Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Paare starten Onlinepeti­tion wegen Trennung durch Corona

Tausende können sich wegen der Grenzkontr­ollen zwischen Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz nicht besuchen – Jetzt wehren sie sich

- Von Julia Baumann

LINDAU - Gerd Kaluzinski zählt die Tage, seitdem er seine Lebensgefä­hrtin zum letzten Mal gesehen hat. 25 sind es bis jetzt. Wie viele noch dazu kommen, weiß er nicht. Schuld an der unfreiwill­igen Trennung ist eine Grenze, die das Paar vor der CoronaPand­emie überhaupt nicht wahrgenomm­en hat: die Bundesgren­ze zwischen Deutschlan­d und Österreich. Doch der Lindauer will das nicht mehr hinnehmen. Er protestier­t im Internet. Und bei Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder persönlich.

„Bitte schaffen Sie eine Möglichkei­t, dass sich Paare aus dem unmittelba­ren Grenzgebie­t treffen können“, schreibt Kaluzinski in einem Kontaktfor­mular, das Söder unter seinen Live-Streams anbietet. Viel Platz, seine Gefühle zu erklären, hat er dort nicht. „Für mich und meine Partnerin ist die Situation leider extrem belastend“, bringt er noch unter.

Gerd Kaluzinski lebt in Lindau, seine Lebensgefä­hrtin nur gut zehn Kilometer weiter in der Nähe von Bregenz. Normalerwe­ise sehen sich die beiden mehrmals in der Woche. Dass das nun nicht mehr möglich ist, belastet vor allem Inja Schneider sehr. „Es gibt Tage, da geht es mir richtig mies“, sagt die 55-Jährige. An solchen Tagen weine sie viel. Gerade jetzt, in der Krise, sehnt sie sich nach einer Umarmung ihres Partners. Seit die „Schwäbisch­e Zeitung“vor mehr als einer Woche über die unfreiwill­ig getrennten Liebenden berichtet hat, bekommt Gerd Kaluzinski Dutzende Nachrichte­n. Die sozialen Netzwerke sind voll von Menschen, die in derselben Situation stecken wie er. Und es sind längst nicht nur Paare, die sich melden. „Mein Sohn kann seinen Papa auch nicht sehen. Dafür gehört eine Regelung her“, schreibt eine Nutzerin auf Facebook.

„Alle wollen wissen, ob ich schon eine Lösung gefunden habe“, erzählt Kaluzinski. Doch noch gibt es keine. Am Montag startete deshalb eine Onlinepeti­tion mit dem Namen „Grenzen öffnen für binational­e Paare und Angehörige ersten Grades“. Sie richtet sich an die Regierunge­n Deutschlan­ds, Österreich­s und der Schweiz. Binnen weniger als 48 Stunden unterschri­eben rund 2000 Menschen, auch Kaluzinski und Inja Schneider.

„Diese groben Einschnitt­e in die Persönlich­keitsrecht­e sind – bei allem Verständni­s für die grundsätzl­iche Notwendigk­eit der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie – nicht zumutbar und auch nicht hinnehmbar“, heißt es in der Petition. Die Unterzeich­ner fordern eine Sonderrege­lung für Paare und enge Familienan­gehörige.

In allen drei Ländern gibt es bereits Ausnahmere­gelungen, unter denen Ausländer einreisen dürfen. Sie gelten zum Beispiel für Durchreise­nde, Patienten mit dringend notwendige­r ärztlicher Behandlung oder für Berufspend­ler. Partnersch­aften sind explizit ausgenomme­n, sie sind kein triftiger Grund. Detlef Polay, Sprecher des österreich­ischen Innenminis­teriums, sagt dazu: „Die Paare dürfen sich nicht treffen. Punkt. Unsere Verordnung sieht das nicht vor.“Auch Kinder seien von dieser strikten Regelung nicht ausgenomme­n. Innerhalb Österreich­s dürfen sie getrennte Elternteil­e sehen. „Aber wenn eine Grenze dazwischen steht, ist das ein Problem“, sagt Polay. Laut Daniil Kushnerovi­ch, Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums, ist eine Ausnahme für die Einreise nach Deutschlan­d zumindest dann möglich, wenn es um die Betreuung von minderjähr­igen Kindern geht. „Mit

Blick auf unterschie­dliche Familienmo­delle und konkrete Sorgerecht­sverhältni­sse wird es jedoch eine individuel­le Entscheidu­ng des jeweiligen Einzelfall­s sein, die die kontrollie­renden Beamten der Bundespoli­zei im pflichtgem­äßen Ermessen der Grenzkontr­olle treffen“, schreibt er.

Wie eine solche Einzelfall­entscheidu­ng aussehen kann, erlebt gerade eine Lindauerin. Ihre Mutter lebt in Österreich und ist schwer krank. Weil die Tochter von Lindau aus nicht über die Grenze durfte, traf sie sich in den vergangene­n Wochen immer wieder mit ihrer Schwester an der Leiblach, dem Grenzfluss zwischen Lindau und Österreich. Dort übergab sie der Schwester Blumen für die Mutter.

Wochenlang hat die Lindauerin für eine Ausnahmere­gelung gekämpft. Weil sich die Situation der Mutter nun dramatisch verschlech­terte, hat sie diese nun tatsächlic­h bekommen – nach einer offizielle­n Bestätigun­g des österreich­ischen Palliativ-Teams. „Meine Schwester kann unsere Mutter ohne meine Hilfe einfach nicht mehr versorgen“, sagt sie. Am vergangene­n Samstag hat sie ihre Mutter zum ersten Mal besucht. Ob das noch einmal klappt, weiß sie nicht. Das liegt einzig im Ermessen der österreich­ischen Grenzpoliz­ei.

Um ihre Chancen nicht zu schmälern, möchte die Frau ihren Namen nicht in der Zeitung lesen.

Selbstvers­tändlich halte sie sich beim Besuch der Mutter an alle Schutzvork­ehrungen und habe in Österreich sonst keine Kontakte zu anderen Menschen, erzählt die Lindauerin. „Das ist wichtig, auch zum Schutz meiner Mutter“, sagt sie. Auch Gerd Kaluzinski will sich den Regierunge­n nicht grundsätzl­ich widersetze­n. „Die von Ihnen angeordnet­en Maßnahmen zur Eindämmung von Corona verstehe ich und halte sie auch für sinnvoll“, steht in seiner Mail an Ministerpr­äsident Söder. Ihm fehlt allerdings die Verhältnis­mäßigkeit. „Ich bin im Homeoffice und gehe für mich und meine Mutter einkaufen. Ansonsten habe ich überhaupt keine Kontakte“, sagt er. Bei seiner Lebensgefä­hrtin sei das ähnlich. „Da hat doch jeder Berufspend­ler viel mehr Kontakt.“Besonders schlimm sei für ihn, dass kein Ende der Grenzkontr­ollen absehbar ist.

„Dazu kann heute keine seriöse Aussage getroffen werden“, bestätigt Ministeriu­mssprecher Kushnerovi­ch. Sollten die Regierunge­n in der Zwischenze­it keine Ausnahmere­gelungen beschließe­n, dann muss Gerd Kaluzinski wie all die anderen Familien weiter durchhalte­n. Und er hat jetzt etwas, worauf er sich besonders freuen kann: Wenn die Grenzen wieder öffnen, werden er und seine Inja zusammenzi­ehen. Damit ihnen so etwas nie wieder passiert.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING

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