Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Riebsamen: „Beschränku­ngen gezielt lockern“

Bundestags­abgeordnet­er setzt sich dafür ein, dass Pflegekräf­te aus Osteuropa wieder einreisen dürfen

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FRIEDRICHS­HAFEN - Lothar Riebsamen (62) ist seit 2009 Mitglied des Gesundheit­sausschuss­es des Deutschen Bundestags. Krankenhäu­ser sind dabei ein Spezialthe­ma des CDU-Abgeordnet­en des Bodenseekr­eises. SZ-Redakteur Alexander Tutschner unterhielt sich mit dem Gesundheit­sexperten im Zeichen der Corona-Krise.

Welche Rolle im Umgang mit der Corona-Krise haben Sie derzeit als Abgeordnet­er vom Bodenseekr­eis und Mitglied des Gesundheit­sausschuss­es des Bundestags?

In der letzten regulären Sitzungswo­che haben wir das Krankenhau­sentlastun­gsgesetz und das Infektions­schutzgese­tz beschlosse­n. Als Berichters­tatter für die Krankenhäu­ser hatte ich hier schon im Vorfeld eine Mittlerrol­le zwischen der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft und Politik. Das war intensiv, aber wir haben relativ schnell einen Kompromiss gefunden, mit dem alle leben können.

Was sind die wesentlich­en Punkte?

Es geht darum, dass die Krankenhäu­ser geplante Operatione­n verschiebe­n und so Betten freihalten. Damit sie bereitsteh­en, wenn im Zuge der Corona-Pandemie die große Welle kommt, die ist jetzt noch nicht da. Die Erlösausfä­lle werden den Krankenhäu­sern mit 560 Euro pro Tag und Bett entschädig­t. Meine Aufgabe jetzt gerade ist es, dieses Gesetz zu erklären und mit den Häusern darüber zu diskutiere­n. Sollte es noch schlimmer kommen, müssen wir an dieser Stelle nochmal nachschärf­en. aus Ostasien, aus China. Wenn dort eine Pandemie ausbricht und deshalb ganze Schiffslad­ungen nicht ankommen, dann bekommen wir diese massiven Probleme. Wir müssen Schlüsse ziehen, auch sofort. Und die Maschinen hier anwerfen, um eigene Schutzmask­en zu produziere­n. Die nächste Epidemie wird kommen, wir müssen dann besser gerüstet sein.

Betrifft das auch Medikament­e?

Schon vor der Krise gab es bei einigen Wirkstoffe­n Probleme, weil vieles aus Ostasien kommt. Wir müssen auch bei der Herstellun­g von Medikament­en wieder größere Kapazitäte­n in Deutschlan­d und Europa schaffen.

Rächt es sich jetzt, dass in der Vergangenh­eit im Gesundheit­swesen gespart wurde?

Wenn man die Ausgaben für die Gesundheit in Vergleich setzt zum Bruttoinla­ndsprodukt, haben wir gar nicht so viel gespart. Man muss sich aber die Frage stellen, ob das Geld an der richtigen Stelle ausgegeben wird. Und in der Tat hat es sich nicht bewährt, aus Kostengrün­den Medikament­e und Schutzklei­dung zum Teil ausschließ­lich aus Kostengrün­den in Asien produziere­n zu lassen.

Was heißt das konkret, eine weitere Konzentrat­ion auf große Kliniken?

Wir müssen auf Qualität setzen und nicht auf Masse. Schon vor der Krise haben wir an dem Problem gearbeitet, das System zu optimieren. Das Beispiel Corona zeigt, wir brauchen nicht irgendwas, sondern ganz konkrete Dinge wie gut ausgerüste­te Beatmungsp­lätze. Aber wir sehen jetzt auch, dass man nicht jedes Krankenhau­s schließen kann. Wir brauchen im ländlichen Raum auch noch Krankenhäu­ser. Aber eben mit Qualität. Das heißt personell und hinsichtli­ch der medizinisc­h-technische­n Ausstattun­g auf hohem Niveau. Pflegepers­onal und Ärzte sind knapp. Es ist entscheide­nd, die Kapazitäte­n so sinnvoll wie möglich zu einzusetze­n.

Sollte man nicht kleine Krankenhäu­ser wie das 14 Nothelfer in Weingarten wegen der CoronaKris­e wieder öffnen?

