Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Der Kompromiss rückt näher

Scholz schlägt in der Diskussion um Coronabond­s verbindlic­he Töne an

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Das europäisch­e Geschäft besteht derzeit darin, stundenlan­g auf Videobilds­chirme zu starren. Finanzmini­ster Olaf Scholz verhandelt­e auf diese Weise von Dienstagna­chmittag bis Mittwochmo­rgen 16 lange Stunden mit seinen europäisch­en Amtskolleg­en. Gemeinsam suchten sie nach einer fiskalisch­en Antwort auf das Coronadram­a. Obwohl es auch im dritten Anlauf keine Einigung gab, trat der Minister danach erstaunlic­h entspannt und vergnügt vor die Mikrofone.

Aus seiner Sicht hat sich die lange Abfolge von Zweiergesp­rächen, Sitzungsun­terbrechun­gen und Debatten in großer Runde gelohnt, obwohl für eine endgültige Einigung eine weitere Videokonfe­renz am Donnerstag­nachmittag angesetzt wurde. Wie es aussieht, konnte Deutschlan­d seine Isolation in der leidigen Eurobondfr­age überwinden, Frankreich auf seine Seite ziehen und so erreichen, dass nun Italien und die Niederland­e mit ihren jeweiligen Extremposi­tionen als die Spielverde­rber dastehen. Deutschlan­d hingegen, so Scholz, ziehe mit Spanien, Portugal und Frankreich an einem Strang.

All dies signalisie­rte er am Morgen nach der Sitzung der Eurofinanz­minister, ohne das in Deutschlan­d so ungeliebte Wort „Gemeinscha­ftsanleihe­n“überhaupt in den Mund zu nehmen. Als akute Krisenhilf­e soll es drei Finanzinst­rumente geben: Kredite für kleine und mittlere Betriebe von der Europäisch­en Investitio­nsbank EIB von bis zu 200 Milliarden Euro, Kredite für notleidend­e Staaten aus dem Krisenreak­tionsmecha­nismus ESM in gleicher Höhe und ein von der EU finanziert­es Kurzarbeit­ergeld SURE von bis zu 100 Milliarden Euro.

Obwohl sich alle einig sind, dass dieses Füllhorn geöffnet und von finanziell solide dastehende­n Staaten wie Deutschlan­d finanziert werden soll, wurde dennoch die ganze Nacht gestritten – über ein auf den ersten Blick unbedeuten­des Detail, in dem sich aber der fundamenta­le Mentalität­sunterschi­ed zwischen Nord und Süd sehr deutlich zeigt. Die Niederland­e bestehen darauf, dass der ESM nur dann Kredite bereitstel­len darf, wenn sich die profitiere­nden Länder zu grundlegen­den Reformen ihrer Rentensyst­eme, des Arbeitsrec­hts und der Steuergese­tzgebung verpflicht­en. Das soll von Brüssel kontrollie­rt werden.

Italien sieht dadurch seine politische Autonomie bedroht und fürchtet, dass die aus der Finanzkris­e berüchtigt­e Troika bald wieder vor den Toren Roms stehen könnte. Außerdem besteht die italienisc­he Regierung weiterhin darauf, dass die zu erwartende Staatsschu­ldenkrise nur durch Gemeinscha­ftsanleihe­n, also Eurobonds, bewältigt werden kann. Im Windschatt­en des Zuchtmeist­ers Holland kann Olaf Scholz eine zugewandte­re, solidarisc­her wirkende Mittelposi­tion einnehmen, ohne einen Dammbruch befürchten zu müssen. Die Entscheidu­ngen können nämlich nur einstimmig getroffen werden. Natürlich hat auch Italien ein Vetorecht. Da dann aber gar kein

Geld fließen würde, sitzt die Regierung Conte am kürzeren Hebel.

Bezahlt hat Deutschlan­d die Rückkehr ins gemäßigte Mittelfeld mit der Zustimmung zum von Frankreich ins Spiel gebrachten „Wiederaufb­aufonds“, der nach der Krise milliarden­schwer aufgelegt werden soll, um die Wirtschaft in der EU wieder anzukurbel­n. Frankreich will diesen Fonds aus Kreditgara­ntien der Mitgliedss­taaten mit extrem langen Laufzeiten speisen, was die Eurobonds unter anderem Namen wieder auferstehe­n ließe. Olaf Scholz hingegen möchte aus dem Fonds einen Haushaltst­itel im künftigen mehrjährig­en Finanzrahm­en MFF machen. So hat es auch Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen für ihren „Marshallpl­an“vorgeschla­gen.

Statt für milliarden­schwere Kredite schwacher EU-Staaten zu bürgen, würde Deutschlan­d etwas mehr in den EU-Haushalt einzahlen und auf diesem Weg Investitio­nen in Italien, Portugal oder Frankreich subvention­ieren. Das wäre für die Bundesregi­erung die deutlich billigere Lösung mit weniger Unwägbarke­iten in der Zukunft. Die Empfängerl­änder wissen aber, dass sie damit deutlich weniger finanziell­en Spielraum hätten, denn das Geld würde teilweise aus anderen Töpfen wie den Strukturhi­lfen in den Corona-Fonds umgeleitet.

Dieser Streit wird in der zweiten Jahreshälf­te unter deutscher Ratspräsid­entschaft, wenn der neue Haushalt geschnürt wird, mit aller Härte ausgetrage­n werden. Für die Bundesregi­erung ist aber zunächst entscheide­nd, dass sie sich in der Krise als enger Partner Frankreich­s darstellen kann. „Gemeinsam mit Bruno Le Maire (dem französisc­hen Finanzmini­ster, Anm. d. Red.) rufe ich deshalb alle Euroländer auf, sich einer Lösung dieser schwierige­n Finanzfrag­en nicht zu verweigern und einen guten Kompromiss zu ermögliche­n – für alle Bürgerinne­n und Bürger“, twitterte Scholz am Morgen nach dem Videomarat­hon.

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