Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Viele helfende Hände für Landwirte
Wegen der Corona-Krise fehlen viele Saisonkräfte – Online-Plattform für Erntehelfer startet mit Erfolg
TETTNANG - Geschlossene Grenzen, starke Einschränkungen und eine große Verunsicherung aufgrund der Corona-Krise machen vielen Landwirten derzeit Sorgen. Denn in ein paar Wochen beginnt für sie die arbeitsreichste Zeit des Jahres. Viele Bauern sind auf Saisonarbeitskräfte angewiesen, die nun jedoch oftmals Probleme bei der Einreise haben – oder gar nicht erst einreisen wollen. Doch die Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung ist groß: eine OnlineJobbörse bringt bereits erste Erfolge.
Je nach Sorte fallen im Hopfengarten bereits jetzt die ersten Frühjahrsarbeiten an: Die Drähte müssen aufgehängt und gestupft werden. Und in ein paar Wochen beginnt das sogenannte Anweisen der jungen Triebe an den Draht. Allein für das Hopfenanbaugebiet Tettnang werden für diese Frühjahrsarbeiten etwa 700 bis 800 Arbeitskräfte benötigt, rechnet Jürgen Weishaupt, Geschäftsführer des Tettnanger Hopfenpflanzerverbands, vor.
„Kommt der Hopfen nicht an den Draht oder wird der Spargel nicht geerntet, steht in der Folge das ganze Jahreseinkommen und damit die Existenz von vielen landwirtschaftlichen Familienbetrieben auf dem Spiel“, macht Weishaupt deutlich.
Der deutsche Hopfen etwa mache einen Weltmarktanteil von 40 Prozent aus – es gehe also nicht zuletzt auch um die Versorgungssicherheit für die weltweite Brauindustrie, sagt Weishaupt. Auch hätten einige Brauereien bereits angefragt, ob die Hopfenproduktion für dieses
Jahr gewährleistet werden könne, berichtet er.
„Wir sind aktuell dabei, die Ausreisen für die Erntehelfer zu organisieren“, so Weishaupt. Denn die sei vor allem für Arbeitskräfte aus Rumänien problematisch, weil Ungarn seine Grenzen komplett abgeriegelt habe und so auch die Durchreise nicht mehr möglich sei. Deswegen reisen viele der Saisonkräfte mit dem Flugzeug an.
Etwa 40 Prozent der Erntehelfer bei den Betrieben in der Region kommen laut Weishaupt aus Polen, fast 60 Prozent aus Rumänien und nur wenige aus anderen Ländern.
Weishaupt betont, dass für die Arbeiter keine Gefahr bestehe und alle notwendigen Hygienemaßnahmen eingehalten würden. Die Arbeit erfolge im Freien und nicht in Gruppen.
Wenn die Arbeitskräfte nach Deutschland einreisen möchten, brauchen sie einen Arbeitsvertrag und eine Pendlerbescheinigung. Zusätzlich muss der Arbeitgeber die Namen der Reisenden inklusive der genauen Flugdaten und einer Tätigkeitsbeschreibung an die Bundespolizei melden. Klar ist für Weishaupt jedoch, dass trotz aller Bemühungen nicht alle angeforderten Saisonkräfte kommen werden. Deshalb haben die Landwirte sich um Alternativen bemüht.
Auf Anregung des Tettnanger Maschinenrings hat der Maschinenring Deutschland inzwischen eine bundesweite Online-Plattform unter dem Titel „Das Land hilft“ins Leben gerufen, auf der sich sowohl Betriebe als auch helfende Hände aus der Bevölkerung anmelden können.
Auf einer Karte werden alle Einträge in der jeweiligen Region angezeigt. Mittels der Postleitzahl lassen sich so der nächste landwirtschaftliche Betrieb oder Arbeitskräfte aus der Umgebung finden. Die Plattform ging am Montag in Betrieb, Stand Dienstagabend verzeichnete sie bereits knapp 15 000 Inserate.
„Wir sind überwältigt von der Bereitschaft der Menschen, sich in der Landwirtschaft zu betätigen“, freut sich der Geschäftsführer des Maschinenrings Tettnang, Hubert Hengge. Erste Kontakte, beispielsweise zum Hopfendrahten oder Obstsortieren, seien mit Tettnanger Betrieben auf diese Weise auch schon zustandegekommen, berichtet er. Interessierte können auf Wunsch auch angeben, ob sie beispielsweise Spargel stechen, bei der Erdbeerernte oder im Hopfengarten arbeiten wollen.
Allerdings hätten sich auf der Plattform bisher vor allem Helfer registriert und noch nicht ganz so viele Betriebe, so Hengge. Der Maschinenring
wolle deshalb gezielt auf seine Mitglieder zugehen und sie dazu ermuntern. Die Landwirte stünden nun vor der großen Herausforderung, „eine Vorplanung zu machen, die eigentlich gar nicht möglich ist angesichts des unsicheren Zustands momentan“, fasst Hubert Hengge zusammen. Denn niemand wisse aktuell, wie viele der ursprünglich angeforderten Saisonkräfte aus Polen oder Rumänien tatsächlich nach
Deutschland kommen und wie viele Kräfte aus der Region nötig seien.
Hilfsbereitschaft erfahren viele Landwirte derzeit allerdings auch abseits des Internets: Aufgrund des „Hilferufs“der Bauern hätten viele Menschen sich einfach direkt an Landwirte in ihrer näheren Umgebung gewandt und ihre Hilfe angeboten, erzählt Hengge. Von einer „großen Solidarität und großem Engagement“berichtet auch Jürgen Weishaupt. Sogar
einige ehemalige Hopfenpflanzer, die ihren Betrieb bereits aufgegeben haben, hätten sich gemeldet und ihre Mithilfe angeboten.
Die bundesweite Online-Plattform, auf der sich landwirtschaftliche Betriebe und interessierte Arbeitskräfte anmelden können, ist zu finden unter
G» www.daslandhilft.de