Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Das Abenteuer Mehrgenerationen-Urlaub
Gespräche im Vorfeld können Konflikte vermeiden
LUDWIGSBURG (dpa) - Endlich mal wieder mit der ganzen Familie in Urlaub fahren. In Ruhe reden, zusammen etwas unternehmen, gemeinsam kochen und essen. Die Großeltern sehen ihre Enkel mal länger und Mama und Papa haben den Babysitter gleich mit dabei. Denkste!
Nach nur drei Tagen ist es vorbei mit der Harmonie. Kein Wunder, sagt Eckart Hammer, Professor für Gerontologie an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg. „Urlaube sind grundsätzlich unfallträchtig für Beziehungen – nicht nur zwischen den Generationen, auch für Paarbeziehungen zum Beispiel.“
Konfliktherde gibt es schließlich genug: Die Vierjährigen wollen nicht ins Museum, deren Eltern nicht schon wieder an den Strand – aber Oma und Opa auch nicht den ganzen Tag auf die Kinder aufpassen. Und warum müssen die Großeltern den Kleinen eigentlich ständig Gummibärchen zustecken? Und sind Mama und Papa nicht viel zu streng? Und offenbar ist Onkel Stefan auch mit 40 noch das Lieblingskind.
Hinter dem Urlaubsknatsch steht ein strukturelles Problem. „Man sieht sich im Alltag höchstens abends und am Wochenende, und jetzt plötzlich drei Wochen am Stück rund um die Uhr“, sagt Hammer. Zwischen den Generationen ist der UrlaubsAlltags-Kontrast oft sogar noch größer – viele Großeltern sehen ihre Kinder und Enkel nur selten, weil sie schlicht zu weit weg wohnen. Wenn aus dieser Distanz plötzlich Dauernähe wird, stellt das selbst die stärkste Beziehung auf die Probe. „Und dann wird der Urlaub oft auch noch idealisiert, die Erwartungen sind da oft völlig überhöht“, sagt Hammer. So wird genau das lang ersehnte „Endlich wieder was zusammen machen!“zur Falle. „Wir leben alle heute nach dem Prinzip Intimität auf Abstand“, erklärt Hammer. „Wir wollen uns nahe sein, aber wir brauchen auch Freiräume und Rückzugsmöglichkeiten. Deshalb ist es wichtig, da bewusst nicht zu eng aufeinander zu hocken, sondern Rückzugs- und Freiräume zu schaffen.“
Hammer empfiehlt zudem, es mit der gemeinsamen Zeit nicht zu übertreiben. Gerade wenn es der erste Großfamilienurlaub ist, reicht vielleicht ein langes Wochenende. Streit kann es aber natürlich trotzdem geben, das ist erst einmal nicht schlimm. „Grundsätzlich gibt es immer den Wunsch nach einem harmonischen Familienleben“, sagt Familientherapeut Hans Berwanger. Die Frage sei nur, was Harmonie bedeutet. „Denn da geht es nicht um Konfliktlosigkeit – sondern um Konfliktfähigkeit.“Konkret bedeutet das: streiten ja, eskalieren nein. Gerade in einer Familie und zwischen den Generationen ist das aber besonders schwierig, so der Experte. Denn da gibt es oft „eingefrorene Konflikte“.
Meistens verläuft diese Konfliktlinie zwischen Schwiegereltern und -töchtern beziehungsweise -söhnen, erzählt der Therapeut. „Das sind dann zum Beispiel Abwertungserlebnisse – weil sich die Schwiegermutter zum Beispiel mal abfällig über das Brautkleid der Schwiegertochter geäußert hat.“Gesprochen wurde darüber aber nie – und in der Drucksituation des Urlaubs tauen die alten Kränkungen dann plötzlich wieder auf. Das kann eine Gelegenheit sein, Konflikte endlich zu klären. „Voraussetzung ist aber, dass beide zur Versöhnung bereit sind und man emotional offen und wertschätzend kommunizieren kann“, sagt Berwanger. Es reicht nicht, den Schwiegersohn oder die Schwiegermutter nur zu mögen – man muss das auch sagen können. „Viele kommunizieren dann ein vergiftetes Lob“, sagt Berwanger. Und das macht es oft nur schlimmer. Zum Beispiel der Satz: „Ich hätte nicht gedacht, dass du so gut kochen kannst.“
Eckart Hammer rät Großfamilien vor dem gemeinsamen Urlaub zu einem Vorgespräch. „Da kann man auch vereinbaren, ein paar schwelende Konflikte in der Familie mal ruhen zu lassen.“Auch banalere Konfliktherde lassen sich in einem solchen Gespräch abräumen, rät Berwanger. „Wer finanziert, wer bezahlt? Wie sieht die Unterkunft aus? Wer betreut die Kinder wann, wer räumt auf, und wer kocht was? Das sind alles Punkte, an denen unterschiedliche Vorstellungen aufeinanderprallen“, sagt er.
Sind kleinere Kinder dabei, rät Hammer außerdem, sich schon vor der Abfahrt auf Erziehungsregeln zu einigen. Schließlich sind Eltern oft strenger und Großeltern nachsichtiger. „Grundsätzlich gilt, dass die Eltern die Erziehungsregeln festlegen“, sagt er. Das sei auch im Urlaub so.
„Urlaube sind grundsätzlich unfallträchtig für Beziehungen.“
Gerontologe Eckart Hammer