Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Eine Behörde im Krisenmodus
Kreisverwaltung arbeitet seit sechs Wochen mit Stab-Struktur – Viele Ämter stark gefordert
FRIEDRICHSHAFEN - Eine Verwaltungsbehörde im Ausnahmezustand: Bereits Anfang Februar ist im Landratsamt des Bodenseekreises wegen der Ausbreitung des Coronavirus der Krisenstab aktiviert worden. Die Arbeitsabläufe wurden nach einem Krisenplan neu geordnet und auf die Bekämpfung der Seuche ausgerichtet. Als Katastrophenschutzbehörde und mit dem Gesundheitsamt als zentral zuständiger Stelle steht die Kreisverwaltung dabei jetzt im Mittelpunkt. Im Gegensatz zu den Gemeindeverwaltungen kann der Betrieb nicht heruntergefahren werden, im Gegenteil.
„Wir sind Katastrophenschutzbehörde“, sagt Landrat Lothar Wölfle. Die Kreisverwaltung könne daher ihre Mitarbeiter jetzt nicht nach Hause schicken. Auch bei der Kreisverwaltung wurde der Kundenverkehr zwar eingeschränkt, um den direkten Kontakt zwischen den Menschen im Sinne des Infektionsschutzes auf ein Minimum zu reduzieren. Nur wenige Bereiche liegen aber komplett still wie zum Beispiel die Volkshochschule, wo Trainer und Lehrer derzeit zu Hause sind. Hier wird aber gerade das nächste Semester vorbereitet. „Wir machen unseren Dienst normal weiter“, sagt der Pressesprecher des Bodenseekreises, Robert Schwarz, „da legen wir großen Wert drauf“. Wenn es etwa einen Ölfilm auf einem Gewässer gebe, kümmert sich das Amt für Wasser- und Bodenschutz darum.
Alle wichtigen Angelegenheiten könnten weiter nach telefonischer Absprache und Terminvergabe erledigt werden. Nur Sachen, die eben nicht zwingend notwendig sind, werden verschoben. Dazu zählt zum Beispiel das Ausstellen von Saisonkennzeichen für Oldtimer und Motorräder oder eine Ummeldung des Kennzeichens von FN zu ÜB oder TT. Dagegen habe man gerade eine Saisonanmeldung eines Autos für eine polnische Erntehelferfamilie, die wegen der Krise nach Hause wollte, erledigt. Dennoch versuche man, den Betrieb zu entzerren. Rund 500 Mitarbeiter der Kreisverwaltung sind derzeit im Homeoffice, in den Großraumbüros wird Abstand gehalten.
„Hochkonjunktur“herrscht derzeit im Jobcenter, sagt Sozialdezernent Ignaz Wetzel, „viele Leute sind in Kurzarbeit“. Auch Selbstständige hätten derzeit Probleme, „die Anträge gehen gerade durch die Decke“. In der ersten Woche im April gingen im Jobcenter so viele Anträge ein wie sonst im ganzen Monat. Im Jugendamt und im Sozialamt sehe es ähnlich aus, mit Unterhaltsvorschüssen und der Grundsicherung. Vielen sei durch die Pandemie-Maßnahmen die wirtschaftliche Basis entzogen worden. Wetzels Dezernat vier ist ohnehin besonders betroffen von der Corona-Krise. Zu seiner Zuständigkeit gehört das Gesundheitsamt als zuständige Behörde für Infektionsschutz und Pandemiebekämpfung. Dazu kommen die zahlreichen Anträge im Jobcenter, im Sozialamt oder das krisenbedingt häufiger geforderte Jugendamt. „Wir müssen als Sozialbehörde jetzt da sein für die Menschen“, sagt Wetzel, „sie brauchen uns jetzt“.
Dazu komme beispielsweise die Tatsache, dass mehrere Hundert Menschen ihre Sozialleistungen im Bodenseekreis in bar ausbezahlt bekommen, da sie kein Konto haben.
Dabei handelt sich vor allem um Asylbewerber und Menschen ohne festen Wohnsitz. Da viele Ortsverwaltungen momentan zu sind, springt auch hier der Kreis ein. Auch im Jugendamt gebe es viel zu tun, da momentan alle Kinder zu Hause seien. „Das ist eine Situation wie zwischen Weihnachten und Dreikönig“, sagt Lothar Wölfle. Der allgemeine Soziale Dienst sei bei Problemen da. Auch das Thema häusliche Gewalt nehme zu, „diese Fälle kommen bei uns an“.
„Seit Mitte Januar war klar, dass da was auf uns zu kommt“, sagt Bernhard Kiß, der Leiter des Gesundheitsamtes. Seit dem 21. Januar sind seine Mitarbeiter rund um die Uhr im Einsatz oder in Bereitschaft. Sieben Tage die Woche. Das Gesundheitsamt wurde nahezu komplett auf das Thema Corona ausgerichtet. Normalerweise hat das Amt umgerechnet 25 Vollzeitstellen oder 30 Köpfe, 8,5 Stellen sind dabei mit Ärzten besetzt. Die Kernaufgabe des Amtes ist der Gesundheitsschutz. Dazu gehört auch in normalen Zeiten der Infektionsschutz. Dabei geht es dann aber meistens um Salmonellen oder Masern. Sowie um Trinkwasser-, Badewasser- und Krankenhaushygiene. Der zweite große Bereich ist die Gesundheitsförderung etwa mit Einschulungsuntersuchungen bei Kindern und koordinierenden Aufgaben, wie Kiß sagt, Stichwort Gesundheitskonferenz. Das meiste davon ist jetzt in den Hintergrund gerückt, „wir sind jetzt bei 95 Prozent Corona“, sagt Kiß.
