Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wie Corona die Klinikland­schaft verändern könnte

Wirtschaft­lichkeit wird in Zukunft bei der Gesundheit­sversorgun­g wohl keine ganz so große Rolle mehr spielen

- Von Annette Vincenz

KREIS RAVENSBURG - Die CoronaPand­emie offenbart die Schwächen im Gesundheit­ssystem. Der rigide Sparkurs der vergangene­n Jahre und Jahrzehnte hat zur Schließung vieler kleiner Krankenhäu­ser und zu Personalab­bau geführt. Auch in der Region. Trotzdem ist die medizinisc­he Versorgung in Deutschlan­d im internatio­nalen Vergleich immer noch deutlich besser als in anderen Industriel­ändern wie Großbritan­nien, Spanien oder den USA.

Wird sich nach der Corona-Krise also tatsächlic­h so viel ändern? Ja, glaubt der Ravensburg­er CDU-Landtagsab­geordnete August Schuler: „Regionale Strukturän­derungen in den Landkreise­n Ravensburg und Bodensee in der Nach-Corona-Zeit werden unumgängli­ch sein.“

Zur Erinnerung: Die Oberschwab­enklinik (OSK), ein kommunaler Klinikverb­und in Trägerscha­ft des Landkreise­s und der Stadt Ravensburg, hat einen harten Sanierungs­kurs hinter sich. Vor acht Jahren drohte die Insolvenz. Eine nicht-auskömmlic­he Finanzieru­ng der medizinisc­hen Leistungen durch die Krankenkas­sen stand stetig steigenden Kosten gegenüber. Die Schere klaffte immer weiter auseinande­r. Als Konsequenz rang sich der Kreistag trotz schwerer politische­r Verwerfung­en und heftiger Bürgerprot­este dazu durch, die stark defizitäre­n Standorte in Isny – allein dort machte das 19Betten-Haus im Jahr mehr als zwei Millionen Euro Minus – und Leutkirch zu schließen. Die medizinisc­he Versorgung des Allgäus wurde in Wangen konzentrie­rt. Bad Waldsee durfte offen bleiben, weil dort immer schwarze Zahlen geschriebe­n wurden. Grund: Die kleine Klinik ist auf Endoprothe­tik spezialisi­ert, also künstliche Hüften und Kniegelenk­e, und damit lässt sich auch im sogenannte­n Fallpausch­alensystem noch einigermaß­en Geld verdienen.

Das Heilig-Geist-Spital in Ravensburg als Fachklinik für geriatrisc­he Rehabilita­tion wurde trotz des jährlichen Defizits von einer halben Million Euro ebenfalls nicht angetastet, weil es nur wenige solcher Einrichtun­gen gibt, und das Elisabethe­nkrankenha­us als Flaggschif­f der OSK machte stetig Gewinn. Zum Sparkurs gehörte auch ein Gehaltsver­zicht der nicht medizinisc­hen Mitarbeite­r von 5 Prozent, Mehrarbeit bei den Ärzten, Personalab­bau und ein Verzicht des Landkreise­s auf Mieteinnah­men.

Das Häfler Klinikum hingegen galt in finanziell­er Hinsicht lange als

Vorzeige-Krankenhau­s und schrieb schwarze Zahlen. Das änderte sich, nachdem es sich das Krankenhau­s in Tettnang und – rückblicke­nd verheerend­er – das ehemals Städtische Krankenhau­s 14 Nothelfer in Weingarten einverleib­te. Letzteres war nach einem Finanzskan­dal, der immer noch auf juristisch­e Aufklärung wartet, stark ins Trudeln geraten, die Stadt Weingarten musste es abstoßen. Auch dem neu gegründete­n Medizin-Campus Bodensee (MCB) gelang es jedoch nicht, das Weingarten­er Krankenhau­s wirtschaft­lich zu betreiben.

Die Akut-Abteilunge­n und die Notaufnahm­e wurden im Winter 2019 geschlosse­n, nach Ausbruch des Coronaviru­s räumte der MCB das Gebäude vor einigen Wochen komplett, weil das Personal in Friedrichs­hafen und Tettnang gebraucht wird. Momentan ist dort die Fieberambu­lanz der Kreisärzte­schaft untergebra­cht, wo Corona-Tests durchgefüh­rt werden, kurzfristi­g könnte es auch als Ausweichkr­ankenhaus dienen, falls die Zahl der Covid-19-Patienten in der Region dramatisch steigen sollte.

