Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Fahrt ins Ungewisse
Eine Finanzierungsreform soll den ÖPNV im Südwesten günstiger machen – Busunternehmer fürchten einen Verdrängungswettbewerb
TÜBINGEN/WALDBURG - Ein einsamer Bus steht auf dem Betriebshof, ansonsten ist der Platz vor den Garagen von Omnibus Schnaith in Tübingen leer gefegt. „Alle Busse sind draußen“, sagt Rainer Klink zufrieden. „So soll es sein.“Klink führt Omnibus Schnaith in der dritten Generation, neben der Zentrale in Tübingen gehören eine weitere Firma in Mössingen und eine in Tuttlingen dazu. Oberstes Ziel des Mittelständlers ist es, das Unternehmen auch in der vierten und fünften Generation in der Familie zu halten. Die Tochter arbeitet in der Firma mit, Enkelkinder gibt es auch schon. Damit das Unternehmen am Markt bestehen kann, da ist sich Klink sicher, muss es aber wachsen. Doch stattdessen droht ihm nun ein existenzgefährdender Rückschlag.
Mit seiner Tuttlinger Firma, der Stadtbus Tuttlingen Klink GmbH, hatte der Unternehmer an einer Ausschreibung von Buslinien im Landkreis Konstanz teilgenommen. Er gewann drei von vier Losen und ist seit dem Jahreswechsel für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) rund um Radolfzell, Engen und Singen zuständig. Doch der Betriebsstart ging gründlich daneben. Viele Busse kamen zu spät oder gar nicht, andere fuhren zu früh los. Am Steuer saßen Fahrer ohne Ortskenntnis, elektronische Fahrgastanzeigen funktionierten nicht. Etwa 2000 Beschwerden gingen allein in den ersten drei Januarwochen im Landratsamt Konstanz ein. Beim Landkreis, wo man den Bürgern mit dem Betreiberwechsel eigentlich einen deutlich besseren Busverkehr anbieten wollte, war man verstimmt.
„Wir sind nicht gut gestartet“, räumt Rainer Klink ein. Er sitzt im Büro seiner Tübinger Firmenzentrale und versucht zu erklären, warum er am westlichen Bodensee nun der Buhmann für Tausende Pendler ist. Die Suche nach Fahrern habe Probleme bereitet, die Umsetzung des Fahrplans ebenso. Und die Busse, die mit einem halben Jahr Vorlauf für Dezember 2019 beim türkischen Hersteller Temsa bestellt worden waren, seien bis Ende Februar noch immer nicht geliefert worden. Der Vertrag wurde daraufhin aufgelöst, aber wichtige Verkabelungen für die digitalen Anzeigen lagen noch Wochen in der Türkei. „Ich will nicht alles auf Temsa schieben“, sagt Klink. „Aber wenn zwölf Busse nicht geliefert werden, ist das ein Problem.“
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, einer, der nicht nur im Landkreis Konstanz eine Rolle spielt, sondern in ganz Baden-Württemberg. Denn die Landesregierung hat die ÖPNV-Finanzierung komplett umgekrempelt. Zuständig für den Nahverkehr im Südwesten sind zwar seit jeher die Landkreise. Bisher kam das meiste Geld dafür, 200 Millionen Euro im Jahr, aber vom Land und ging direkt an die Busunternehmen. Es war als Ausgleich für rabattierte
Schülerkarten gedacht. Seit 2018 geht das Geld nun an die Kreise, ab 2021 legen das Land und die Kommunalverbände schrittweise noch einmal je 25 Millionen Euro drauf, sodass ab 2023 jährlich 250 Millionen Euro für Busse und Straßenbahnen in BadenWürttemberg zur Verfügung stehen. Dieses Geld können die Landkreise jetzt in eigener Regie ausgeben – und nun auch selbst Kriterien für die Ausschreibungen festlegen, beispielsweise zu Linienverläufen, der Fahrtenzahl pro Tag oder zur Anerkennung von Verbundtarifen.
