Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Diana Damrau singt Richard Strauss
Mit ihrer mühelosen Höhe, den großen Melodiebögen, den glitzernden Koloraturen, ihrer Pianokultur und dem silbernen Glanz ihrer Stimme ist die aus Günzburg stammende Sopranistin Diana Damrau eine der profiliertesten Strauss-Sängerinnen unserer Tage. Dies zeigt sie in ihrer jüngsten CD, auf der einerseits die „Vier letzten Lieder“, andererseits eine Reihe von klavierbegleiteten Liedern von Richard Strauss verbunden sind.
Für Strauss‘ Spätwerke und das zart gesponnene letzte Lied „Morgen“sind das wunderbar farbenreiche und warm abgemischte Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und Mariss Jansons die Partner der Sängerin – es ist eine der letzten Aufnahmen des im Dezember verstorbenen Chefdirigenten. Man erlebt die Fülle des aufblühenden Orchesters ebenso wie die filigranen Linien des Konzertmeisters Anton Barakhovsky und die klangschönen Bläsersoli des Münchner Spitzenorchesters.
Für die anderen Lieder haben sich die Sängerin und ihr Klavierpartner Helmut Deutsch in den Markus-Sittikus-Saal in Hohenems begeben, sind sie doch seit Jahren umjubelte Gäste bei der Schubertiade. Hier stehen der vierteilige Zyklus „Mädchenblumen“nach Texten von Felix Dahn und die „Drei Lieder der Ophelia“im Mittelpunkt, dazu einige bekannte und auch unbekanntere Lieder.
Strauss liebte die Sopranstimme, wie seine Opern und diese Lieder zeigen, Diana Damrau vermittelt mit ihrer Stimme das Blühen, die Charaktere, den koketten Charme und auch die oft schwüle Sinnlichkeit der Texte. Man versteht nicht immer alles oder nur mithilfe des Booklets, doch kann man sich auch einfach der „Fülle des Wohllauts“hingeben – die Texte sind zum Teil eh von zweifelhafter Qualität. Helmut Deutsch ist der Garant für höchst facettenreiche Klavierbegleitung, er lässt den Flügel aufrauschen und gemeinsam mit der Sängerin jubilieren, weiß sich aber auch wunderbar zurückzunehmen oder in sanfter Ironie auszudrücken. (kvg)
Richard Strauss, Diana Damrau. „Vier letzte Lieder“. Label Erato (Warner Classics), 0190295 303464
Es waren erschütternde Bilder, die uns in den letzten Wochen aus Italien erreichten: Übereinander gestapelte Särge, daneben ein paar Kreuze an der Wand. Ein weinender Greis mit Kreuz in der Hand. Ein vermummter Arzt, der einem Sterbenden über der Atemmaske ein Kreuz auf die Stirn zeichnet… Da ließ sich ermessen, wie bedeutsam für gläubige Christen doch das Kreuz ist – vor allem wenn sie nun von ihren Angehörigen ohne die gewohnten Riten der Religion Abschied nehmen müssen. Und was ist ein Kreuz für die anderen? Gerade zu Beginn der Karwoche kann man sich schon Gedanken machen, wie es eigentlich um jenes zentrale Symbol des Christentums steht in unserer Welt der fortschreitenden Säkularisierung.
Bestandsaufnahmen bedingen einen Rückblick: Als Sinnbild für Tod und Erlösung zugleich ist das Kreuz ein schier unbegreifliches Symbol – von Anfang an bis heute. In der Zeit nach Golgotha um das Jahr 30 kam jedoch etwas hinzu: Die Kreuzigung galt bei den Römern als schändlichste, qualvollste Hinrichtungsart, gedacht für Schwerverbrecher. So war die Vorstellung, ausgerechnet Gottes Sohn habe sich von Menschen wie ein Mensch kreuzigen lassen, einer überwiegend nichtchristlichen Bevölkerung kaum zu vermitteln. Es ist bezeichnend, dass die älteste bekannte Darstellung eines Kreuzes ein hämisches Graffito aus einer Wachstube im römischen Kaiserpalast des 3. Jahrhunderts ist: Da betet ein Mann vor einem Kreuz, aber der Gekreuzigte hat einen Eselskopf – will heißen: eine Religion für Dumme.
