Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Mindestabstand statt Umarmung: Beisetzung in Corona-Zeiten
Abschiednehmen ohne Gottesdienst und unter freiem Himmel – Wie Pfarrer und Bestatter mit den neuen Regeln umgehen
MECKENBEUREN Mit ungeahnten Veränderungen hat in der CoronaKrise das Bestattungswesen umzugehen. Nicht nur, dass Vorgaben des Landes sich auf den Ablauf der Beisetzung auswirken – etwa in der Frage, wieviele Personen Abschied nehmen dürfen. Auch die Branche selbst erlebt raschen Wandel: Zählte sie zunächst nicht zu den systemrelevanten Berufen, so hat sich dies geändert – sie ist es nun in sechs Bundesländern, darunter in Baden-Württemberg. Und als solche mit einem Problem konfrontiert, das sich vielen Geschäftszweigen stellt: dem absehbaren Mangel an Schutzausrüstung.
Die jüngste Verordnung des Kultusministeriums vom 2. April brachte eine wichtige Neuerung: An Erdund Urnenbestattungen unter freiem Himmel können seither maximal fünf Personen teilnehmen (zuvor zehn). Bedeutsam: Allerdings dürfen zu den fünf (Freunden/Bekannte) noch Verwandte „in gerader Linie“hinzukommen. Damit sind Eltern, Großeltern, Kinder und Enkelkinder gemeint – plus Personen, die in häuslicher Gemeinschaft miteinander leben sowie deren Ehegatten oder Lebenspartner.
Nicht anzurechnen auf die fünf Anwesenden ist der Geistliche. Froh, dass die neuen Bedingungen Erleichterungen bringen, ist Pfarrer Josef Scherer: „Ich hatte bisher drei Beerdigungen, die jeweils im kleinen Angehörigenkreis auf unseren Friedhöfen stattfanden. Es war für die Angehörigen schwierig, in der für sie sowieso schon schmerzhaften Zeit, sich auch noch entscheiden zu müssen, wer an der Trauerfeier teilnehmen darf“, gibt er Einblick.
Da die Trauerfeiern im Freien sein mussten – also gleich am Grab oder an der Urnenwand und nicht in der Aussegnungshalle –, war das bislang herrschende gute Wetter durchaus ein Faktor.
„Schwieriger“gestalten sich Scherer zufolge die Trauergespräche. Ob in einem Sitzungsraum oder am Telefon: Einerseits gelte es, Abstand zu halten, anderseits doch persönliche Nähe zu vermitteln. „Ich hoffe, dass mir dies gelungen ist“, sagt Scherer zu dem Balanceakt, den Corona abverlangt.
Noch offen sei, in welcher Form sich später in einem öffentlichen Rahmen (vielleicht ein Gottesdienst) die Trauerfeiern aufgreifen lassen, um der Verstorbenen zu gedenken. „Aber wir werden Lösungen finden, die den Angehörigen hoffentlich Hilfe und Trost geben“, was aus Sicht des katholischen Geistlichen – je nach Wunsch – persönliche Feiern oder auch gemeinsame Trauerfeiern sein können.
Noch aus der Zeit vor den Einschränkungen stammt die letzte Beerdigung, zu der Pfarrer Peter Steinle gerufen wurde. Durchaus „untypisch“nennt es der evangelische Geistliche, dass er drei Wochen am Stück keine Bestattung abzuhalten hatte. Er weiß aber natürlich um die neuen Gegebenheiten, „ich bin darauf eingestellt“, sagt er auf SZAnfrage, was auch technische (Übertragungs) Möglichkeiten der Trauerfeier beinhalten kann.
Wie den Pfarrern verlangen die Rahmenbedingungen auch den Bestattern Flexibilität ab. Zugleich bleibt manches konstant: „Wir sind 24 Stunden am Tag erreichbar und in gewohntem Umfang für die Angehörigen da“, sagt Ingrid Marschall. Wie die Pfarrer erlebt die Geschäftsführerin von Abt Bestattungen die Ambivalenz der Situation als tiefgreifend – einerseits das nahegehende emotionale Abschiednehmen, andererseits körperlich einen Abstand halten zu müssen, der Distanz vermittelt. das sichert Bestatterin Ingrid Marschall den Hinterbliebenen auch in Corona-Zeiten zu.
Das Trauergespräch ist weiterhin in persönlicher Begegnung möglich, unter Verzicht auf jegliches Händeschütteln und Wahrung eines deutlichen Abstandes. Es kann aber auch am Telefon und mittels E-Mail vor sich gehen.
„Wir klären es vorab beim ersten Kontakt am Telefon“, sagt sie zu den unerlässlichen Regeln, die bei den Trauernden durchaus auf Verständnis stießen: „Die Angehörigen verstehen das“, so die Erfahrung von Ingrid Marschall (geborene Abt).
Den Bestattern als Berufsgattung wurde nachträglich „Systemrelevanz“
zugebilligt. Damit geht einher, dass sie ihrerseits eines besonderen Schutzes bedürfen. Wozu Schutzkleidung und Schutzausrüstung gehören, zumal sich – nach heutigem Kenntnisstand – Mitarbeiter im Außendienst bei Verstorbenen mit Corona anstecken können.
Ihr Augenmerk hat Ingrid Marschall schon länger auf die schützende Ausrüstung gerichtet. Bei Handschuhen und Desinfektionsmitteln „haben wir zum Glück einen Vorrat“, sagt sie. Doch manch anderes geht zur Neige – etwa Ganzkörperschutzanzüge und Schutzmasken. Hier hat sich die Bestatterin aus Meckenbeuren an den Verband deutscher Bestatter gewandt, der sie ans Gesundheitsamt verwies. Was dessen Krisenstab in der Sache tun kann: Diese Antwort steht noch aus.
Dass so manche offene Frage und unbekannte Situation auftauchen wird („was passiert, wenn die Sterberate rasant steigt?“), ist nicht auszuschließen. Bei all dem bleibt es selbstverständlich, den Hinterbliebenen in gewohnter Weise Trost und Unterstützung zu bieten.
Dazu gehört für Ingrid Marschall auch, dem Trauerprozess seinen Platz zu geben. Aus Sicht der ausgebildeten Trauerbegleiterin ist die zeitnahe Beisetzung ein Teil davon.
Und noch ein Problem in Coronazeiten: dass Kinderbetreuung in Notgruppen nur dann möglich ist, wenn beide Elternteile systemrelevante Berufe ausüben. Unter den sieben (großteils Teilzeit)Kräften bei Abt Bestattungen müssen daher zwei kürzer treten, um selbst für die Kinderbetreuung aufzukommen.
Inmitten all der Unwägbarkeiten aber zeigt sich Ingrid Marschall optimistisch angesichts der Vorteile, die ein Familienbetrieb mit sich bringt: „Wir halten zusammen und werden auch in Zukunft alles dafür geben, um den Verstorbenen und Ihren Angehörigen einen würdigen Abschied zu ermöglichen.“
Wir sind 24 Stunden am Tag erreichbar und in gewohntem Umfang für die Angehörigen da“,