Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Die Renaissance der kleinen Geschäfte
Hofläden erleben in der Krise einen Zulauf, müssen aber auch mit Problemen kämpfen
MECKENBEUREN/TETTNANG Auch in Zeiten der Corona-Krise müssen Menschen essen. Aber gerade die offen gebliebenen großen Supermärkte werden von vielen skeptisch beäugt, ist ein vorübergehendes Zusammentreffen mit einer großen Anzahl unbekannter Menschen dort fast nicht zu vermeiden. Eine Alternative bieten kleine Hofläden, die als Direktvermarkter den regionalen und vor allem den nahezu kontaktfreien Einkauf ermöglichen. Zwar haben auch sie, abhängig von den selbst angebauten und angebotenen Produkten, coronabedingte Schwierigkeiten, jedoch überwiegt die Freude über das gestiegene Interesse am eigenen Angebot.
Im ländlichen Raum rund um Tettnang und Meckenbeuren gibt es eine Vielzahl dieser Hofläden. Sie haben ihre Verkaufsfläche sowie den Umgang mit ihren Kunden den Anordnungen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus angepasst. Wenige Menschen gleichzeitig im Geschäft, die Kontrolle der Abstandsregelung, Tröpfchenschutz für die angebotenen Ware und für das Personal sowie Desinfektionsspray vor und in den Läden sind mittlerweile selbstverständlich.
Dazu kommt, dass es meistens keine Einkaufswagen oder -körbe gibt, die ohne Desinfektion an den nächsten Kunden übergeben werden – gekaufte Waren wandern direkt vom Verkäufer in die mitgebrachten Taschen. Worauf dieser Tage allerdings allerorts verzichtet werden muss, ist das eigenhändige Prüfen und Aussuchen der Ware. „Zu gefährlich“, sind sich die Landwirte in diesem Punkt einig.
„Es sind nicht mehr Kunden, aber sie kaufen insgesamt mehr, sodass ich mich über den Umsatz nicht beschweren kann“, beschreibt beispielsweise Brigitte Amann von Amanns Hofladen in Meckenbeuren-Hohenreute die Situation. Kartoffeln, Äpfel und Dosenwurst seien von ihren Kunden zu Beginn der Krise förmlich gehamstert worden. Und auch jetzt werde vom Einzelnen mehr gekauft, allerdings falle im Gegenzug das Geschäft mit den Touristen und Messebesuchern, die in den vergangenen Jahren verlässlich auf den Hof pilgerten, heuer komplett weg.
Ähnlich beschreibt Gabi Deutelmoser von Deutelmosers Hofladen in Meckenbeuren die Entwicklung. Natürlich gelten auch hier die allgemeinen Abstandsregelungen und die Selbstbedienung an der Ware ist bis auf Weiteres untersagt, trotzdem verzeichnet das Familienunternehmen leichte Zuwächse. Deutelmoser sieht gerade in der strikten Einhaltung der Hygieneregeln den Grund für das steigende Vertrauen ihrer Kunden. „Die Menschen fühlen sich sicherer, wenn bei uns nur zwei Menschen gleichzeitig im Laden erlaubt sind, als wenn sie in einem vollen Supermarkt einkaufen, wo die Produkte vielleicht schon von zehn Leuten in die Hand genommen und wieder zurückgelegt worden sind.“
Diese Regelungen werden natürlich auch im Hofladen von Rolf Haller in Meckenbeuren-Siglishofen befolgt und „von den Kunden voll akzeptiert“, so der Landwirt. Insgesamt habe er bislang vermutlich eher ein Plus in der Kasse. Dadurch, dass die Gastronomie als bisheriger Großabnehmer aktuell aber gar keinen Bedarf habe, werde der leichte Anstieg der Kundenzahl im Hofladen auch dringend benötigt. Für die nahe Zukunft sieht Haller weitere Probleme auf sich und seinen Betrieb zukommen. „In Sachen Erntehelfer für die Spargelernte ist es bei uns bereits jetzt sehr eng, und ich weiß nicht, ob es besser wird“, orakelt er. Gerade bei der anstehenden Spargelernte und der anschließenden Erdbeerernte ist Haller auf die Hilfe von Saisonarbeitskräften
angewiesen. Ob diese 2020 in ausreichender Zahl zu ihm auf den Hof kommen, ist seit Inkrafttreten der Einreisebeschränkungen fraglich.