Es bedurfte schon sehr wirkmächtiger Mythen, um das zu ändern. Die Legende vom Kreuzzeichen am Himmel, das Kaiser Konstantin vor der Schlacht an der milvischen Brücke in Rom 312 den Sieg signalisiert hatte, führte zu einem Umdenken. Hinzu kam kurz danach die Kunde, dass Helena, die Mutter des Kaisers, in Jerusalem das wahre Kreuz wiedergefunden hatte. So schlug die frühere Verfolgung der Christen in Duldung um, und unter Kaiser Theodosius stieg das Christentum schließlich um 380 zur Staatsreligion auf. Damit galt das Kreuz als Zeichen sowohl für den grausamen Opfertod als auch für den Sieg, den Christus durch seine Auferstehung für die Menschheit errungen hatte. Genau in dieser sperrigen Ambivalenz begleitet das Kreuz seither die gesamte Christenheit – von der Taufe bis zum Grab.
Jene Aufwertung des Christentums unter Theodosius hatte einen Nebeneffekt: Das Kreuz wurde über lange Jahrhunderte hinweg zum Zeichen von gottgewollter Herrschaft – wer auch immer sie im Namen Christi ausübte, im Guten oder im Schlechten. Und damit ging dann auch eine religiöse Motivierung des Kriegshandwerks einher. In der festen Überzeugung, den einzig wahren Glauben zu verteidigen, ließ sich fortan jede Gewalt nach außen oder nach innen rechtfertigen.
In diesem Geist unterwarf Kaiser Karl der Große um 800 brutal die Sachsen, massakrierten die Kreuzritter um 1100 bei der Wiedereroberung Jerusalems die Muslime, kämpften die christlichen Heere in der frühen Neuzeit die Türken nieder. Und noch beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs beteuerten deutsche Prediger beider Konfessionen den Feldzug gegen nicht minder christliche Nachbarnationen als gottgewollte heilige Pflicht. Dass sich zuvor schon in den Glaubenskriegen nach der Reformation katholische und protestantische Christen auf deutschem Boden unter Kreuzesfahnen gegenseitig abgeschlachtet hatten, gilt als eines der unrühmlichsten Beispiele für religiöse Verblendung. Zu den Untaten unter dem Kreuz zählen zudem die Verfolgung der Juden, der Kampf gegen die Ketzer, das Wüten der Hexenjäger – und nicht zuletzt der Missbrauch in unseren Tagen.
An eindringlichen Warnungen von Kirchenvertretern vor dieser völligen Verkennung der Botschaft Christi und des tieferen Sinns seines Todes am Kreuz hat es nie gefehlt, aber sie verhallten in der Regel. Und die Liste der Beweise für ein gottesfürchtiges Leben von Abermillionen von Christen nach dem Gebot der
Nächstenliebe quer durch die Jahrhunderte mag noch so lang sein, das düstere Bild einer Kirche, die Christus als Kriegsherr missdeutete, lässt sich nur schwer auslöschen.
„In der Bibel wurde Jesus nur einmal gekreuzigt, in der Geschichte des Christentums unaufhörlich.“Von Karl Heinz Deschner, einem notorisch hasserfüllten Kirchenkritiker, stammt dieses Zitat. Überspitzt, gewiss, aber ganz abtun kann man es leider nicht. So verwundert es auch nicht, dass diese offene Flanke – ungeachtet aller immensen spirituellen und kulturellen Leistungen des Christentums – stets zum Angriff verlockte und letztlich einer der Gründe war für dessen schleichende Erosion seit der Aufklärung. Mehr und mehr galt das Kreuz als unzumutbar. Der Weg zum Respektverlust bis hin zum blasphemischen Spott war vorgezeichnet – und damit nebenbei auch der Vorwand gegeben, einer sehr anspruchsvollen Religion den Rücken zu kehren.
Für eine Absetzbewegung steht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995 zum Kreuz im
Klassenzimmer. Nach einer Elternbeschwerde aus Bayern hatte es entschieden, dass das Anbringen von Kreuzen in einer staatlichen Pflichtschule gegen das Verfassungsprinzip verstößt, wonach es den Bürgern zu überlassen sei, welche religiösen Symbole sie anerkennen und welche nicht. Damit ließen die Richter zwar den Charakter des Kreuzes als universelles religiöses Symbol unangetastet, ja, sie betonten ihn sogar. Aber nicht christlichen Kindern wollten sie den Anblick nicht mehr zumuten. Dass dieser Prozess ein paar Jahrzehnte früher anders verlaufen wäre, ist anzunehmen.
