Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Streaming hat sehr viel kaputt gemacht“
Die Happy aus Ulm beklagen, dass es mehr auf Reichweite als Inhalt ankommt - und halten mit ihrem im April erscheinenden Album „Guess What“dagegen
Um die Jahrtausendwende haben Die Happy eine Vielzahl an Fans mit ihrem energiegeladenen Rock gewonnen. Auf das Durchbruchsalbum „Supersonic Speed“folgten viele Konzerte und etliche weitere Platten. Sechs Jahre nach „Everlove“veröffentlicht die Ulmer Truppe um Sängerin Marta Jandova am 10. April ihr neues Album „Guess What“. Christiane Wohlhaupter hat Bandgründer und Gitarrist Thorsten Mewes zur Entstehung des Albums, den Veränderungen in der Musiklandschaft und den Hoffnungen für den Festivalsommer befragt.
Thorsten, Die Happy sind seit den 90er-Jahren aktiv. Wie unterscheidet sich eure Musik auf „Guess What“von euren ersten Versuchen?
Ehrlich gesagt fühlt sich das neue Album an, als würden wir gerade erst unser Debüt veröffentlichen. Es ist so frisch und unbeschwert wie zu den Anfangszeiten. Wir haben ein eigenes Plattenlabel gegründet und treffen alle Entscheidungen selbst. Zwar bleibt auch all die Arbeit an uns hängen, aber das nehmen wir in Kauf – dafür können wir machen, was wir wollen.
Wie hat sich das Roxy in Ulm verändert seit eurem ersten Auftritt dort?
Das Roxy ist immer noch unser Wohnzimmer, es sind noch viele Leute aus den Anfangsjahren da. Der Backstage-Bereich ist neu und sehr gemütlich, aber die Bühne hat sich nicht verändert. Das Publikum ist auch immer großartig, wenn auch älter geworden – wir ja aber auch.
Was waren die prägendsten Erfahrungen für euch als Band?
Die letzten 27 Jahre waren eine wilde Fahrt und es macht immer noch genauso großen Spaß wie am Anfang. Es gab einige Stationen, die uns geprägt haben, nicht zuletzt die Entwicklungen in der Plattenindustrie in den letzten Jahren. Streaming hat sehr viel kaputt gemacht, keiner schätzt mehr das Gesamtkunstwerk Album, es geht nur noch um einzelne Tracks. Dennoch haben wir uns dazu entschlossen, ein ganzes Album zu veröffentlichen. Als Rockband können wir nicht anders.
Da ihr heute nicht mehr alle in Ulm zu Hause seid, habt ihr die letzten beiden Touren über an dem Album gearbeitet. Was ist schwierig an einem so langen Entstehungsprozess?
Das Album ist über die letzten sechs Jahre entstanden, was sehr gut ist. Wir haben viel ausprobiert und waren lange auf der Suche nach dem „neuen“Die-Happy-Sound. Als wir dann Anfang 2019 angefangen haben, das Album aufzunehmen, haben wir als erste Nummer „Guess What“geschrieben – aus einer Laune heraus. Danach war nichts mehr, wie vorher. Wir haben alles über den Haufen geworfen und uns gesagt: Genau so muss das Album klingen: energetisch, wütend und rockig.
Unter welchen Voraussetzung entstehen die besseren Songs: in guten oder in schlechten Zeiten?
Alle in der Band empfinden unsere Leben als sehr privilegiert und wir wissen diesen Luxus, in dem wir in Europa leben dürfen, jeden Tag zu schätzen. Von daher wüsste ich nicht, von welchen „schlechten“Zeiten wir reden. Uns geht es – selbst mit dem aktuellen Corona-Wahnsinn – sehr, sehr gut. Das sollte man nie vergessen. Einzig macht uns die politische Stimmung in diesem Land aktuell große Sorgen. Es ist nicht zu begreifen, woher die ganze Fremdenfeindlichkeit und Angst bei einigen Mitbürgern kommt. Keinen Millimeter nach rechts!
Wie viel Grundlage haben eigene Erfahrungen für eure Songs?
Marta schreibt meist die Texte und verarbeitet darin Dinge, die sie beschäftigen. Das sind oft Geschichten aus Beziehungen, oder wie wir immer so schön sagen: Es geht um Liebe, Sex und Zärtlichkeit. Die Happy war noch nie eine politische Band, wir wollen den Menschen bei unseren Konzerten und mit unseren Songs ein positives Gefühl geben – auch wenn es hier und da auch mal etwas melancholisch werden kann.
Wie stehen eure Hoffnungen für den Festivalsommer 2020?
Aktuell sehen die Prognosen eher düster aus, aber wir blicken wie immer positiv in die Zukunft und hoffen, dass wir den Festivalsommer einfach etwas später einläuten werden. Die Menschen gehen einfach gerne raus und hören sich Musik unter freiem Himmel an – das wird auch dieses Jahr wieder passieren.
Ihr kreidet der Musikszene niveaulosen Schlager, primitiven Einheitspop und hirnverbrannten Gangsterrap an. Was ist denn mit all den Rockbands passiert?
Das fragen wir uns ehrlich gesagt auch. Ich glaube, dass Spotify und Co einen großen Teil dazu beitragen. Es geht nur noch um Hits, Hits, Hits. Da werden in den USA Hip-Hop-Acts mit dreistelligen Millionenbeträgen unter Vertrag genommen – alleine anhand von Streaming-Zahlen. Da geht es nur um Reichweite und nicht um Inhalt Die Konsumenten am anderen Ende sind sehr schnell gelangweilt und brauchen ständig neues Futter. Aber es gibt sie noch, die Menschen, die handgemachte, ehrliche Rockmusik hören und lieben. Und genau für diese Leute haben wir unsere neunte Studioplatte aufgenommen.
Was könnte besser in der deutschen Musikszene laufen?
Grundsätzlich könnten die Radiostationen mehr deutsche Acts pushen. Aktuell liegt der Anteil im Radio gespielter nationaler Künstler bei etwa 15 Prozent – das ist einfach viel zu wenig. Andererseits sind wir eine Band, die ohnehin nicht im Radio stattfindet – zumindest nicht außerhalb der klassischen Sparte Rockradio. Doch so lange unsere Fans noch zu unseren Konzerten kommen, ist eigentlich alles so, wie es sein muss.
Live: 12.11. München, Strom; 13.11. Ulm, Roxy; 27.12. Stuttgart, Im Wizemann.