Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Wir brauchen den Karfreitag als Tag der Stille – gerade auch jetzt“
Dietrich Bonhoeffer, der heute vor 75 Jahren in Flossenbürg hingerichtet wurde, hat die Bedeutung von Karfreitag so formuliert:
„Herausgedrängt aus der Welt“, fühlen sich viele von uns heute. Die Corona-Krise fordert sowohl die Gesellschaft und die Kirchen, als auch jede und jeden persönlich heraus. Das bergende Miteinander einer funktionierenden Gesellschaft scheint sich mehr und mehr aufzulösen. Dies trifft auch das Leben des Glaubens. Gottesdienste sind verboten und damit auch die Möglichkeit, den Glauben gemeinsam im öffentlichen und zugleich geschützten Raum zu feiern.
Und doch ist klar, ohne diese Maßnahmen wird uns die Krise überrollen. Ich habe Respekt vor der Verantwortungsbereitschaft unserer Entscheidungsträger, die sich selbst nur Schritt für Schritt vortasten können. Respekt habe ich auch vor der
Arbeit der zahlreichen Frauen und Männer in Kliniken, Heimen, Supermärkten und Paketdiensten. Was sie in diesen Zeiten für Einzelne und auch für die Gesellschaft leisten, ist bewundernswert. Dass ihre Arbeit nicht nur mit Applaus von den Balkonen Wertschätzung erfährt, sondern eine angemessene Bezahlung braucht, jetzt und in Zukunft, ist klar. Was wir jetzt brauchen, ist echte Solidarität – auch über Abstand hinweg. Viele fragen sich, wie kann christlicher Glaube in dieser Zeit gelebt werden, als Kraft die Gemeinschaft fördern will und auch davon lebt?
Ich meine: Das Geschehen von Karfreitag lässt uns ganz klarsehen. Durch die Corona-Krise sind wir alle und zwar weltweit, ohne Ausnahme, in ein Geschehen verwickelt, erleben unsere Ohnmacht und Verletzlichkeit, so wie sie auch Jesus Christus am Kreuz getragen hat. In ihm zeigt Gott seine Solidarität mit allen, die leiden, die vereinsamt und isoliert sind, mit allen, die gequält und geschändet werden. Gott ist da, nicht virtuell, sondern leibhaftig.
Gott geht mit, durch Schmerz, Leid und Tod, damit wir auch dort von ihm gehalten sind. Nach dem biblischen Zeugnis waren es damals vor allem Frauen, die nicht geflohen sind, die über einen Abstand hinweg am Kreuz ausharrten. Diese Frauen sind mir ein Beispiel dafür, was das
Gebot der Stunde ist: aushalten, festhalten aneinander und an Gott, auch über Abstände hinweg.
Ich finde es richtig, dass sich die beiden evangelischen Landeskirchen und die katholische Kirche in Baden-Württemberg dafür eingesetzt haben, dass die Läden im Land nach der Corona-Verordnung am Karfreitag geschlossen bleiben. Denn es ist auch für mich unvorstellbar, „dass die Menschen an diesem Tag einkaufen gehen, aber nicht in den Gottesdienst dürfen“.
Wir brauchen den Karfreitag als Tag der Stille – gerade auch jetzt! Denn die Stille dieses Tages öffnet Raum für den Schmerz, nicht nur eines Lebens, Raum auch für den Schmerz der Welt. Er ermutigt uns, das Leid gemeinsam auszuhalten und dabei in Kontakt zu bleiben auch und besonders mit den Menschen der Gesellschaft, die man sonst oft übersieht. Denn die Gefahr der Entsolidarisierung ist groß, jetzt und auch wenn die Krise überstanden sein wird. Welche Kraft der Karfreitag birgt, formuliert Dietrich Bonhoeffer in seinem Glaubensbekenntnis aus dem Jahr 1943 in unnachahmlicher Tiefe:
Für uns heute geht es darum, dass wir in unserem gefährdeten Leben lernen, welche Kraft darin steckt, an diesem Gott festzuhalten und dabei auch über Entfernungen hinweg mit den Menschen verbunden zu bleiben. Seien Sie behütet!