So hat es auch der Landkreis Konstanz gemacht, der mit der Ausschreibung festlegte, dass interessierte Firmen eine Million Bus-Kilometer im Jahr mehr leisten müssen als bisher – ein Ausbau des ÖPNVAngebots um 20 Prozent auf einen Schlag. Für die Fahrgäste klingt das gut, auch politisch lässt sich eine Stärkung des Busverkehrs in Zeiten des Klimawandels gut vermarkten. Doch die neue Freiheit hat ihre Tücken. Unter anderem, weil teils so viele Buslinien in einem Los zusammengefasst werden, dass kleine Unternehmen Mühe haben, sich daran zu beteiligen. Die Firma von Rainer Klink, die zuvor 50 eigene Busse hatte, musste allein für den neuen Auftrag im Kreis Konstanz 65 weitere anschaffen – das muss ein Unternehmen erst einmal stemmen. Ein durchschnittlicher baden-württembergischer Busunternehmer hat 15 Fahrzeuge auf dem Betriebshof stehen.
Große Lose sind nicht nur im Landkreis Konstanz ein Problem für die Unternehmer. Im Landkreis Biberach sei das ähnlich, berichtet Peter Fromm, Geschäftsführer von Fromm-Reisen aus Wain. „Viele kleine und mittlere Unternehmer sind gar nicht mehr in der Lage, ein Angebot abzugeben.“
Peter Fromm, Geschäftsführer von Fromm-Reisen aus Wain
Der scharfe Wettbewerb ist Neuland für die Branche. Vor der Reform bewarben sich die Unternehmer in der Regel auf Strecken, die sie schon lange bedienten, und ihre Verträge wurden ohne viel Aufhebens verlängert. Oft waren sie als Subunternehmer der großen Bahnbusgesellschaften wie RAB ZugBus im Regierungsbezirk Tübingen oder Südbadenbus im Regierungsbezirk Freiburg unterwegs – ein berechenbares, langfristiges Geschäft. Mit der Neuregelung 2018 hat sich das geändert, wenn auch nicht überraschend. „Dass der
Wettbewerb kommt, war ein Stück weit klar, das hat man kommen sehen“, sagt Busunternehmer Fromm. Aber die Angebote, die seine Kollegen inzwischen bei den Landkreisen einreichen, erstaunen ihn dann doch. „Wenn man hört, was angeboten wird, wundert es einen schon, wie das auskömmlich sein soll.“
Der Ausschreibungswettbewerb führe zu „teils wesentlich besseren Preisen für Verkehrsleistungen“, heißt es aus dem Stuttgarter Verkehrsministerium, das die Reform mit den kommunalen Verbänden ausgehandelt hat. Der Verband der Baden-Württembergischen Omnibusunternehmer (WBO) mahnt jedoch, dass das womöglich nicht von Dauer ist. „Die Landkreise ziehen sich langfristig Strukturen heran, die sie wesentlich teurer zu stehen kommen“, warnt Bernd Grabherr, WBOVorsitzender im Regierungsbezirk Tübingen und Inhaber eines Unternehmens mit 18 Bussen in Waldburg (Landkreis Ravensburg). „Es werden nur wenige Busunternehmen übrig bleiben, die dann den Preis bestimmen.“Sollen Mittelständler letztendlich aus dem Markt gedrängt werden? „Es macht den Eindruck“, sagt Grabherr. „Man will nicht mit den vielen Kleinen. Sie scheinen aus Sicht des Landes unprofessionell, obwohl sie tatsächlich tagtäglich eine hochzuverlässige Arbeit leisten.“
Das Stuttgarter Verkehrsministerium weist den Verdacht zurück, es wolle kleine Firmen aus dem Markt drängen. „Das Verkehrsministerium hat sich stets zum Mittelstand im Busgewerbe bekannt. Dieses Vertrauen in den Mittelstand hat sich auch bestätigt“, heißt es aus dem Haus von Minister Winfried Hermann (Grüne). Als Beleg zitiert ein Sprecher Hermanns aus einer Untersuchung zu den Ausschreibungen. Darin heißt es: „Insgesamt zeigt sich, dass die kleineren Mittelständler vorwiegend die eigenen Bestandsleistungen oder benachbarte kleine Leistungspakete sichern konnten, größere Mittelständler nahmen dagegen vor allem der DB Regio erhebliche Leistungsmengen ab.“
Aus Sicht des WBO sieht die Welt anders aus. Mehrere Firmen sind zuletzt in die Insolvenz gegangen. Im vergangenen Sommer traf es die Firma Rexer aus Calw, die zwei Jahre zuvor die Ausschreibung für ein Drittel des Stadtverkehrs in Esslingen gewonnen hatte – obwohl es Medienberichten zufolge schon damals Gerüchte über eine dünne Finanzdecke des Unternehmens gegeben hatte. Zudem hielten sich Vorwürfe, Rexer habe nur deshalb das günstigste Gebot abgeben können, weil das Unternehmen verbindliche Vorgaben des Tarifvertrags nicht umgesetzt habe. Als Rexer in die Insolvenz rutschte, war nicht nur der Linienverkehr in Esslingen betroffen, sondern auch der in den Landkreisen Heilbronn und Calw, wo das Unternehmen ebenfalls aktiv war.
