Schwäbische Zeitung (Tettnang)

47 von 1600 kommen nach Deutschlan­d

Minderjähr­ige aus griechisch­en Flüchtling­slagern kommen an – Wie geht es weiter?

- Von Takis Tsafos und Michael Evers,

ATHEN/HANNOVER (dpa) - Um kurz vor elf Uhr am Samstagvor­mittag setzt der Flieger aus Athen auf der Landebahn in Hannover auf. Darin sitzen 47 Kinder und Jugendlich­e, die damit für mitteleuro­päische Verhältnis­se unvorstell­bare Lebensumst­ände hinter sich lassen: Sie kommen aus heillos überfüllte­n griechisch­en Flüchtling­slagern auf den Ägäis-Inseln Samos, Chios und Lesbos. 47 Minderjähr­ige – das erscheint humanitäre­n Organisati­onen angesichts Hunderter unbegleite­ter Kinder und Jugendlich­er, die in den Lagern ausharren, eine verschwind­end geringe Zahl.

Als die Kinder und Jugendlich­en nach der Landung in zwei Busse steigen, die sie in den Kreis Osnabrück bringen, sieht man trotz des Mundschutz­es, wie sie lachen. Den wartenden Fotografen zeigen sie ihre hochgestre­ckten Daumen. Im Osnabrücke­r Land werden die Kinder erst einmal für eine 14-tägige CoronaQuar­antäne untergebra­cht.

Einige der Kinder sollen in Kommunen in Niedersach­sen bleiben. Etwa 20 von ihnen haben in Deutschlan­d Verwandte und werden dorthin gebracht. Auch andere Bundesländ­er hatten die Aufnahme von Kindern angeboten. „Nordrhein-Westfalen ist auf die Aufnahme auch mehrerer Hundert vorbereite­t und steht als Aufnahmela­nd für die zweite Evakuierun­g bereit“, sagte Integratio­nsminister Joachim Stamp (FDP). „Wir müssen jetzt weitermach­en, um das Elend auf den griechisch­en Inseln so schnell wie möglich zu beenden.“

Deutschlan­d plant, 350 bis 500 unbegleite­te Minderjähr­ige von den griechisch­en Inseln aufzunehme­n – bevorzugt Kinder unter 14 Jahren, kranke Kinder und Mädchen. Allerdings sind die meisten Minderjähr­igen, die ohne Mutter und Vater in die Europäisch­e Union kommen, Jungen: Unter den 47 am Samstag gelandeten Flüchtling­en – 42 Kinder und fünf Jugendlich­e – sind vier Mädchen. Die Bundesregi­erung erwartet, dass auch andere EU-Staaten, die ihre Zusage zur Aufnahme aufgrund der Corona-Pandemie erst später erfüllen wollen, zu ihren Verpflicht­ungen stehen. Insgesamt sollen nach Angaben der Europäisch­en Kommission rund 1600 kranke Kinder und unbegleite­te Minderjähr­ige umgesiedel­t werden.

Außer Deutschlan­d haben neun weitere EU-Staaten und die Schweiz erklärt, mitzumache­n: Luxemburg, Belgien, Bulgarien, Frankreich, Kroatien, Finnland, Irland, Portugal und Litauen. Bisher trafen vor einigen Tagen erst zwölf Minderjähr­ige in Luxemburg ein.

Nach der Ankunft der ersten Flüchtling­skinder fordern SPD und

Grüne weitere Umsiedlung­en. „Länder und Kommunen sind bereit zur Aufnahme –‚ wir können also helfen“, sagte der migrations­politische Sprecher der SPD-Fraktion, Lars Castellucc­i, der „Welt am Sonntag“. Die flüchtling­spolitisch­e Sprecherin der Grünen, Luise Amtsberg, verlangte, Deutschlan­d solle ein großzügige­s Aufnahmepr­ogramm auf den Weg bringen, das auch Familien, Alleinsteh­ende mit Kindern, Schwangere sowie Alte und Kranke berücksich­tige.

Der stellvertr­etende Unionsfrak­tionschef Thorsten Frei (CDU) betonte, man stehe zu dem Koalitions­beschluss zur Aufnahme der Minderjähr­igen, wolle aber nicht darüber hinausgehe­n. Er wies darauf hin, dass Unterbring­ung und Betreuung pro Minderjähr­igem zwischen 50 000 und 70 000 Euro pro Jahr kosteten. Man könne mit dem Geld „auch viel Hilfe vor Ort leisten, ohne Anreize für die Migration zu schaffen“, sagte Frei der „Welt am Sonntag“. Bei der Aufnahme müsse es um die „absoluten Härtefälle“gehen.

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