Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Liebevolle Rivalen
Neu-Ulm und Ochsenhausen duellieren sich am Sonntag erstmals im Tischtennis-Pokal
OCHSENHAUSEN/NEU-ULM - Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt, sagte Schillers Tell. Insofern haben es die 30 Kilometer entfernten Tischtennis-Bundesligisten TTC Neu-Ulm und TTF Liebherr Ochsenhausen, die sich am Sonntag (15 Uhr/Ratiopharm-Arena) erstmals im Pokal-Achtelfinale miteinander messen, sehr komfortabel. Man versteht sich, man schätzt sich.
Vielleicht liegt es auch daran, dass der brandneue Wildcard-Club aus Bayern, der vor der Saison in Lederhosen modelte, bisher noch nicht so weit scheint, einem übermächtigen Goliath selbige auch auszuziehen. Mit 0:6 Punkten ist der TTC Drittletzter, deutete bei zwei 2:3-Niederlagen aber immerhin Potenzial an. Dennoch wird Neu-Ulm wohl bis Mai der David bleiben, der sich erst noch finden muss, und am Saisonende froh sein, nicht abzusteigen – zumal das Erscheinen der Kader-Stars aus Asien (Hao Shuai, Cui Qinglei/China, An Jaehyun/Korea) auf sich warten lässt. „Sie sind schwer loszueisen. Wir werden das nur ankündigen, wenn es auch sicher ist. Wir wollen seriös sein, auch gegenüber unseren Fans, und setzen bis auf Weiteres auf die bisherigen Spieler. Wir vertrauen ihnen, und der Teamgeist ist toll“, sagt Managerin Nadine Berti.
Die 35-Jährige, die seit Juni neben Präsident Florian Ebner in einer Art Zwei-Mann-Firma die Geschicke des Clubs leitet, ist nicht zu beneiden. Wie Ebner hatte auch die gebürtige Ulmerin mit weißen Plastikkugeln zuvor eher wenig zu tun. Zwar arbeitete sie für die Sportrechteagenturen Lagardère und Infront und im Vertrieb auch für die Ulmer Basketballer, aber in die Fein- und Eigenheiten des Tischtennisprofibetriebs muss(te) sie sich erst hineinarbeiten. Am Telefon erzählt sie, sie sei gerade im Auto, um den Brasilianer Gustavo Tsuboi bei der Stadt anzumelden, er brauche eine residential card, Berti ist also Managerin und Mädchen für alles. Außerdem eine Exotin in einer Männer-Welt. Allzu viele Bundesliga-Managerinnen gibt es im deutschen Sport nicht, es ist ein 24/7-Job, nicht gerade familienfreundlich. Berti sagt: „Ich kenne es seit 13 Jahren nicht anders, als die einzige Frau in Männer-Teams zu sein. Aber ich kann mich verständigen.“Und durchsetzen offenbar auch.
Tsuboi gehört (wie in vielen Jahren zuvor) übrigens seit Juni der Ochsenhausener Trainingsgruppe an, er übt und isst täglich mit den Freunden und neuen Rivalen, was dem Pokalduell Brisanz gibt. Man kennt sich in- und auswendig, mit TTF-Ass Hugo Calderano gewann Tsuboi kürzlich wieder den Panamerica-Titel. Neu-Ulms Nr. 1 Tiago Apolonia wiederum war lange Jahre Publikumsliebling bei den TTF, auch der Portugiese würde gerne ab und an wieder bei den ziemlich ausgebuchten Ochsenhausenern trainieren – die Verhandlungen laufen. Neu-Ulm hat noch keine Trainingsgruppe, kurz vor den Spielen trifft sich das Team, um Aufstellungen zu besprechen und Doppel zu trainieren. Das Singener Talent Kay Stumper (17), dessen Vater Rudi vor 25 Jahren Spieler und Trainer bei den TTF war, und der Franzose Abdel-Kader Salifou trainieren derweil beim Titelfavoriten 1. FC Saarbrücken mit, auf den der TTC bereits heute in der Liga trifft (19 Uhr), in seinem zweiten Topspiel des Wochenendes.
Berti und TTF-Präsident Kristijan Pejinovic telefonieren regelmäßig, ebenso wie der Meister mit seinem Netzwerk vor allem in der Anfangszeit dem Verlagschef Ebner zur Seite stand. Der hatte sich ins Tischtennis verliebt, er will investieren, neue Ideen einbringen. Pejinovic freute sich über den frischen Wind, Ebners Enthusiasmus und gab bereitwillig Rat. Inzwischen hat Ebners Euphorie Dämpfer bekommen. Nur 360 und 260 Fans kamen zu den ersten Spielen in die abgetrennte, aber noch immer riesige Ratiopharm-Arena, er hatte auf viel mehr gehofft. Mit Rabatten und Freikarten für Kinder und Tischtennisclubs aus der Region will der Club jetzt für Interesse und Anreize sorgen, die Werbung wurde über den Trikotsponsor Radio 7 verstärkt. „Mittelfristig hoffen wir, dass zumindest 400 bis 500 Leute kommen“, sagt Ebner.
Zumindest heute und am Sonntag gegen den Double-Nachbarn sollte das klappen. Danach wird Zwischenbilanz gezogen – ein Umzug ins EdwinScharff-Haus ab November dürfte die Folge sein. Club-Atmosphäre will Ebner schaffen, eine neue Klientel ansprechen, im Neu-Ulmer Kulturzentrum wären die Fans näher am Tisch. „Wir werden einen Antrag auf Änderung der Spielstätte bei der TTBL stellen“, kündigt Berti bereits an. Kristijan Pejinovic, Chef der TTF Liebherr Ochsenhausen
Die TTF, die heute in Jülich antreten, gehen demütig in die Partie. In der Liga stehen sie mit 2:4 Punkten unter Druck, im Pokal geht es um das Final Four, das für die TTF Pflicht, für Ebner, der die TTF als Vorbild bezeichnet, ein „Riesentraum“ist. Ein Lokalmatador wird im Januar in der Arena nur zusehen, Ochsenhausen hat den Druck. „Es wird ein erstes echtes Endspiel. Wir sind prinzipiell nach vielen Jahren nicht mehr der Jäger, sondern der Gejagte. Das ist viel schwerer, eine neue Rolle, und unsere Spieler müssen lernen, sie anzunehmen. Es wird ein offenes Match, auch, weil Tsuboi sehr stark im Doppel ist“, sagt Pejinovic.
Der Meistermacher schätzt die Arbeit des Rivalen: „Wir sind historisch und organisch gewachsen, sie haben bei null angefangen und mussten wie ein kleines Kind lernen, zu laufen – so wie wir vor zehn Jahren mit dem LMC. Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis, und ich reiche gern die Hände, wenn ich mit meinen Kontakten helfen kann.“Der neue Nachbar bringt ja auch den TTF etwas: zwei Derbys, kaum Fahrtkosten und: Zuschauer.
„Es wird ein erstes echtes Endspiel. Wir sind der Gejagte.“