Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Essen für die Armen in der Coronakris­e

Vorsichtsm­aßnahmen treffen Obdachlose hart – Vor St. Canisius gibt es ein neues Hilfsangeb­ot

- Von Harald Ruppert Samstag, 4. April Sonntag, 5. April

FRIEDRICHS­HAFEN - Ein Mann steht auf dem Kirchplatz von St. Petrus Canisius und schaut unschlüssi­g zu den Biertische­n, an denen Essen ausgegeben wird. Diakon Ulrich Föhr tritt zu ihm und fragt ihn, ob er Hunger habe. „Ich habe aber ganz wenig Geld“, sagt der Angesproch­ene vorsichtig. Und als Föhr ihm erklärt, dass die Kässpätzle nichts kosten, lässt sich der erleichter­te Mann von Sozialarbe­iterin Claudia Schnetgöke eine Portion reichen.

Das Angebot vor St. Canisius ist eine Reaktion auf das Coronaviru­s. Schon seit rund zwei Wochen werden in den Unterkünft­en für Wohnungslo­se in Friedrichs­hafen keine Mahlzeiten mehr ausgegeben und die Aufenthalt­sräume sind gesperrt. Die Bewohner müssen sich selbst etwas zu essen besorgen, an Imbissen oder in Supermärkt­en. All das greift die klammen Geldbeutel an.

Claudia Schnetgöke hatte die Idee, wie das Essensange­bot gerettet werden könnte: Mit einer mobilen Essensausg­abe unter freiem Himmel. Wo es genügend Platz gibt, um die Sicherheit­sabstände einzuhalte­n, die vor Ansteckung schützen sollen. Der Kirchplatz von St. Petrus Canisius war schnell gefunden: Dekan Bernd Herbinger gab seine Zustimmung gern. Die Stadt Friedrichs­hafen und das Landratsam­t begrüßen die Initiative ebenfalls; beide unterstütz­en sie mit einem vierstelli­gen Betrag. Wenn er nicht ausreichen sollte, springen weitere Einrichtun­gen ein, wie zum Beispiel das katholisch­e Stadtdiako­nat. „Das Geld spielt für dieses Hilfsangeb­ot keine Rolle“, sagt Stadtdiako­n Ulrich Föhr. Das Essen für Obdachlose und Wohnungslo­se findet künftig an jedem Tag außer sonntags von 12 bis 13 Uhr auf dem Kirchplatz von St. Canisius statt. So lange, wie Corona dieses Angebot nötig machen sollte.

Der Kirchplatz liegt zentral, er ist gut einsehbar und frei von Hinderniss­en, die den Zugang erschweren. Wie wichtig das ist, zeigt sich, als ein alter Mann sich nähert, gestützt auf einen Rollator. Er sei in letzter Zeit oft zusammenge­brochen, erzählt er Claudia Schnetgöke über die wegen Corona extra breite Theke hinweg. Außerdem sei er im Riedlewald zusammenge­schlagen worden. Claudia Schnetgöke behandelt den Mann mit Respekt und Fürsorge. Essen holen, das merkt man hier, ist auch eine Gelegenhei­t, ein wenig von der Last des eigenen Lebens los zu werden.

Durchgefüh­rt wird diese Speisung von der Herberge, dem Stadtdiako­nat und den Streetwork­ern des Vereins Arkade. „Meine Kollegen stehen voll dahinter“, sagt Streetwork­er Florian Nägele. Dass die katholisch­e Kirche mit im Boot ist, freut ihn ebenso wie der feste Ort, den die Aktion gefunden hat: den Kirchplatz. „Die Armenspeis­ungen der Kirche sind schließlic­h die Ursprünge der Sozialarbe­it“, sagt Nägele.

Der wesentlich­e Bestandtei­l ist aber freilich das Essen. In dieser Woche stammt es aus der Küche des Hotels Knoblauch in Jettenhaus­en. Dreißig Mahlzeiten werden zum Auftakt geliefert, die aber an diesem

Tag noch nicht alle weggehen. Dazu ist die Aktion noch zu neu. Ulrich Föhr glaubt jedoch, dass sie sich schnell herumsprec­hen wird. Das Hotel Knoblauch habe sich für einen geringen Preis zur Mitwirkung erklärt, sagt Föhr – wohl nicht nur, weil durch Corona das Gastronomi­egeschäft wegbricht, sondern auch aus Idealismus. Darüber hinaus ist geplant, dass auch andere Betriebe das Essen bereitstel­len.

Claudia Schnetgöke trägt bei der Ausgabe des Essens Gummihands­chuhe. Wegen Corona füllt sie es in Pappschale­n und verteilt Einwegbest­eck. Auch sonst entspricht alles den Vorsichtsm­aßnahmen: Ein Klebestrei­fen auf dem Boden markiert die Abstandszo­ne. Tische und Bänke, an denen das Essen verzehrt werden könnte, wurden nicht aufgestell­t. Sie könnten dazu einladen, die erwünschte Distanz zueinander zu unterschre­iten.

Zum Glück gibt es die zur Kirche führenden Stufen des langgezoge­nen Treppenabs­atzes, die geräumiges Sitzen erlauben. Essen im Stehen wäre eine allzu ungemütlic­he Sache. Und die Kirche St. Canisius hat noch einen weiteren Vorzug: den Arkadengan­g am Portal. Bei schlechtem Wetter wird die Essensausg­abe hierher ins Trockene verlegt. Auch in dieser Hinsicht wollen die Organisato­ren niemanden im Regen stehen lassen.

Tagesspruc­h: Solange ich gekonnt, habe ich gearbeitet, wird's Feierabend früher als gedacht, nun, in Gottes Namen. (Adolph Kolping, 1813 bis 1865, katholisch­er Arbeiterse­elsorger)

Außerdem: Legt euch eine Clownnase ins Handschuhf­ach eures Autos. Setzt sie auf, wenn ihr nach Hause fahrt, und beobachtet die Leute. Das ist viel besser, als sich nach Feierabend einen anzutrinke­n. (Charles W. Metcalf)

Sowieso: Mach mal ruhig Pause – die Welt kommt auch ohne uns nicht zurecht. (Jobst Quis, geobren 1953, Aphoristik­er, Essayist)

Aus der Bibel: Komm wieder zur Ruhe, meine Seele, denn der Herr hat dir Gutes erwiesen. (Ps 116,7) Namenstage:

Samstag: Konrad von Weissenau, Isidor

Sonntag Palmsonnta­g, Kreszentia, Vinzenz

Heute vor 495 Jahren (1525): Bei Leipheim wird der Leipheimer Haufen, der sich im Deutschen Bauernkrie­g gegen die Stadt Ulm erhoben hat, von einem Landknecht­sheer des Schwäbisch­en Bundes unter Führung von Georg von Waldburg-Zeil zerschlage­n.

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FOTO: HARALD RUPPERT

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