Auf einem anderen Blatt stand die unverfrorene Aktion des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der 2018 im Landtagswahlkampf in allen Amtsstuben des Freistaates ein Kreuz aufhängen ließ. In ihm spiegele sich „bayerische Identität und Lebensart“, meinte Söder zur Rechtfertigung, obwohl es ihm eher um das Kreuzchen auf dem Wahlzettel gegangen war. Es hagelte berechtigte Kritik von allen Seiten. Vor allem begehrten ausgerechnet die Vertreter der Kirche auf. „Wenn das Kreuz nur als kulturelles Symbol gesehen wird, hat man es nicht verstanden“, erklärte der damalige Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Marx, zu Recht. Es sei „ein Zeichen des Widerspruchs gegen Gewalt, Ungerechtigkeit, Sünde und Tod, aber kein Zeichen gegen andere Menschen.“
Wie schmal der Grat der Interpretationen ist, lässt sich an vielen Diskussionen ablesen, die in Zeiten wachsender Religionsferne verstärkt aufkommen. Gipfelkreuze gibt es in den Bergen seit dem Mittelalter, errichtet als Wegmarken und Zeichen des Glaubens, und dieser Tradition blieb man in den noch eher christlich orientierten Alpenländern bis heute treu. Diese Kreuze als Missbrauch der Berge für religiöse Zwecke zu verlästern und ihre Entfernung zu fordern, sollte unter der Würde eines Reinhold Messner sein. Aber der Beifall atheistischer Kreise ist ihm sicher.
Solche Kreise waren es auch, die Sturm liefen gegen die Anbringung eines Kreuzes auf der Spitze des Humboldt Forums in Berlin. Bei der Entscheidung für den Wiederaufbau des zerstörten Stadtschlosses hatte man auch das frühere Kuppelkreuz abgesegnet. Warum es als historisches Zitat auf dem Dach unvereinbar sein soll mit dem angestrebten Dialog der Kulturen innerhalb des Gebäudes, will nicht einleuchten.
Da haben es eingeführte Institutionen leichter. Dass das Rote Kreuz hinterfragt würde, hört man nicht. Und dabei geht das weiß-rote Signet der vom Schweizer Henri Dunant nach dem Gemetzel von Solferino 1859 angeregten Hilfsorganisation auf die rot-weiße Schweizer Flagge zurück – und damit auf ein uraltes militärisches Feldzeichen der Eidgenossen. Kein Protest auch bei den Hilfsdiensten der Malteser oder Johanniter mit ihren achtspitzigen Kreuzen. Desgleichen bei Organisationen, die sich mit ihrem Kreuz-Logo einfach anhängten: das Blaue Kreuz, unter dem man gegen den Alkoholmissbrauch kämpft, oder das Grüne Kreuz, bei dem es um Gesundheitsvorsorge geht.
Apropos: Seit letztem Herbst stehen grüne Kreuze auf vielen Wiesen und Äckern Oberschwabens – gedacht als stiller Protest der Landwirtschaft gegen „restriktive Agrarpolitik und übertriebenen Artenschutz“. Die Reaktion war sehr gemischt, ob unter Bauern oder Geistlichen: Bedenken wegen der Zweckentfremdung eines urchristlichen Symbols auf der einen Seite, Verständnis für die extremen Probleme der Landwirte als Garanten unserer Grundversorgung auf der anderen. Vielleicht hilft der Blick zurück: Bauern haben schon immer Kreuze auf ihre Felder gestellt. „Segne unsere Fluren!“stand darauf, und zwischen der Arbeit verharrten sie dort im Gebet. So ist man geneigt, diesen Fremdeinsatz des Kreuzes eher hinzunehmen – als Hilferuf in der Not, in dem das religiöse Erinnern nachhallt.
Genau diese Nachsicht versagt sich auf einem anderen Gebiet. Wurde das Kreuz früher nur von überzeugten Christen verwendet, so hat das rasante Schwinden der christlichen Sozialisation und damit des Wissens um Opfertod und Erlösung für einen radikalen Schwenk gesorgt. Zwar tragen es viele immer noch zur Demonstration ihres Glaubens. Seit rund 30 Jahren wird das Kreuz aber vermehrt als trendiger Schmuck gesehen, als hippe Dekoration, als „emotional design“– und das bar jeder christlichen Konnotation. Im Gegenteil. Es baumelt an der behaarten Rapper-Brust oder am offenherzigen Girlie-Dekolleté, es prangt auf Spitzen-Dessous oder schwarzen Gothic-Kutten. Ob das jeweils schierer Hohlheit geschuldet ist, naivem Imponiergehabe oder der Lust am Tabubruch, sei dahingestellt. Für viele Christen grenzt es an Provokation, es macht sie sprachlos – und traurig.
So drängt sich gerade in diesen Tagen des weltweit anwachsenden unsäglichen Leids eine Erkenntnis auf: Man sollte das Kreuz unbedingt denen überlassen, die es im wahren Sinn des Wortes verehren, für die es Halt ist, Trost und Symbol der Hoffnung zugleich.