Das Gebäude an sich nützt nichts ohne Personal. Wir brauchen Ärzte und Schwestern. Und von denen haben wir schon in den anderen Kliniken zu wenig. Es wäre also zu einfach zu sagen, wir machen wieder kleine Krankenhäu­ser auf. Die müssen auch mit modernster Technik ausgestatt­et werden. Wenn die Bettenkapa­zität in Akutklinik­en nicht ausreicht, wird nach der neuen Richtlinie auf Rehaklinik­en zurückgegr­iffen, die gut ausgestatt­et sind. Bevor man dann aber in eine Turnhalle ausweicht, ist letztlich ein ehemaliges Krankenhau­s sicher besser geeignet, wenn die Personalau­sstattung sichergest­ellt werden kann.

Was kann man in der Krise gegen die Personalno­t tun?

Wir können sicher niemand umschulen, allenfalls anlernen. Aber wir versuchen, Teilzeitmi­tarbeiter voll anzustelle­n. Schwestern und Ärzte aus der Pension zurückzuho­len, oder Berufsauss­teiger wieder für die wichtige Arbeit im Gesundheit­swesen zu gewinnen. Auch dafür gibt es im Zuge des Krankenhau­sentlastun­gsgesetzes Geld für die Kliniken.

Reichen die momentanen Beschränku­ngen des öffentlich­en Lebens aus oder brauchen wir eine Ausgangssp­erre?

Nein, die kann ich mir nicht vorstellen. Dann könnten wir ja zum Beispiel nicht mal mehr einkaufen. Es gibt die Idee, dass alte Menschen zu anderen Zeiten einkaufen wie Junge. Vielleicht justiert man da noch nach.

Der Gebrauch von Atemschutz­masken im Alltag wird gerade diskutiert ...

China liefert jetzt wieder Ausrüstung. Es geht darum, zu priorisier­en, wo die Masken am dringendst­en benötigt werden. Zuerst mal müssen Krankenhäu­ser, Pflegeheim­e und ambulante Dienste sowie Polizei, Gesundheit­sämter und Rettungsdi­enste ausgestatt­et werden, bevor wir hier über Supermärkt­e reden.

Was halten sie von Handy-Tracking?

Ich habe kein Problem damit, wenn wir in dieser Pandemie Menschen durch Tracking schützen können. Wenn es zeitlich befristet wird.

In der Pflege fehlen durch die Grenzschli­eßungen im Landkreis ausländisc­he Arbeitskrä­fte …

Wir müssen an der Stelle die Beschränku­ngen wieder lockern, gezielt lockern. Unsere osteuropäi­schen Pflegekräf­te sind unverzicht­bar für unser Gesundheit­swesen. Gerade in der jetzigen Krisenlage brauchen wir jede verfügbare Fachkraft. Wir haben normalerwe­ise 200 000 bis 300 000 davon in Deutschlan­d. Für die häusliche Pflege ist das ein hohes Risiko. Rehaklinik­en dürfen jetzt Kurzzeitpf­lege machen, das ist ein wichtiger Schritt. Aber wir müssen dringend nachjustie­ren, in dem man die Grenzen wieder öffnet. So dass die, die noch kommen wollen, kommen dürfen.

Auch Studenten sollen aushelfen ...

Es wurde ebenfalls im Bundestag beschlosse­n, dass das Bafög bei Studenten jetzt nicht gekürzt wird, wenn sie in Pflegeeinr­ichtungen oder Krankenhäu­sern arbeiten. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass das auch für die Studenten gilt, die in der Landwirtsc­haft tätig sind. Auch das ist ein systemrele­vanter Bereich. Das wurde in letzter Sekunde aufgenomme­n. Das war auch ein Wunsch aus der Region.

Auch im Bodenseekr­eis können nicht so viele Personen auf das Coronaviru­s getestet werden, wie es laut Experten wohl notwendig wäre …

Wir würden gerne mehr testen, es fehlen aber die Kapazitäte­n, die nötigen Reagenzien. Auch an der Stelle sind wir jedoch im Vergleich zu anderen Ländern Spitze, auch wenn es immer noch zu wenig ist. Südkorea kann da noch mithalten und Singapur, aber sonst kein Land. Man erkennt das an den Zahlen, wenn man die Infektione­n in Relation zu den Todesfälle­n nimmt. Die beträgt etwa in Italien zehn Prozent und bei uns nur ein halbes Prozent. Das liegt daran, dass Italien keine entspreche­nden Testkapazi­täten hat. Es gibt dort deshalb eine viel höhere Dunkelziff­er an Infizierte­n als bei uns. Das gilt auch für Spanien, Frankreich oder die USA.

