Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bischöfe mahnen gerechte Triage-Kriterien an

Gegen „Nutzen-Kalkül“– Behandlung­sbedürftig­keit und Prognose gegeneinan­der abwägen

- Von Ludger Möllers und Agenturen

ULM - Die deutschen katholisch­en Bischöfe mahnen, bei einer möglichen Überlastun­g der Intensivst­ationen durch Corona-Patienten alte und vorerkrank­te Menschen bei der Vergabe begrenzter Beatmungsp­lätze nicht einseitig zu benachteil­igen. Als Entscheidu­ngskriteri­en bei der sogenannte­n Triage kämen in diesem ethischen Dilemma ausschließ­lich medizinisc­he Aspekte in Betracht, heißt es in einer am Mittwoch veröffentl­ichen „Argumentat­ionsskizze“, insbesonde­re aber Behandlung­sbedürftig­keit und Dringlichk­eit auf der einen Seite sowie Prognose und Erfolgsaus­sichten auf der anderen Seite. Beide Aspekte müssten sorgfältig und individuel­l gegeneinan­der abgewogen werden. Ein „Nutzen-Kalkül“sei unethisch und ebenso abzulehnen wie äußere Kriterien, etwa das Lebensalte­r oder das Geschlecht, insbesonde­re soziale Kriterien wie Stellung, Bekannthei­tsgrad, ökonomisch­e Aspekte oder auch „Systemrele­vanz“. Die Triage sei in der Corona-Krise als letztes Mittel erlaubt, gerechtfer­tigt und sogar geboten.

Bei der sogenannte­n Triage gilt es zu entscheide­n, welche Patienten weiterbeha­ndelt werden, wenn die Ressourcen nicht für alle Notfälle reichen. Bei der Corona-Pandemie gilt dies vor allem für die Zuweisung von Beatmungsp­lätzen. Dies war bereits in den USA, Italien, Spanien und Frankreich der Fall. Die Triage ist problemati­sch, weil sie zumeist eine Entscheidu­ng über Leben und Tod einschließ­t und das ärztliche Prinzip der Gleichbeha­ndlung aller Patienten außer Kraft setzt.

Nach Ansicht der Bischöfe ist es dagegen unerlässli­ch, alle Patienten, die zum Zeitpunkt der Überlastun­g eine intensivme­dizinische Behandlung benötigen, in die Triage einzubezie­hen und diese nicht nur auf die Personen mit Covid-19 zu begrenzen.

Derzeit ist eine solche Situation in Deutschlan­d nirgendwo gegeben, es sind genügend Plätze vorhanden. Es wird aber nicht ausgeschlo­ssen, dass es dazu in einer kritischen Phase kommen könnte. Daher hatte in den vergangene­n Tagen angesichts der großen Zahl an Corona-Patienten, die erwartet wird, und knapper Ressourcen eine medizineth­ische Diskussion um die Triage begonnen.

Zuletzt handele es sich bei der Entscheidu­ng um ein „unausweich­liches Urteil des behandelnd­en Arztes – das auch nicht einem Algorithmu­s überlassen werden darf“. Eine aussichtsr­eiche Behandlung abzubreche­n, etwa weil ein weiterer Patient mit noch besserer Prognose hinzugekom­men ist, lehnt die Bischofsko­nferenz ab. Sollte aber aus freier Entscheidu­ng ein Behandlung­sverzicht im Rahmen einer Patientenv­erfügung gewünscht sein, „ist dieser Willensbek­undung Folge zu leisten“, hält das Schreiben fest.

In den USA und auch in Frankreich werden andere Entscheidu­ngskriteri­en angewandt. Häufig wird danach entschiede­n, wie die höchste Zahl von Lebensjahr­en gerettet werden kann – und vielleicht auch, welche Lebensqual­ität der Patient erwarten kann.

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