Auch in Esslingen hatten sich Kunden über ortsfremde, der deutschen Sprache kaum mächtige Busfahrer beschwert. Aus Sicht des WBO-Bezirksvorsitzenden Grabherr dürfte das kein Zufall sein. Das Einstiegsgehalt für einen Busfahrer liege einen Euro niedriger als für einen Kollegen, der den Job bereits seit zehn Jahren macht. „Bei einer Ausschreibung, auf die man sich neu bewirbt, wird man also mit neuen Fahrern kalkulieren“, sagt der Unternehmer. „Die Lohnkosten machen über 50 Prozent der Gesamtkosten aus. Wenn es um den Cent geht, ist man mit bestehenden Busfahrern nicht konkurrenzfähig.“
Der WBO fordert die Landkreise auf, Alternativen zur europaweiten Ausschreibung in Betracht zu ziehen. Dies sei europarechtlich durchaus möglich, heißt es vom Verband. Bei kleinen Auftragswerten von einer Million Euro – werden kleine und mittlere Unternehmen beauftragt, liegt der Wert bei zwei Millionen Euro – können die Aufträge durch die Landkreise direkt vergeben werden, bestätigt auch das Stuttgarter Verkehrsministerium.
Die Landratsämter hätten also Alternativen zur europaweiten Ausschreibung, wie sie etwa der Landkreis Konstanz bei der Neuvergabe seiner Buslinien angewendet hat. Dort muss nun der Kreistag entscheiden, wie es nach dem Desaster vom Jahresanfang weitergeht. Im Raum steht die Gründung einer kreiseigenen Verkehrsgesellschaft, die dann die Busse von Rainer Klink übernehmen könnte. Möglich wäre auch eine Kündigung des Vertrags – für den Unternehmer das schlimmste Szenario: „Das wäre existenzbedrohend, zumindest für Stadtbus Tuttlingen.“
Eine dritte Möglichkeit wäre es nach Ansicht von Klink allerdings auch, dass er einfach weitermacht. Schließlich habe die Zahl der Beschwerden noch vor der Corona-Krise erheblich abgenommen. Einen Aufhebungsvertrag mit dem Landkreis gebe es jedenfalls noch nicht. Vonseiten des Konstanzer Landratsamtes heißt es ebenfalls, alle Optionen lägen noch auf dem Tisch. Der Plan sah eigentlich vor, dass die Kreisräte in einer Sitzung Ende März über das weitere Vorgehen entscheiden. Doch wegen des Coronavirus wurde die Sitzung abgesagt – wie es weitergeht mit dem Busverkehr in der Region, bleibt nun erst einmal offen.
Bernd Grabherr, Busunternehmer aus Waldburg bei Ravensburg
„Viele kleine und mittlere Unternehmer sind gar nicht mehr in der Lage, ein Angebot abzugeben.“
„Die Kleinen scheinen aus Sicht des Landes unprofessionell, obwohl sie tagtäglich hochzuverlässige Arbeit leisten.“