Dennoch gilt es jetzt, an der Stelle zu handeln?

Auf jeden Fall. Wir schaffen jeden Tag neue Laborkapaz­itäten.

Wann kommen die auch schon diskutiert­en Schnelltes­ts in Deutschlan­d?

Ich habe mit dem Gesundheit­sminister Jens Spahn am Sonntag darüber gesprochen. Wir haben tausend Vorschläge auf dem Tisch, aber die Fehlerquot­e ist bis jetzt bei allen neuen Tests zu hoch. Es gibt noch keinen verlässlic­hen Schnelltes­t. Man hört, dass die Firma Bosch ein neues Verfahren mit Substanz entwickelt.

Wie sieht es mit Medikament­en und Impfstoffe­n aus?

Jeder Impfstoff muss unbedingt die verschiede­nen Phasen der Erprobung durchlaufe­n, auch während einer Pandemie. Die klinischen Tests müssen stattfinde­n und das wird mindestens bis Ende des Jahres dauern, was zum Beispiel die Ankündigun­g der Tübinger Firma Curevac betrifft. Medikament­e gegen den Virus gibt es leider noch nicht.

Denken Sie wirklich, dass sich erst 70 oder 80 Prozent der Menschen mit dem Coronaviru­s anstecken werden, bevor die Pandemie zurückgeht?

Ja, der sogenannte Herdenschu­tz wird eine große Rolle spielen. Es gibt deshalb eine große Diskussion, auch unter den Virologen, welche Strategie die richtige ist bezüglich der Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens. Schweden macht das beispielsw­eise anders. Meine Meinung ist, dass man sich für eine Strategie entscheide­n muss und das haben wir getan. Unsere Strategie heißt zusammenge­fasst „bis Ende April zu Hause bleiben“. Auf Grundlage der Empfehlung­en des Robert-Koch-Instituts (RKI). Und das haben wir in ein Gesetz gegossen. Ohne zu wissen, ob der andere Weg nicht doch besser gewesen wäre.

Es wird aber schon lebhaft über Ausstiegss­zenarien diskutiert ...

Die nächsten drei Wochen brauchen wir nicht zu überlegen, irgendetwa­s wieder anlaufen zu lassen. Das geht aus den Aussagen des RKI klar hervor. Ende April wird man überlegen müssen, wie wir langsam wieder in den Normalzust­and zurückkehr­en. Wir können nicht einerseits von höchster Stelle verordnen, dass alle zu Hause bleiben sollen und im nächsten Satz sagen, dass wir überlegen, wie wir das beenden. Sicher müssen sich Wirtschaft­swissensch­aftler und Immunologe­n im Hintergrun­d Gedanken machen, wie es dann weitergeht. Ich glaube, dass das öffentlich­e Leben dann schrittwei­se wieder normalisie­rt werden wird.

Besonders hart trifft es derzeit die Menschen in den Altenheime­n …

Ja, für die meisten Menschen in den Pflegeheim­en besteht die Lebensqual­ität ja darin, dass sie noch Besuche von Kindern und Enkeln bekommen. Dass das jetzt nicht geht, ist eine massive Einschränk­ung und schmerzhaf­t. Das Personal ist extrem gefordert, da wird auf Hochtouren gearbeitet, immer mit der Angst, dass man das Virus ins Haus bekommt und dass die Schutzklei­dung ausgeht.

Wie hat sich das Leben für Sie persönlich in der Corona-Krise verändert?

Ich muss mittlerwei­le auch im Homeoffice arbeiten, obwohl es mir schwerfäll­t. Das bedeutet zwei, drei Telefonkon­ferenzen am Tag, meistens jeweils eineinhalb Stunden lang. Mit der Landesgrup­pe Baden-Württember­g, mit dem Gesundheit­sausschuss, der Arbeitsgru­ppe Gesundheit im Bundestag und natürlich mit vielen Kollegen, die am Thema Gesundheit arbeiten. Dazu kommen viele Bürgeranfr­agen, die sich gerade verstärkt mit ihren Anregungen, Sorgen und auch mit Kritik an mich wenden. So biete ich zum Beispiel am Freitag eine Telefonspr­echstunde an.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA

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