Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Essen für die Armen in der Coronakrise
Vorsichtsmaßnahmen treffen Obdachlose hart – Vor St. Canisius gibt es ein neues Hilfsangebot
FRIEDRICHSHAFEN - Ein Mann steht auf dem Kirchplatz von St. Petrus Canisius und schaut unschlüssig zu den Biertischen, an denen Essen ausgegeben wird. Diakon Ulrich Föhr tritt zu ihm und fragt ihn, ob er Hunger habe. „Ich habe aber ganz wenig Geld“, sagt der Angesprochene vorsichtig. Und als Föhr ihm erklärt, dass die Kässpätzle nichts kosten, lässt sich der erleichterte Mann von Sozialarbeiterin Claudia Schnetgöke eine Portion reichen.
Das Angebot vor St. Canisius ist eine Reaktion auf das Coronavirus. Schon seit rund zwei Wochen werden in den Unterkünften für Wohnungslose in Friedrichshafen keine Mahlzeiten mehr ausgegeben und die Aufenthaltsräume sind gesperrt. Die Bewohner müssen sich selbst etwas zu essen besorgen, an Imbissen oder in Supermärkten. All das greift die klammen Geldbeutel an.
Claudia Schnetgöke hatte die Idee, wie das Essensangebot gerettet werden könnte: Mit einer mobilen Essensausgabe unter freiem Himmel. Wo es genügend Platz gibt, um die Sicherheitsabstände einzuhalten, die vor Ansteckung schützen sollen. Der Kirchplatz von St. Petrus Canisius war schnell gefunden: Dekan Bernd Herbinger gab seine Zustimmung gern. Die Stadt Friedrichshafen und das Landratsamt begrüßen die Initiative ebenfalls; beide unterstützen sie mit einem vierstelligen Betrag. Wenn er nicht ausreichen sollte, springen weitere Einrichtungen ein, wie zum Beispiel das katholische Stadtdiakonat. „Das Geld spielt für dieses Hilfsangebot keine Rolle“, sagt Stadtdiakon Ulrich Föhr. Das Essen für Obdachlose und Wohnungslose findet künftig an jedem Tag außer sonntags von 12 bis 13 Uhr auf dem Kirchplatz von St. Canisius statt. So lange, wie Corona dieses Angebot nötig machen sollte.
Der Kirchplatz liegt zentral, er ist gut einsehbar und frei von Hindernissen, die den Zugang erschweren. Wie wichtig das ist, zeigt sich, als ein alter Mann sich nähert, gestützt auf einen Rollator. Er sei in letzter Zeit oft zusammengebrochen, erzählt er Claudia Schnetgöke über die wegen Corona extra breite Theke hinweg. Außerdem sei er im Riedlewald zusammengeschlagen worden. Claudia Schnetgöke behandelt den Mann mit Respekt und Fürsorge. Essen holen, das merkt man hier, ist auch eine Gelegenheit, ein wenig von der Last des eigenen Lebens los zu werden.
Durchgeführt wird diese Speisung von der Herberge, dem Stadtdiakonat und den Streetworkern des Vereins Arkade. „Meine Kollegen stehen voll dahinter“, sagt Streetworker Florian Nägele. Dass die katholische Kirche mit im Boot ist, freut ihn ebenso wie der feste Ort, den die Aktion gefunden hat: den Kirchplatz. „Die Armenspeisungen der Kirche sind schließlich die Ursprünge der Sozialarbeit“, sagt Nägele.
Der wesentliche Bestandteil ist aber freilich das Essen. In dieser Woche stammt es aus der Küche des Hotels Knoblauch in Jettenhausen. Dreißig Mahlzeiten werden zum Auftakt geliefert, die aber an diesem
Tag noch nicht alle weggehen. Dazu ist die Aktion noch zu neu. Ulrich Föhr glaubt jedoch, dass sie sich schnell herumsprechen wird. Das Hotel Knoblauch habe sich für einen geringen Preis zur Mitwirkung erklärt, sagt Föhr – wohl nicht nur, weil durch Corona das Gastronomiegeschäft wegbricht, sondern auch aus Idealismus. Darüber hinaus ist geplant, dass auch andere Betriebe das Essen bereitstellen.
Claudia Schnetgöke trägt bei der Ausgabe des Essens Gummihandschuhe. Wegen Corona füllt sie es in Pappschalen und verteilt Einwegbesteck. Auch sonst entspricht alles den Vorsichtsmaßnahmen: Ein Klebestreifen auf dem Boden markiert die Abstandszone. Tische und Bänke, an denen das Essen verzehrt werden könnte, wurden nicht aufgestellt. Sie könnten dazu einladen, die erwünschte Distanz zueinander zu unterschreiten.
Zum Glück gibt es die zur Kirche führenden Stufen des langgezogenen Treppenabsatzes, die geräumiges Sitzen erlauben. Essen im Stehen wäre eine allzu ungemütliche Sache. Und die Kirche St. Canisius hat noch einen weiteren Vorzug: den Arkadengang am Portal. Bei schlechtem Wetter wird die Essensausgabe hierher ins Trockene verlegt. Auch in dieser Hinsicht wollen die Organisatoren niemanden im Regen stehen lassen.
Tagesspruch: Solange ich gekonnt, habe ich gearbeitet, wird's Feierabend früher als gedacht, nun, in Gottes Namen. (Adolph Kolping, 1813 bis 1865, katholischer Arbeiterseelsorger)
Außerdem: Legt euch eine Clownnase ins Handschuhfach eures Autos. Setzt sie auf, wenn ihr nach Hause fahrt, und beobachtet die Leute. Das ist viel besser, als sich nach Feierabend einen anzutrinken. (Charles W. Metcalf)
Sowieso: Mach mal ruhig Pause – die Welt kommt auch ohne uns nicht zurecht. (Jobst Quis, geobren 1953, Aphoristiker, Essayist)
Aus der Bibel: Komm wieder zur Ruhe, meine Seele, denn der Herr hat dir Gutes erwiesen. (Ps 116,7) Namenstage:
Samstag: Konrad von Weissenau, Isidor
Sonntag Palmsonntag, Kreszentia, Vinzenz
Heute vor 495 Jahren (1525): Bei Leipheim wird der Leipheimer Haufen, der sich im Deutschen Bauernkrieg gegen die Stadt Ulm erhoben hat, von einem Landknechtsheer des Schwäbischen Bundes unter Führung von Georg von Waldburg-Zeil zerschlagen.