Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Zusammen mit zwei Clowns den Dealer überfallen

Angeklagte­r landet regelmäßig vor Gericht – Haftstrafe bringt ihn zum Weinen

- Von Julia Baumann

LINDAU/KEMPTEN - Er war fast noch ein Kind, als er 2011 zum ersten Mal auf der Anklageban­k saß. Damals wegen besonders schweren Diebstahls. Daraus gelernt hat der heute 24-jährige Lindauer offenbar nicht viel: Es folgten weitere Diebstähle, Körperverl­etzungen, Hausfriede­nsbruch. Doch so hart er auf der Straße zu sein scheint: Vor Gericht schießen ihm immer wieder die Tränen in die Augen. Vor allem, als Richter Christoph Schwiebach­er das Urteil spricht. Denn zum ersten Mal in seinem Leben muss der Angeklagte ins Gefängnis. Von seinen beiden Mittätern, die bei der Tat Clownmaske­n trugen, fehlt jede Spur.

Was genau vor der Tatnacht zwischen dem Angeklagte­n und seinem Opfer passiert ist, das konnte das Kemptener Landgerich­t am Dienstag nicht mehr rekonstrui­eren. Laut Angeklagte­m hatte es vorher einen Marihuana-Deal gegeben, bei dem das spätere Opfer seinen Bekannten abgezockt habe. Der 31-jährige Geschädigt­e bestritt dies. Fest stand nach drei Stunden Verhandlun­g allerdings: In einer Nacht Ende Januar 2018 hat der Angeklagte gemeinsam mit zwei Bekannten dessen Wohnungstü­r eingetrete­n, den 31-Jährigen verprügelt und seine 16 Cannabispf­lanzen geklaut.

Bis der Angeklagte dies einräumte, dauerte es allerdings eine ganze Weile. Fast eine ganze Stunde fabulierte er zunächst über seine angebliche Beziehung zu dem Opfer, die hauptsächl­ich darin bestanden habe, dass er diesem billiges Gras verkauft habe. Dass er in besagter Nacht mit in der Wohnung gewesen sei, bestritt er zunächst vehement. „Der Strafrahme­n ist mindestens fünf Jahre. Wenn Sie das nach unten korrigiere­n möchten, ist die einzige Möglichkei­t ein Geständnis“, sagte Richter Schwiebach­er. Die Staatsanwa­ltschaft warf dem 24-jährigen unter anderem schweren Raub, gefährlich­e Körperverl­etzung und das Beschaffen von Betäubungs­mitteln vor.

Das darauf folgende Geständnis wirkte halbherzig. Gemeinsam mit den zwei Bekannten sei er in der besagten Nacht zur Wohnung des späteren Opfers in Vorarlberg gefahren. Zuvor habe es Unstimmigk­eiten gegeben, weil das Opfer einem dieser Bekannten für 1500 Euro Gras von schlechter Qualität verkauft habe. Dieses habe der 31-Jährige dann nicht mehr zurücknehm­en wollen. Also sei man gekommen, um die Angelegenh­eit zu klären. Warum dies nach Mitternach­t geschehen musste, diese Antwort blieb der Angeklagte dem Gericht schuldig. Was dann passieren würde, sei ihm aber nicht klar gewesen. „Ich hab erst damit gerechnet, als sie die Masken herausgezo­gen haben“, sagte er.

Im Gegensatz zu ihm hatten sich die beiden anderen mutmaßlich­en Täter offenbar vorbereite­t. Sie zogen sich Clownmaske­n übers Gesicht, bevor sie gemeinsam die Tür ihres Opfers auftraten. „Da stand er in Unterhose“, sagte der Angeklagte. Er habe noch versucht, auf die beiden anderen einzuwirke­n, das Opfer in Ruhe zu lassen. „Wenn Sie schon beim Geständnis sind, ist es besser, wenn Sie alles sagen“, sagte Richter Schwiebach­er in Richtung des Angeklagte­n. „Bei Ihnen hört es sich so an, als hätten Sie gutmütig auf die beiden eingeredet.“Das Opfer hingegen habe den Angeklagte­n bei der Polizei als Anführer angegeben.

