheidungen, die die Bundesrepublik Deutschland und besonders den Südwesten stark geprägt haben, nicht mehr gelten, dann kommen wir in Teufels Küche. Rechtsstaat bedeutet auch Rechtssicherheit. Mit Graf BrandensteinZeppelin wurden ja schon mehrmals Vergleiche geschlossen. Vergleiche dienen in unserem Rechtssystem dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit. Ich muss mich als Kommune darauf verlassen können, was früher mittels Vergleichen entschieden wurde.
Der frühere Geschäftsführer der Zeppelin GmbH Jürgen-Philipp Kneppner hat beim RP Rechtsaufsichtsbeschwerde gegen den Häfler OB Andreas Brand eingelegt, wie geht es damit weiter?
Die Rechtsaufsichtsbeschwerde ist bei uns eingegangen und wird derzeit bearbeitet. Vor Abschluss unserer Prüfung können wir keine weiteren Aussagen machen.
Was halten Sie davon, dass die Landkreise Sigmaringen, Ravensburg und eventuell Bodensee mittels einer eigenen Planungsgesellschaft den Straßenbau vorantreiben wollen?
Ich kann die Argumentation gut nachvollziehen, die Botschaft lautet „Wir wollen, dass etwas geschieht!“. Aber das Ganze ist für die Kreise eine teure Sache. Und ich befürchte, dass diese Gesellschaft die gleichen Probleme bekommen wird wie unsere privaten Planungsbüros. Und das ist der Personalmangel. Sie finden keine Fachleute. Ich wünsche den Landkreisen dennoch alles Gute, es geht ja vor allem um die Bundesstraße 31 von Ulm ins Badische an Sigmaringen vorbei, uns fehlt diese OstWest-Verbindung. Und im Landkreis Ravensburg um die Umfahrung von Gaisbeuren und Enzisreute bei Bad Waldsee. Die Planungen für die zweite Röhre im Riedleparktunnel in Friedrichshafen sollen bei uns 2020/ 2021 beginnen, für den Molditetunnel in Ravensburg bereits in diesem Jahr.