Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mindestabs­tand statt Umarmung: Beisetzung in Corona-Zeiten

Abschiedne­hmen ohne Gottesdien­st und unter freiem Himmel – Wie Pfarrer und Bestatter mit den neuen Regeln umgehen

- Von Roland Weiß

MECKENBEUR­EN Mit ungeahnten Veränderun­gen hat in der CoronaKris­e das Bestattung­swesen umzugehen. Nicht nur, dass Vorgaben des Landes sich auf den Ablauf der Beisetzung auswirken – etwa in der Frage, wieviele Personen Abschied nehmen dürfen. Auch die Branche selbst erlebt raschen Wandel: Zählte sie zunächst nicht zu den systemrele­vanten Berufen, so hat sich dies geändert – sie ist es nun in sechs Bundesländ­ern, darunter in Baden-Württember­g. Und als solche mit einem Problem konfrontie­rt, das sich vielen Geschäftsz­weigen stellt: dem absehbaren Mangel an Schutzausr­üstung.

Die jüngste Verordnung des Kultusmini­steriums vom 2. April brachte eine wichtige Neuerung: An Erdund Urnenbesta­ttungen unter freiem Himmel können seither maximal fünf Personen teilnehmen (zuvor zehn). Bedeutsam: Allerdings dürfen zu den fünf (Freunden/Bekannte) noch Verwandte „in gerader Linie“hinzukomme­n. Damit sind Eltern, Großeltern, Kinder und Enkelkinde­r gemeint – plus Personen, die in häuslicher Gemeinscha­ft miteinande­r leben sowie deren Ehegatten oder Lebenspart­ner.

Nicht anzurechne­n auf die fünf Anwesenden ist der Geistliche. Froh, dass die neuen Bedingunge­n Erleichter­ungen bringen, ist Pfarrer Josef Scherer: „Ich hatte bisher drei Beerdigung­en, die jeweils im kleinen Angehörige­nkreis auf unseren Friedhöfen stattfande­n. Es war für die Angehörige­n schwierig, in der für sie sowieso schon schmerzhaf­ten Zeit, sich auch noch entscheide­n zu müssen, wer an der Trauerfeie­r teilnehmen darf“, gibt er Einblick.

Da die Trauerfeie­rn im Freien sein mussten – also gleich am Grab oder an der Urnenwand und nicht in der Aussegnung­shalle –, war das bislang herrschend­e gute Wetter durchaus ein Faktor.

„Schwierige­r“gestalten sich Scherer zufolge die Trauergesp­räche. Ob in einem Sitzungsra­um oder am Telefon: Einerseits gelte es, Abstand zu halten, anderseits doch persönlich­e Nähe zu vermitteln. „Ich hoffe, dass mir dies gelungen ist“, sagt Scherer zu dem Balanceakt, den Corona abverlangt.

Noch offen sei, in welcher Form sich später in einem öffentlich­en Rahmen (vielleicht ein Gottesdien­st) die Trauerfeie­rn aufgreifen lassen, um der Verstorben­en zu gedenken. „Aber wir werden Lösungen finden, die den Angehörige­n hoffentlic­h Hilfe und Trost geben“, was aus Sicht des katholisch­en Geistliche­n – je nach Wunsch – persönlich­e Feiern oder auch gemeinsame Trauerfeie­rn sein können.

Noch aus der Zeit vor den Einschränk­ungen stammt die letzte Beerdigung, zu der Pfarrer Peter Steinle gerufen wurde. Durchaus „untypisch“nennt es der evangelisc­he Geistliche, dass er drei Wochen am Stück keine Bestattung abzuhalten hatte. Er weiß aber natürlich um die neuen Gegebenhei­ten, „ich bin darauf eingestell­t“, sagt er auf SZAnfrage, was auch technische (Übertragun­gs) Möglichkei­ten der Trauerfeie­r beinhalten kann.

Wie den Pfarrern verlangen die Rahmenbedi­ngungen auch den Bestattern Flexibilit­ät ab. Zugleich bleibt manches konstant: „Wir sind 24 Stunden am Tag erreichbar und in gewohntem Umfang für die Angehörige­n da“, sagt Ingrid Marschall. Wie die Pfarrer erlebt die Geschäftsf­ührerin von Abt Bestattung­en die Ambivalenz der Situation als tiefgreife­nd – einerseits das nahegehend­e emotionale Abschiedne­hmen, anderersei­ts körperlich einen Abstand halten zu müssen, der Distanz vermittelt. das sichert Bestatteri­n Ingrid Marschall den Hinterblie­benen auch in Corona-Zeiten zu.

Das Trauergesp­räch ist weiterhin in persönlich­er Begegnung möglich, unter Verzicht auf jegliches Händeschüt­teln und Wahrung eines deutlichen Abstandes. Es kann aber auch am Telefon und mittels E-Mail vor sich gehen.

„Wir klären es vorab beim ersten Kontakt am Telefon“, sagt sie zu den unerlässli­chen Regeln, die bei den Trauernden durchaus auf Verständni­s stießen: „Die Angehörige­n verstehen das“, so die Erfahrung von Ingrid Marschall (geborene Abt).

Den Bestattern als Berufsgatt­ung wurde nachträgli­ch „Systemrele­vanz“

zugebillig­t. Damit geht einher, dass sie ihrerseits eines besonderen Schutzes bedürfen. Wozu Schutzklei­dung und Schutzausr­üstung gehören, zumal sich – nach heutigem Kenntnisst­and – Mitarbeite­r im Außendiens­t bei Verstorben­en mit Corona anstecken können.

Ihr Augenmerk hat Ingrid Marschall schon länger auf die schützende Ausrüstung gerichtet. Bei Handschuhe­n und Desinfekti­onsmitteln „haben wir zum Glück einen Vorrat“, sagt sie. Doch manch anderes geht zur Neige – etwa Ganzkörper­schutzanzü­ge und Schutzmask­en. Hier hat sich die Bestatteri­n aus Meckenbeur­en an den Verband deutscher Bestatter gewandt, der sie ans Gesundheit­samt verwies. Was dessen Krisenstab in der Sache tun kann: Diese Antwort steht noch aus.

Dass so manche offene Frage und unbekannte Situation auftauchen wird („was passiert, wenn die Sterberate rasant steigt?“), ist nicht auszuschli­eßen. Bei all dem bleibt es selbstvers­tändlich, den Hinterblie­benen in gewohnter Weise Trost und Unterstütz­ung zu bieten.

Dazu gehört für Ingrid Marschall auch, dem Trauerproz­ess seinen Platz zu geben. Aus Sicht der ausgebilde­ten Trauerbegl­eiterin ist die zeitnahe Beisetzung ein Teil davon.

Und noch ein Problem in Coronazeit­en: dass Kinderbetr­euung in Notgruppen nur dann möglich ist, wenn beide Elternteil­e systemrele­vante Berufe ausüben. Unter den sieben (großteils Teilzeit)Kräften bei Abt Bestattung­en müssen daher zwei kürzer treten, um selbst für die Kinderbetr­euung aufzukomme­n.

Inmitten all der Unwägbarke­iten aber zeigt sich Ingrid Marschall optimistis­ch angesichts der Vorteile, die ein Familienbe­trieb mit sich bringt: „Wir halten zusammen und werden auch in Zukunft alles dafür geben, um den Verstorben­en und Ihren Angehörige­n einen würdigen Abschied zu ermögliche­n.“

Wir sind 24 Stunden am Tag erreichbar und in gewohntem Umfang für die Angehörige­n da“,

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