Schwäbische Zeitung (Tettnang)
47 von 1600 kommen nach Deutschland
Minderjährige aus griechischen Flüchtlingslagern kommen an – Wie geht es weiter?
ATHEN/HANNOVER (dpa) - Um kurz vor elf Uhr am Samstagvormittag setzt der Flieger aus Athen auf der Landebahn in Hannover auf. Darin sitzen 47 Kinder und Jugendliche, die damit für mitteleuropäische Verhältnisse unvorstellbare Lebensumstände hinter sich lassen: Sie kommen aus heillos überfüllten griechischen Flüchtlingslagern auf den Ägäis-Inseln Samos, Chios und Lesbos. 47 Minderjährige – das erscheint humanitären Organisationen angesichts Hunderter unbegleiteter Kinder und Jugendlicher, die in den Lagern ausharren, eine verschwindend geringe Zahl.
Als die Kinder und Jugendlichen nach der Landung in zwei Busse steigen, die sie in den Kreis Osnabrück bringen, sieht man trotz des Mundschutzes, wie sie lachen. Den wartenden Fotografen zeigen sie ihre hochgestreckten Daumen. Im Osnabrücker Land werden die Kinder erst einmal für eine 14-tägige CoronaQuarantäne untergebracht.
Einige der Kinder sollen in Kommunen in Niedersachsen bleiben. Etwa 20 von ihnen haben in Deutschland Verwandte und werden dorthin gebracht. Auch andere Bundesländer hatten die Aufnahme von Kindern angeboten. „Nordrhein-Westfalen ist auf die Aufnahme auch mehrerer Hundert vorbereitet und steht als Aufnahmeland für die zweite Evakuierung bereit“, sagte Integrationsminister Joachim Stamp (FDP). „Wir müssen jetzt weitermachen, um das Elend auf den griechischen Inseln so schnell wie möglich zu beenden.“
Deutschland plant, 350 bis 500 unbegleitete Minderjährige von den griechischen Inseln aufzunehmen – bevorzugt Kinder unter 14 Jahren, kranke Kinder und Mädchen. Allerdings sind die meisten Minderjährigen, die ohne Mutter und Vater in die Europäische Union kommen, Jungen: Unter den 47 am Samstag gelandeten Flüchtlingen – 42 Kinder und fünf Jugendliche – sind vier Mädchen. Die Bundesregierung erwartet, dass auch andere EU-Staaten, die ihre Zusage zur Aufnahme aufgrund der Corona-Pandemie erst später erfüllen wollen, zu ihren Verpflichtungen stehen. Insgesamt sollen nach Angaben der Europäischen Kommission rund 1600 kranke Kinder und unbegleitete Minderjährige umgesiedelt werden.
Außer Deutschland haben neun weitere EU-Staaten und die Schweiz erklärt, mitzumachen: Luxemburg, Belgien, Bulgarien, Frankreich, Kroatien, Finnland, Irland, Portugal und Litauen. Bisher trafen vor einigen Tagen erst zwölf Minderjährige in Luxemburg ein.
Nach der Ankunft der ersten Flüchtlingskinder fordern SPD und
Grüne weitere Umsiedlungen. „Länder und Kommunen sind bereit zur Aufnahme –‚ wir können also helfen“, sagte der migrationspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Lars Castellucci, der „Welt am Sonntag“. Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, Luise Amtsberg, verlangte, Deutschland solle ein großzügiges Aufnahmeprogramm auf den Weg bringen, das auch Familien, Alleinstehende mit Kindern, Schwangere sowie Alte und Kranke berücksichtige.
Der stellvertretende Unionsfraktionschef Thorsten Frei (CDU) betonte, man stehe zu dem Koalitionsbeschluss zur Aufnahme der Minderjährigen, wolle aber nicht darüber hinausgehen. Er wies darauf hin, dass Unterbringung und Betreuung pro Minderjährigem zwischen 50 000 und 70 000 Euro pro Jahr kosteten. Man könne mit dem Geld „auch viel Hilfe vor Ort leisten, ohne Anreize für die Migration zu schaffen“, sagte Frei der „Welt am Sonntag“. Bei der Aufnahme müsse es um die „absoluten Härtefälle“gehen.