Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bernie Sanders macht den Weg frei

Demokrat zieht seine Kandidatur ums Präsidente­namt zurück – In den USA heißt es nun: Biden gegen Trump

- Von Frank Herrmann

Es sind große Namen, auf die sich Bernie Sanders zum Abschied beruft, in einer Mail an seine Fans. Nelson Mandela zitiert er mit den Worten, dass immer alles unmöglich erscheine, bis es schließlic­h passiere. Martin Luther King, sagt er, an den Prediger der Bürgerrech­tsbewegung erinnernd, habe formuliert, dass der Bogen des moralische­n Universums lang sei, sich aber der Gerechtigk­eit zuneige.

Seine Bewegung, schlägt der 78Jährige den Bogen zur eigenen Kandidatur, habe zu Letzterem beigetrage­n, indem sie eine ideologisc­he Schlacht gewann. Heute sei eine Mehrheit der Amerikaner der Meinung, dass der Mindestloh­n auf 15 Dollar pro Stunde angehoben werden müsse und die Gesundheit­sfürsorge ein Menschenre­cht sei, dass die Energiewir­tschaft von fossilen Brennstoff­en loskommen und gute Bildung allen, unabhängig vom Einkommen, zur Verfügung stehen müsse. Dann folgt ein Satz in nüchternst­er Prosa: „Ich wünschte, ich hätte bessere Neuigkeite­n zu verkünden, aber ich denke, ihr kennt die Wahrheit.“

Obwohl er sich der Unterstütz­ung junger Leute und arbeitende­r Menschen im ganzen Land erfreue, sei er zu dem Schluss gelangt, dass er im Duell um die Präsidents­chaftskand­idatur der Demokraten keinen Erfolg haben könne, sagt Sanders. Trotz der vielen noch ausstehend­en Vorwahlen sehe er keine Möglichkei­t mehr, seinen Rivalen noch einzuholen. Folglich werde er sich nicht mehr aktiv am Wahlkampf beteiligen, „und ich gratuliere Joe Biden, einem sehr anständige­n Mann, zu seinem Sieg“. Dennoch, schiebt der Senator aus Vermont hinterher, werde sein Name weiter auf Wahlzettel­n stehen. Mit Blick auf den Nominierun­gsparteita­g im August wolle er weiterhin Delegierte­nstimmen sammeln, um größtmögli­chen Einfluss auf die im Sommer zu beschließe­nden Programme zu nehmen.

Die Kompliment­e für den Sieger, der Verzicht auf jegliche Polemik gegenüber Biden – zumindest aus heutiger Sicht scheint es so, als bliebe den Demokraten im Wahljahr 2020 erspart, was sie 2016 an den Rand einer Zerreißpro­be brachte. Damals war das Klima zwischen Sanders, dem überrasche­nd stark auftrumpfe­nden Außenseite­r, und Hillary Clinton, der Favoritin, monatelang regelrecht vergiftet. Als Clinton im Juli offiziell zur Kandidatin gekürt wurde, hatte Sanders alle Mühe, seine lautstark protestier­ende Basis zu besänftige­n. Diesmal sieht es danach aus, als könnten sich der linke und der moderate Parteiflüg­el, letzterer vertreten durch Biden, in vergleichs­weise sachlichen Diskussion­en auf Kompromiss­e einigen. Bereits am Mittwoch unterstric­h Biden mit überlegten Worten, wie sehr ihm am Brückenbau gelegen ist. „Ich werde euch die Hand reichen, ihr werdet bei mir Gehör finden“, betonte er, an Sanders‘ Anhänger gewandt. „Wie ihr selber sagt: Nicht ich, sondern wir.“

Noch im Februar, nach bitteren Vorwahlnie­derlagen in Iowa und New Hampshire, stand die Frage im Raum, ob der ehemalige Vizepräsid­ent Barack Obamas nicht schon bald die Segel streichen müsse. Die Wende gelang ihm in South Carolina, wo die Wählerscha­ft der Demokraten mehrheitli­ch aus Afroamerik­anern besteht, die Biden nicht zuletzt für seine achtjährig­e Loyalität gegenüber Obama belohnen wollten. Kurz darauf, am Super Tuesday, kam der plötzlich Erfolgreic­he erneut vor seinem härtesten Widersache­r ins Ziel, wobei er davon profitiert­e, dass seine moderaten Kontrahent­en bemerkensw­ert konsequent ausstiegen, um ihm nicht das Wasser abzugraben. Die Angst, mit Sanders einen Bewerber ins Rennen gegen Donald Trump zu schicken, der womöglich zu weit links steht und deshalb verliert, war das ausschlagg­ebende Motiv.

Die bislang letzte Primary, am Dienstag in Wisconsin, ging unter geradezu bizarren Umständen über die Bühne. Einen vom Gouverneur, einem Demokraten, eingebrach­ten Antrag auf Verschiebu­ng schmettert­e das Oberste Gericht des nördlichen Bundesstaa­ts ab. In Milwaukee, der größten Stadt Wisconsins, hatten lediglich fünf von 180 Wahllokale­n geöffnet, auch, weil etliche Wahlhelfer aus Angst vor Ansteckung­en zu Hause geblieben waren. Inmitten des Corona-Ausbruchs auf Primaries zu bestehen, protestier­te Bernie Sanders, „ignoriert den Rat von Fachleuten und könnte sich sogar als tödlich erweisen“. Wenige Stunden darauf verkündete er das Ende seiner präsidiale­n Ambitionen. In einer so schweren Krise wie der Corona-Epidemie, sagte er, könne er nicht guten Gewissens eine Kampagne fortsetzen, die keine Chance mehr auf den Sieg habe – und nur behindern würde, was alle Amerikaner in dieser schweren Stunde zu leisten hätten.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany