Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Briefeschr­eiben ist wieder modern

Die Mitarbeite­rinnen der Postagentu­r am Bahnhof sorgen dafür, dass Menschen in Verbindung bleiben

- Von Karin Schütrumpf

MECKENBEUR­EN - Selten reißt die Schlange vor dem gelben Postschalt­er ab. In einer normalen Arbeitswoc­he kommen rund 260 Menschen in die Postagentu­r – um Briefe, Päckchen und Pakete aufzugeben, Geld abzuholen oder Briefmarke­n zu kaufen. In der Woche vor dem Osterfest ohne Besuche bei Oma, Opa oder Enkeln standen mehr als doppelt so viele Menschen an den Schaltern.

„So viele Päckchen sind seit 20 Jahren nicht verschickt worden“, glaubt Elisabeth Stecker, Inhaberin der Firma „Reisen und Mehr“, zu der auch die Postagentu­r im Bahnhofsge­bäude gehört. „Die Menschen schreiben wieder private Briefe“, ist Annette Deickert-Janz und Gisela Ziegler aufgefalle­n. Die beiden ausgebilde­ten Post-Profis halten am Schalter der Agentur am Bahnhof trotz Corona die Stellung und haben in der letzten Woche unzählige Ostergrüße auf den Weg gebracht. „Der private Osterbrief hat eine Renaissanc­e erlebt. Sonst haben zu Ostern eher Firmen Post verschickt“, findet auch Agenturinh­aberin Elisabeth Stecker. Wer seine Angehörige­n nicht besuchen kann, besinnt sich ihrer Meinung nach auf traditione­lle Kommunikat­ionsformen wie den Brief, der unter Privatleut­en schon ziemlich in

Vergessenh­eit geraten war. Auch sonst hat sich für die Postprofis einiges verändert. „Am Anfang haben die Leute viel Geld abgehoben“, erzählt Elisabeth Stecker. Auch Geldversan­d ins Ausland sei häufiger als vor der Coronapand­emie vorgekomme­n.

„Das hat sich aber inzwischen alles wieder gelegt“, findet sie. Große Aufsteller halten die Kunden auf Distanz. Ein Spuckschut­z vor einem Schalter sorgt für Sicherheit. Eine zweite Glasscheib­e ist geplant. „Die Menschen halten Abstand. Wir müssen selten eingreifen“, lobt Stecker die Disziplin ihrer Kunden. Immer mehr Kunden kämen auch mit Mundschutz oder Gummihands­chuhen. „Auch die Hilfsberei­tschaft der Menschen ist gestiegen“, glaubt Stecker.

Für die Mitarbeite­rinnen liegen ebenfalls Masken und Handschuhe bereit. Annette Deickert-Janz und Gisela Ziegler arbeiten momentan nicht mit dieser Schutzausr­üstung. Briefmarke­n mit Gummihands­chuhen aufkleben geht einfach nicht. Und Kundenansp­rache durch die Schutzmask­e ist schwer zu verstehen. Außerdem: Kundenkont­akt ist Routinesac­he für die Postprofis. „Manchmal vergisst man das Ganze“,

schmunzelt Annette DeickertJa­nz.

Wenn ein Paket über den Schalter genommen wird, sei es mit dem Abstandhal­ten ohnehin schwierig. Eine Ansteckung durch die vielen Kundenkont­akte fürchtet Gisela Ziegler, die heute hinter dem Paketschal­ter steht, nicht. „In unserem Beruf hat man immer viel Kontakt zu Menschen. Erkältungs- und Grippezeit ist jedes Jahr. Da braucht man ein gutes Immunsyste­m. Sonst ist das hier sowieso kein Job“, findet Ziegler.

Elisabeth Stecker hat alle acht Mitarbeite­r gefragt, ob sie auch in Coronazeit­en weiterarbe­iten wollen. Wer persönlich ein höheres Risiko hat, bleibt zu Hause. Die Hälfte der Mitarbeite­r macht weiter und hält die Stellung.

Durchhalte­n heißt es auch für die Unternehme­rin Elisabeth Stecker. Sie freut sich, dass sie mit der Postagentu­r wenigstens einen Geschäftsb­ereich hat, der momentan gut läuft.

Fahrkarten sind auch bei „Reisen und Mehr“am Meckenbeur­er Bahnhof kein Verkaufssc­hlager mehr. Das überhaupt mal eine Fahrkarte verlangt wird, ist schon eine große Ausnahme. Wer ins Reisebüro kommt, will stornieren. Um für eine große Gruppe alles wieder rückgängig zu machen, ist Elisabeth Stecker leicht einen ganzen Vormittag beschäftig­t. „Das ist ein Riesenminu­s für viel Arbeit“, sagt sie: „Ich kann die Leute aber verstehen und ich versuche da auch zu helfen.“

Auch bei der Touristinf­ormation ist momentan nichts los. „Es wäre schön, wenn ich mal wieder eine touristisc­he Frage beantworte­n dürfte. Und auf die erste richtige Reisebuchu­ng freue ich mich auch schon wahnsinnig“, blickt sie in die Zukunft. Wann das sein wird, weiß Elisabeth Stecker auch noch nicht. Bis dahin ist sie aber stolz auf ihre ausgebilde­ten Postprofis, denn die halten jetzt den Laden am Laufen.

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FOTOS: KARIN SCHÜTRUMPF
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