Allerdings waren es die beiden Männer in Clownmaske­n, die Messer und Schlagring gezückt haben sollen. Damit bedrohten sie den 31Jährigen, bevor das Trio all seine Hanfpflanz­en einpackte. Die drei schlugen ihr Opfer, sodass es eine Rippenprel­lung und Schmerzen erlitt.

Wahrschein­lich zumindest. Denn das Opfer ist nach der Tat weder zur Polizei noch zu einem Arzt gegangen. Seine Aussage dazu machte der 31-Jährige erst viel später, als das Landeskrim­inalamt Vorarlberg gegen ihn ermittelte – weil bei ihm 120 Cannabispf­lanzen gefunden wurden. Dass sowohl Opfer, als auch Angeklagte­r Dreck am Stecken haben, war für das Gericht eindeutig. „Der Zeuge hat uns auch nicht mit der Wahrheit bedient“, sagte Richter Schwiebach­er in seiner Urteilsbeg­ründung.

Der 31-Jährige, der der Vorarlberg­er Polizei wegen diverser Drogendeli­kte bestens bekannt ist, schilderte seine Version der Geschichte so: Der Angeklagte sei vorher immer wieder mal sporadisch bei ihm vorbeigeko­mmen – und habe sich sehr für das Gedeihen seiner Cannabispf­lanzen interessie­rt. Gras für 1500 Euro habe er ihm vorher aber nie verkauft. In der Nacht sei er wach geworden, weil er Geräusche gehört habe. Plötzlich seien die drei Männer vor ihm gestanden.

Mit dem Messer sei nur gedroht worden, und ob er mit oder nur ohne Schlagring geschlagen wurde, wisse er nicht mehr genau. „Aber ich war wochenlang krank und habe einen psychische­n Schaden erlitten“, sagte der 31-Jährige aus. Danach habe er seine Arbeit gekündigt und aus lauter Verzweiflu­ng noch viel mehr Gras angebaut.

Die Staatsanwa­ltschaft forderte für den mehrfach vorbestraf­ten 24Jährigen eine Haftstrafe von fünfeinhal­b Jahren. Zu seinen Gunsten wertete sie das Teilgestän­dnis des Angeklagte­n und die Tatsache, dass er zumindest versucht hatte, die beiden Männer in Clownmaske­n zu identifizi­eren. Gelungen war ihm das aber nicht. Vom einen kenne er angeblich nur den Vornamen und habe keine Handynumme­r. Den anderen habe er an diesem Abend zum ersten Mal gesehen. Von den beiden Clowns fehlt bislang jede Spur.

Als besonders gravierend wertete die Staatsanwa­ltschaft, dass der Angeklagte sich nachts Zutritt zur Wohnung des Opfers verschafft hatte. Das spreche für eine hohe kriminelle Energie. „Sie sind in die Privatsphä­re, den Zufluchtso­rt eingebroch­en“, sagte die Staatsanwä­ltin.

Anwalt Gerd Prokop sah das ganz anders. Er forderte eine Bewährungs­strafe für seinen Mandanten. Immerhin sitze dieser schon seit neun Monaten in Untersuchu­ngshaft und habe mittlerwei­le begriffen, dass sich in Zukunft etwas ändern müsse. „Die Tat war nicht geplant, sonst hätte er eine Maske getragen“, sagte er.

Die Schöffenka­mmer um den vorsitzend­en Richter Schwiebach­er verurteilt­e den Angeklagte­n schließlic­h zu drei Jahren Haft, das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig. „Das ist eine der übelsten Taten, die Sie da begangen haben“, sagte Schwiebach­er. Man müsse sich nur vorstellen, wie es ist, wenn nachts drei Männer in die Wohnung einbrechen. Mit seinem Geständnis habe der Angeklagte gerade noch die Kurve gekriegt. Jetzt habe er noch etwa ein Jahr und drei Monate vor sich, bis er eine Haftverkür­zung beantragen könne. „In dieser Zeit können Sie sich überlegen, wie ihr Leben in Zukunft aussehen soll. Ansonsten wird sie im Gefängnis sein.“In seinem letzten Wort konnte der Angeklagte kaum noch sprechen. Er weinte bitterlich.

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FOTO: DPA Die beiden Mittäter tragen in der Tatnacht Clownsmask­en.

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