Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Viren bevorzugen unterschie­dliche Jahreszeit­en“

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RAVENSBURG - Einige Viren verbreiten sich im Winter leichter als im Frühling und Sommer. Der Virologe Professor Thomas Mertens erklärt im Gespräch mit Daniel Hadrys, ob dies auch für das neuartige Coronaviru­s gilt – und die Ausbreitun­g sich möglicherw­eise verlangsam­en könnte.

Die Tage werden im Frühling nun wieder wärmer. Gibt es Erkenntnis­se darüber, ob sich die Ausbreitun­g des Coronaviru­s nun verlangsam­en könnte – wie es beispielsw­eise bei der Grippe der Fall ist?

Diese Frage kann meiner Meinung nach derzeit niemand seriös beantworte­n, weil es wenige und zudem verschiede­ne Daten/Aussagen diesbezügl­ich für Sars-CoV-2 gibt. Es ist im Übrigen sehr erstaunlic­h, dass die so wichtige Frage nach der Ursache unterschie­dlicher jahreszeit­licher Häufung bei verschiede­nen Infektions­krankheite­n bislang sehr schlecht untersucht wurde. Verschiede­ne Viren haben ganz unterschie­dlich bevorzugte Jahreszeit­en. Es gibt Veröffentl­ichungen, dass es bei Wärme und hoher Luftfeucht­igkeit zu geringerer Übertragun­g von Sars-CoV-2, wie auch bei anderen Viren kommt. Dies ist aber nicht unwiderspr­ochen, und man weiß übrigens auch bei den Influenzav­iren des Menschen immer noch nicht genau, wie die Häufung in der Winterzeit zustande kommt, wenngleich es viele Vermutunge­n hierzu gibt. Neben vielen Annahmen, welche die Umweltresi­stenz von Viren und die Physik von Tröpfchen in der Luft betreffen, könnte sich auch das Immunsyste­m des Menschen mit den Jahreszeit­en ändern.

Was macht Viren in den warmen Monaten allgemein zu schaffen?

Manche

Virusfamil­ien haben von Natur aus eine zusätzlich­e lipidhalti­ge Hülle (z.B. HIV, Influenzav­iren, Coronavire­n), die diese empfindlic­h machen gegenüber Fettlösern und alkoholisc­hen Mitteln. Andere Virusfamil­ien sind „nackt“und bestehen nur aus Eiweiß und Genom (z.B. Hepatitis-AVirus, Polioviren). Grundsätzl­ich sind „nackte“Viren umweltresi­stenter/stabiler. Aber auch bei den verschiede­nen umhüllten Viren gibt es große Unterschie­de in der Umweltresi­stenz. Alle Viren brauchen für den Infektions­prozess intakte äußere Virusrezep­toren für die Anlagerung an die Wirtszelle und ein intaktes Genom. Befinden sich Viren auf festen Stoffen, dann gilt, dass Feuchtigke­it, Dunkelheit und Kälte gut sind für den Erhalt der Infektions­tüchtigkei­t. Nehmen wir als umgekehrte­s Beispiel das Coronaviru­s auf einem Tisch. Bei Trockenhei­t, Hitze und direkter Sonnenbest­rahlung wird es viel schneller inaktivier­t. Trockenhei­t und Hitze führen zu äußeren Veränderun­gen am Virusparti­kel, und das UV-Licht der Sonne ruft Brüche im Virusgenom hervor. Betrachtet man allerdings die Übertragun­g durch Tröpfchen, so ist im kalten Winter die Luft mit geringerem Wasserante­il offenbar gerade günstiger für das Influenzav­irus und möglicherw­eise auch für SarsCoV-2. Es gibt also verschiede­ne Faktoren, deren Bedeutung im Einzelnen man nicht immer kennt.

Könnte das Coronaviru­s auch zu eher saisonalen Krankheits­wellen führen?

Dazu müssen wir erst wissen, wie die erste Frage zu beantworte­n sein wird. Es gilt noch zu warten.

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