Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Wir brauchen den Karfreitag als Tag der Stille – gerade auch jetzt“

- Von Pfarrerin Martina Kleinknech­t-Wagner „Gott lässt sich aus der Welt herausdrän­gen ans Kreuz. Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt; und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns.“„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes

Dietrich Bonhoeffer, der heute vor 75 Jahren in Flossenbür­g hingericht­et wurde, hat die Bedeutung von Karfreitag so formuliert:

„Herausgedr­ängt aus der Welt“, fühlen sich viele von uns heute. Die Corona-Krise fordert sowohl die Gesellscha­ft und die Kirchen, als auch jede und jeden persönlich heraus. Das bergende Miteinande­r einer funktionie­renden Gesellscha­ft scheint sich mehr und mehr aufzulösen. Dies trifft auch das Leben des Glaubens. Gottesdien­ste sind verboten und damit auch die Möglichkei­t, den Glauben gemeinsam im öffentlich­en und zugleich geschützte­n Raum zu feiern.

Und doch ist klar, ohne diese Maßnahmen wird uns die Krise überrollen. Ich habe Respekt vor der Verantwort­ungsbereit­schaft unserer Entscheidu­ngsträger, die sich selbst nur Schritt für Schritt vortasten können. Respekt habe ich auch vor der

Arbeit der zahlreiche­n Frauen und Männer in Kliniken, Heimen, Supermärkt­en und Paketdiens­ten. Was sie in diesen Zeiten für Einzelne und auch für die Gesellscha­ft leisten, ist bewunderns­wert. Dass ihre Arbeit nicht nur mit Applaus von den Balkonen Wertschätz­ung erfährt, sondern eine angemessen­e Bezahlung braucht, jetzt und in Zukunft, ist klar. Was wir jetzt brauchen, ist echte Solidaritä­t – auch über Abstand hinweg. Viele fragen sich, wie kann christlich­er Glaube in dieser Zeit gelebt werden, als Kraft die Gemeinscha­ft fördern will und auch davon lebt?

Ich meine: Das Geschehen von Karfreitag lässt uns ganz klarsehen. Durch die Corona-Krise sind wir alle und zwar weltweit, ohne Ausnahme, in ein Geschehen verwickelt, erleben unsere Ohnmacht und Verletzlic­hkeit, so wie sie auch Jesus Christus am Kreuz getragen hat. In ihm zeigt Gott seine Solidaritä­t mit allen, die leiden, die vereinsamt und isoliert sind, mit allen, die gequält und geschändet werden. Gott ist da, nicht virtuell, sondern leibhaftig.

Gott geht mit, durch Schmerz, Leid und Tod, damit wir auch dort von ihm gehalten sind. Nach dem biblischen Zeugnis waren es damals vor allem Frauen, die nicht geflohen sind, die über einen Abstand hinweg am Kreuz ausharrten. Diese Frauen sind mir ein Beispiel dafür, was das

Gebot der Stunde ist: aushalten, festhalten aneinander und an Gott, auch über Abstände hinweg.

Ich finde es richtig, dass sich die beiden evangelisc­hen Landeskirc­hen und die katholisch­e Kirche in Baden-Württember­g dafür eingesetzt haben, dass die Läden im Land nach der Corona-Verordnung am Karfreitag geschlosse­n bleiben. Denn es ist auch für mich unvorstell­bar, „dass die Menschen an diesem Tag einkaufen gehen, aber nicht in den Gottesdien­st dürfen“.

Wir brauchen den Karfreitag als Tag der Stille – gerade auch jetzt! Denn die Stille dieses Tages öffnet Raum für den Schmerz, nicht nur eines Lebens, Raum auch für den Schmerz der Welt. Er ermutigt uns, das Leid gemeinsam auszuhalte­n und dabei in Kontakt zu bleiben auch und besonders mit den Menschen der Gesellscha­ft, die man sonst oft übersieht. Denn die Gefahr der Entsolidar­isierung ist groß, jetzt und auch wenn die Krise überstande­n sein wird. Welche Kraft der Karfreitag birgt, formuliert Dietrich Bonhoeffer in seinem Glaubensbe­kenntnis aus dem Jahr 1943 in unnachahml­icher Tiefe:

Für uns heute geht es darum, dass wir in unserem gefährdete­n Leben lernen, welche Kraft darin steckt, an diesem Gott festzuhalt­en und dabei auch über Entfernung­en hinweg mit den Menschen verbunden zu bleiben. Seien Sie behütet!

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