Ein großer Teil der Arbeit des Gesundheitsamtes betrifft das so genannte Kontaktpersonenmanagement. Alle CoronaTestergebnisse müssen dem Gesundheitsamt von den Laboren gemeldet werden. Die mit Corona infizierten Personen werden dann von den Mitarbeitern angerufen, um zu erfahren, mit wem sie Kontakt hatten. Die Arbeit stelle sie vor große Herausforderungen. Manche Betroffene seien erst mal so aufgeregt, dass sie ihre Kontaktperson nicht nennen können, manche müsse man erst überzeugen, dass sie die Quarantäne einhalten müssen. „Es ist ein großer Aufwand, die Kontaktpersonen zu ermitteln“, sagt auch Landrat Wölfle.
Anschließend müsse man entscheiden, wie hoch das Infektionsrisiko bei den Kontaktpersonen war. „K1“bedeutet Kontaktperson ersten Grades, also höchstes Risiko. Es besteht, wenn man 15 Minuten engen Kontakt hatte mit dem Infizierten oder im selben Haushalt lebt. Auch medizinisches Personal, das ohne Schutzkleidung Kontakt zu einem Corona-Infizierten hatte, gehört dazu. Nur die K1-Personen müssen in eine zweiwöchige Quarantäne. Sie bekommen ein im Amtsdeutsch „Absonderungsverfügung“genanntes Schreiben. Sie wird von der jeweiligen Ortspolizeibehörde angeordnet und zugestellt. „Das hat sich eingespielt“, sagt Landrat Wölfle.
Rund 1500 Absonderungsverfügungen wurden bisher im Bodenseekreis im Zuge der Corona-Pandemie ausgestellt. In seiner 25-jährigen Amtszeit hatte Kiß zuvor nie derart viele Menschen in Quarantäne schicken müssen. Nur in Einzelfällen, etwa wenn ein Tuberkulose-Patient
eine Behandlung verweigerte, wurde er in einer Spezialklinik abgesondert. „So eine Situation, wie wir sie heute weltweit haben, hat es noch nie gegeben“, sagt Kiß.
Einmal kam das System bisher an die Grenzen. In einem Vereinsbus, der von einer Skiausfahrt aus Ischgl zurückkam, hätten sich mehrere Corona-Infizierte befunden. Einer hatte über 100 enge Kontakte angegeben. „Ischgl-Bomber“nennt Kiß den Bus, „da haben wir bis zum Umfallen gearbeitet“. Mittlerweile arbeitet ein ganzer Stab zusätzlicher Mitarbeiter im so genannten Kontaktpersonenmanagement. Sie wurden in verschiedenen anderen Abteilungen rekrutiert, die meisten aus dem Amt für Migration und Integration mit der Leiterin Natascha Fuchs, die auch bei der neuen Abteilung federführend ist. Einige Mitarbeiter kommen auch von der VHS. Dazu fünf Medizinstudenten, die mindestens das sechste Semester absolviert haben. Anfangs hätten die Ärzte des Gesundheitsamtes die Aufgabe übernommen, „das ist aber nicht mehr leistbar“, sagt Wölfle.
Es gibt nun eine eigene Telefonzentrale im Gesundheitsamt für diesen Bereich. Bis zu 20 Leute können hier gleichzeitig arbeiten. Medizinische Auskünfte erteilen aber weiterhin nur die Ärzte. Sie geben der neuen Abteilung auch ein tägliches Briefing. Die Ärztinnen und Ärzte des Gesundheitsamts kümmern sich außerdem um die Krankenhäuser und Pflegeheime im Landkreis. Mit den 20 neuen Mitarbeitern sind laut Kiß derzeit in der Spitze bis zu 30 Personen mit dem Kontaktpersonenmanagement
beschäftigt. Ein Team des Kommunal- und Prüfungsamtes hat außerdem die Bearbeitung von Entschädigungsanträgen im Zusammenhang mit den Quarantäneverfügungen übernommen.
Auch beim Aufbau des CoronaTestzentrums in Oberteuringen und etwas später der Fieberambulanz in der Messe war das Amt maßgeblich beteiligt. Die Terminkoordination dafür, und seit Kurzem auch für die Überlinger Fieberambulanz, wird ebenfalls in Wetzels Dezernat geleistet. Vor Ort kümmern sich Mitarbeiter des Landratsamts, beziehungsweise der Überlinger Stadtverwaltung um die Abläufe in den beiden Corona-Ambulanzen.
Sieben Tage in der Woche arbeitet seither das Corona-Krisenteam des Landratsamts, es gibt weitere rund 20 Verwaltungsmitarbeiter, die als Ersatz zur Verfügung stehen. Unter der Häfler Nummer 204-3300 gibt das Landratsamt außerdem Auskünfte rund um das Thema Coronavirus. Dazu kommen als Hotlines die reguläre Behördenauskunft 115 und Sonder-Telefonleitungen des Jobcenters.
Auch abseits der Corona-Krise muss in vielen Bereichen die Arbeit der Kreisbehörde normal weiterlaufen. Landwirte müssen beim Stellen von Förderanträgen unterstützt werden, die Abfallentsorgung muss funktionieren. „Der öffentliche Dienst wird jetzt besonders gebraucht, auch über das Gesundheitsamt hinaus“, sagt Robert Schwarz, das sei die Haltung im Haus. „Deshalb sind wir da.“