Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Zerreißpro­be für Europa

- Von DanielaG Weingärtne­r

Der viel beschworen­e deutschfra­nzösische Motor scheint stotternd wieder anzuspring­en. Per Twitter stellte Finanzmini­ster Olaf Scholz klar, dass er gemeinsam mit seinem französisc­hen Amtskolleg­en Bruno Le Maire an einer Lösung im Finanzstre­it arbeite. „Wiederaufb­aufonds“heißt das Zauberwort. Aber ähnlich wie bei Präsident Macrons Lieblingsp­rojekt, dem eigenen Budget für die Eurozone, wird auch diesmal Umfang und Art der Finanzieru­ng nicht ausbuchsta­biert, um die zerbrechli­che Harmonie der beiden Nachbarn nicht gleich wieder aufs Spiel zu setzen.

Das Misstrauen gegen das als einschücht­ernd tüchtig, aber auch als herzlos und zwanghaft sparsam erlebte Deutschlan­d ist seit Gründung der EU nie ganz verstummt. Mit ihrer als großherzig empfundene­n Flüchtling­spolitik konnte Angela Merkel den Imageschad­en halbwegs wieder wettmachen, den Sparminist­er Wolfgang Schäuble in der Finanzkris­e angerichte­t hatte. Doch während der Pandemie nimmt der Argwohn unserer Nachbarn wieder zu.

Deutschlan­d hat bisher gemessen an der Zahl der positiv getesteten Patienten eine geringe Todesrate zu verzeichne­n. Das erzeugt Bewunderun­g für unser Gesundheit­ssystem, verfestigt aber gleichzeit­ig das Klischee vom pedantisch­en und einzelgäng­erischen Musterschü­ler. Vom anfänglich­en Exportverb­ot für Schutzausr­üstung bis zur kategorisc­hen Ablehnung von Corona-Bonds wird Deutschlan­d als ein Gemeinwese­n wahrgenomm­en, das aus seiner privilegie­rten Lage heraus nicht großzügig, sondern vielmehr kleinkarie­rt und auf den eigenen Vorteil bedacht handelt.

Wenn ab 1. Juli Deutschlan­d für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Regierunge­n führt, werden Europa und die Welt mehr noch als jetzt darauf schauen, wie solidarisc­h sich die Deutschen gegenüber ihren Nachbarn zeigen. Gleichzeit­ig wird der Bundeshaus­halt schon durch die Bewältigun­g der nationalen CoronaFolg­en stark strapazier­t sein. Das könnte zu einer Zerreißpro­be führen, die am Ende die europäisch­e Integratio­n als Ganzes infrage stellt.

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