Etwas entspannter stellt sich die Lage diesbezüglich bei Angelika Enzenmüller-Hund vom Obstbau Alfons Hund in Tettnang dar. Auch sie spürt den Anstieg der Nachfrage und beobachtet aktuell besonders mehr ältere Menschen in ihrem Laden. „Sie wollen die Menschenmengen in Supermärkten meiden und kommen daher vermehrt zu uns und kaufen ihr Gemüse.“Bei ihnen steht ab Mitte Juni die Kirschernte ins Haus, und die Familie hofft, dass sich die Lage bis dahin entspannt hat.
Bislang keine Probleme mit Erntehelfern hat Johannes Weishaupt, da der Fokus im familieneigenen Seemost Kellerei Hofladen in Mecken-beuren auf dem Verkauf von handwerklich hergestellten Mostsorten, Obstsäften, Likören und Schnäpsen liegt. Bis zur Ernte der meisten Früchte dauert es noch einige Wochen. Die Sauerkirschen werden hier außerdem von Maschinen geerntet. Sollte sich die Problematik bis zur Apfelernte im September und Oktober allerdings nicht ändern, werden die Früchte womöglich auch hier an den Bäumen bleiben. Und auch für ihn sind die geschlossenen Restaurants ein Problem. „Leider fällt uns aktuell die Gastronomie als Großabnehmer gänzlich weg“, beschreibt der Geschäftsführer die Situation, bleibt aber trotzdem positiv eingestellt. Denn was die Entwicklung bei den Privatkunden angeht, kann auch er sich nicht beschweren. „Wir haben vor wenigen Wochen definitiv gespürt, dass die Menschen Hamsterkäufe getätigt haben. Und auch anhaltend ist die Kundschaft da und deckt sich gefühlt noch ausreichender ein als sonst üblich.“
Einen empfindlichen Rückgang erlebte das Unternehmen allerdings beim sonst florierenden Ostergeschäft mit Likören und selbst gemachten Bränden, die dieses Jahr eher in den Regalen stehen blieben. „Wir führen dies darauf zurück, dass Liköre und Schnäpse ein gerne genommenes Mitbringsel bei Einladungen sind. Gerade Liköre werden sonst in der Osterzeit gerne gekauft. Da aber niemand mehr Besuche abstattet, werden offensichtlich auch keine Geschenke benötigt.“
Glücklich ist da, wer bereits vor der Krise andere Wege der Vermarktung eingeschlagen hat. Wie der Hofladen Bio Mayer von Philip Mayer in
Meckenbeuren. Die Familie verkauft das eigene Gemüse und die Kartoffeln vom eigenen Feld nicht nur im Geschäft, sondern liefert die Produkte auf Wunsch auch direkt an die Haustür. Ein Service, der aktuell stark nachgefragt wird, wie Mayers Schwester Julia Roth als Verantwortliche für das Liefergeschäft zu berichten weiß.
„Am deutlichsten, und das im positiven Sinne, spüren wir die Veränderung in unserem Lieferservice. Wir bieten seit 30 Jahren Lieferungen an Privathaushalte an und dieses Modell boomt momentan.“Tatsächlich sei die Nachfrage so rasant gestiegen, dass viele Anfragen von Neukunden mittlerweile aus Kapazitätsgründen abgelehnt werden müssen. Aber auch im Hofladen sei ein Anstieg spürbar, was laut Roth auf die umfangreicheren Einkäufe der Stammkundschaft zurückzuführen sei. „Die Menschen sind notgedrungen zu Hause, und wo die Kinder sonst in der Mensa und die Eltern in der Kantine gegessen haben, wird jetzt jeden Tag daheim gekocht“, so Roth.
Solange die Menschen gezwungen sind, weiter zu Hause zu bleiben, werden sich die Hofläden wohl über weiteren Zulauf freuen dürfen.