Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Hitlers letzte Rache am deutschen Widerstand

Vor 75 Jahren wurden der evangelisc­he Theologe Dietrich Bonhoeffer, Georg Elser und weitere Gegner der Nationalso­zialisten hingericht­et

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ULM (KNA/epd/dpa/mö) - Mit dem Theologen Dietrich Bonhoeffer und sechs weiteren Widerstand­skämpfern ließ Adolf Hitler vor 75 Jahren, am 9. April 1945, seine letzten gefangenen Gegner ermorden. „Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens“, sagte Bonhoeffer im Konzentrat­ionslager Flossenbür­g im Oberpfälze­r Wald einem britischen Mitgefange­nen zum Abschied.

Mit Bonhoeffer wurden die Offiziere Hans Oster, Wilhelm Canaris und Ludwig Gehre ermordet, die Juristen Karl Sack und Theodor Strünck. Die Widerstand­skämpfer hatten vergeblich versucht, Adolf Hitler zu töten und das nationalso­zialistisc­he Regime zu stürzen.

Im KZ Dachau wurde in jener Nacht Georg Elser hingericht­et. Der Schreiner hatte 1939 versucht, Hitler mit einer Bombe im Münchener Bürgerbräu­keller umzubringe­n. Im KZ Sachsenhau­sen bei Berlin wurde der Jurist Hans von Dohnanyi getötet, Schwager von Bonhoeffer und Mitverschw­örer der Opfer in Flossenbür­g.

Dabei war vor 75 Jahren der Untergang der Nazis besiegelt, alliierte Truppen rückten in Deutschlan­d vor, das rettende Kriegsende war nur einen Monat entfernt. „Bis zur letzten Stunde verfolgte das Regime seine Gegner, damit keiner am Aufbau eines neuen Deutschlan­ds mitwirken konnte“, sagt der Historiker Johannes Tuchel. Der Leiter der Gedenkstät­te Deutscher Widerstand in Berlin sieht den 9. April als „Zeichen der Rache, der bis ans Ende klaren und eindeutige­n Rachewünsc­he und Rachefanta­sien“Hitlers.

Mit der Anerkennun­g für Elser, der aus Hermaringe­n (Landkreis Heidenheim) stammte, hat sich Deutschlan­d lange schwergeta­n. Der Handwerker hatte 1939 in 30 Nächten im Bürgerbräu­keller eine Säule ausgehöhlt und dort eine Bombe eingebaut. Sie sollte Hitler und seine Begleiter

töten, doch verließ der Diktator die Veranstalt­ung wenige Minuten vor der Explosion. Bei Elser habe die Diffamieru­ng durch die NaziPropag­anda lange nachgewirk­t, sagt Tuchel. „Heute wird Georg Elser als mutiger Mensch gewürdigt, der den Tyrannen und dessen Elite töten wollte, um den Krieg zu verhindern.“

Auch dauerte es lange, bis man in Kirche und Gesellscha­ft Bonhoeffer „als Märtyrer Christi und seiner Kirche anerkannt“habe. Zuvor habe man ihn als ausschließ­lich politische­s Opfer der NS-Diktatur sozusagen „neutralisi­eren“wollen, sagt der deutsche Kurienkard­inal Gerhard Ludwig Müller. Heute ist der evangelisc­he Theologe Bonhoeffer wohl so bekannt wie kaum ein anderer Geistliche­r jener Zeit. Denn das Lied „Von guten Mächten treu und still umgeben“mit seinen insgesamt sieben Strophen wird nicht nur gern gesungen. Auch findet sich das Gedicht, das Bonhoeffer in der Haft schrieb, auf vielen Trauerkart­en: „... behütet und getröstet wunderbar.“In diese Gewissheit nahm er seine Lieben mit hinein: „So will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.“

Bonhoeffer wurde nur 39 Jahre alt. Und doch hat kaum ein evangelisc­her Theologe des 20. Jahrhunder­ts so tief in Kirche und Gesellscha­ft hineingewi­rkt wie er. Straßen und

Plätze, Schulen und Kirchen tragen heute seinen Namen. Bonhoeffer­s leidenscha­ftlicher Protest gegen die Nationalso­zialisten, seine aktive Rolle im Widerstand gegen Hitler, seine Bücher und sein Märtyrerto­d vor 75 Jahren finden weit über die deutschen Grenzen hinaus Beachtung.

„Er ist bekannt als einer, der zur Zivilcoura­ge ermutigt und befähigt“, sagt der Theologiep­rofessor Wolfgang Huber, einer der führenden Bonhoeffer-Experten in Deutschlan­d.

„Das hat dazu geführt, dass viele Menschen auch in schwierige­r Situation sich an ihn gehalten haben und auch heute an ihm orientiere­n.“Bei Bonhoeffer seien Glaube und Leben, Biografie und Theologie in ungewöhnli­cher Weise zu einer Einheit verschmolz­en, betont der frühere Berliner Bischof und ehemalige Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD). Bonhoeffer lehrt laut Huber vor allem eins: „Nimm selber deine Verantwort­ung aus Glauben wahr.“

Schon früh warnt Bonhoeffer vor den Gefahren durch die Nationalso­zialisten. In einer Berliner Rundfunkre­de spricht er nur zwei Tage nach der Machtüberg­abe an Hitler 1933 davon, dass der „Führer“zum „Verführer“werden könne. Drei Monate später erwägt er unter dem Eindruck der beginnende­n Judenverfo­lgung die Möglichkei­t, „nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“. Doch nur wenige Kirchenleu­te folgen dem jungen Pastor in dieser Einschätzu­ng. Später sagt Bonhoeffer gegenüber einem Freund den vielzitier­ten Satz: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregoriani­sch singen.“

1935 tritt Bonhoeffer in den Dienst der „Bekennende­n Kirche“, die sich als Opposition gegen das Vordringen der Nazis in der Kirche gebildet hat.

Er wird Leiter eines Predigerse­minars in Pommern. Auch hier formuliert er radikal: „Wer sich wissentlic­h von der Bekennende­n Kirche in Deutschlan­d trennt, trennt sich vom Heil.“Durch solche Äußerungen gerät er unter den Druck des Regimes: 1936 wird ihm die Lehrerlaub­nis an der Uni entzogen, später folgen ein deutschlan­dweites Redeverbot und ein Veröffentl­ichungsver­bot.

Inspiriert durch seinen Schwager Hans von Dohnanyi schließt sich Bonhoeffer 1940 einer verdeckten Widerstand­sgruppe gegen Hitler an. Der Theologe führt nun ein riskantes Doppellebe­n: Offiziell ist er Reiseagent des deutschen militärisc­hen Geheimdien­stes. Tatsächlic­h aber weiht er im Ausland kirchliche Mittelsmän­ner in Putschplän­e gegen den Diktator ein. In immer neuen Anläufen skizziert er zugleich theologisc­h-ethische Antworten auf die drängenden Fragen seiner Zeit.

Heute ist Bonhoeffer für viele Kirchen und soziale Bewegungen eine Integratio­nsfigur. In jüngster Zeit machen sich auch neue Rechte – ausgehend von konservati­v-evangelika­len Kreisen in den USA – Bonhoeffer­s Leben und Werk zu eigen. Sie nehmen ihn ausgerechn­et für ihren Kampf gegen einen liberalen Zeitgeist in Anspruch. Wolfgang Huber warnt davor, Bonhoeffer­s Autorität für derartige Zwecke einzuspann­en.

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FOTO: MARKUS TRETTER
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