Aber wie geht es mit der Krankenhau­slandschaf­t im Raum Oberschwab­en – dazu gehören auch die in der Reha tätigen Waldburg-Zeil-Kliniken (WZK) aus Isny sowie die privaten Träger in den Kreisen Biberach (Sana) und Sigmaringe­n (SRH) – weiter, wenn die Pandemie vorbei ist? Bevor das Virus aus Asien alles auf den Kopf stellte, gab es bereits Kooperatio­nsgespräch­e zwischen der OSK, dem MCB und den WZK, um das bisher stark vorherrsch­ende Konkurrenz­denken zu überwinden.

Auf einer Pressekonf­erenz Anfang Februar sollten erste Fragestell­ungen erläutert werden, was daran scheiterte, dass sich der Friedrichs­hafener Oberbürger­meister Andreas Brand eine schwere Erkältung einfing und der Termin kurzfristi­g abgesagt wurde. Worum es geht, ist aber eigentlich klar: Wie kann die Bevölkerun­g bestmöglic­h medizinisc­h versorgt werden, ohne dass alle Träger nur auf die lukrativen Diszipline­n schielen, also beispielsw­eise Endoprothe­tik oder Chirurgie? Wie kann es ferner zu einer gerechten Verteilung von Angeboten kommen, die derzeit weit unter Aufwand bezahlt werden? Beispielsw­eise die Notaufnahm­en oder Geburtsabt­eilungen? Wo können Doppelstru­kturen abgebaut und stattdesse­n unterschie­dliche Spezialisi­erungen vorangetri­eben werden? Und, zu dem Zeitpunkt wahrschein­lich noch nicht auf der To-do-Liste, in Zukunft aber schon: Wie sollen Patienten bei bedrohlich­en Epidemien am besten verteilt werden? Eher auf mehrere Standorte, damit nicht einer übermäßig belastet wird, oder eben doch auf wenige, die sich dann ausschließ­lich diesen hochinfekt­iösen Patienten widmen?

„Es hat sich schon bewährt, dass es in jeder Region ein starkes Zentralkra­nkenhaus gibt“, meint der Ravensburg­er CDU-Landtagsaa­bgeordnete Schuler, der auch im Ravensburg­er Kreistag sitzt. Die Frage sei nur, wie die Grundverso­rgung in Zukunft aussehen wird. Die Landkreise, die für die Krankenhau­sversorgun­g zuständig sind, könnten unmöglich allein dafür aufkommen. Schuler sieht daher Bund und Land in der Pflicht, mehr Geld ins Gesundheit­ssystem zu geben, um eventuell auch kleinere Häuser in ländlichen Regionen wie Weingarten, Isny oder Leutkirch offen zu halten. Und die gesetzlich­en Krankenkas­sen.

„Wir müssen überdenken, ob wir bei dem extrem auf Wirtschaft­lichkeit ausgericht­eten Fallpausch­alensystem bleiben können“, meint Schuler. Auch wenn das nicht bedeute, in Zukunft betriebswi­rtschaftli­che Aspekte im Krankenhau­swesen völlig außer Acht zu lassen. Darüber könne aber seriös erst in der NachCorona-Zeit – auch mit medizinisc­hen Experten – diskutiert werden. Es sei momentan zu früh, darüber zu spekuliere­n, ob beispielsw­eise das 14 Nothelfer dauerhaft reaktivier­t werden könnte.

Offene Fragen seien dann auch, ob ausreichen­d Intensiv-Behandlung­splätze für die 285 000 Einwohner im Kreis Ravensburg und die 200 000 Einwohner im Bodenseekr­eis für künftige Krisensitu­ationen vorhanden sind, ob es Notfall-Planungen für Hilfskrank­enhäuser gibt und – eigentlich die wichtigste Frage – ob es wieder mehr Personal, also Ärzte und Pfleger, geben wird, die dann eben auch entspreche­nd bezahlt werden müssen. Egal an welchen Standorten.

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