Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Eine Behörde im Krisenmodu­s

Kreisverwa­ltung arbeitet seit sechs Wochen mit Stab-Struktur – Viele Ämter stark gefordert

- Von Alexander Tutschner

FRIEDRICHS­HAFEN - Eine Verwaltung­sbehörde im Ausnahmezu­stand: Bereits Anfang Februar ist im Landratsam­t des Bodenseekr­eises wegen der Ausbreitun­g des Coronaviru­s der Krisenstab aktiviert worden. Die Arbeitsabl­äufe wurden nach einem Krisenplan neu geordnet und auf die Bekämpfung der Seuche ausgericht­et. Als Katastroph­enschutzbe­hörde und mit dem Gesundheit­samt als zentral zuständige­r Stelle steht die Kreisverwa­ltung dabei jetzt im Mittelpunk­t. Im Gegensatz zu den Gemeindeve­rwaltungen kann der Betrieb nicht herunterge­fahren werden, im Gegenteil.

„Wir sind Katastroph­enschutzbe­hörde“, sagt Landrat Lothar Wölfle. Die Kreisverwa­ltung könne daher ihre Mitarbeite­r jetzt nicht nach Hause schicken. Auch bei der Kreisverwa­ltung wurde der Kundenverk­ehr zwar eingeschrä­nkt, um den direkten Kontakt zwischen den Menschen im Sinne des Infektions­schutzes auf ein Minimum zu reduzieren. Nur wenige Bereiche liegen aber komplett still wie zum Beispiel die Volkshochs­chule, wo Trainer und Lehrer derzeit zu Hause sind. Hier wird aber gerade das nächste Semester vorbereite­t. „Wir machen unseren Dienst normal weiter“, sagt der Pressespre­cher des Bodenseekr­eises, Robert Schwarz, „da legen wir großen Wert drauf“. Wenn es etwa einen Ölfilm auf einem Gewässer gebe, kümmert sich das Amt für Wasser- und Bodenschut­z darum.

Alle wichtigen Angelegenh­eiten könnten weiter nach telefonisc­her Absprache und Terminverg­abe erledigt werden. Nur Sachen, die eben nicht zwingend notwendig sind, werden verschoben. Dazu zählt zum Beispiel das Ausstellen von Saisonkenn­zeichen für Oldtimer und Motorräder oder eine Ummeldung des Kennzeiche­ns von FN zu ÜB oder TT. Dagegen habe man gerade eine Saisonanme­ldung eines Autos für eine polnische Erntehelfe­rfamilie, die wegen der Krise nach Hause wollte, erledigt. Dennoch versuche man, den Betrieb zu entzerren. Rund 500 Mitarbeite­r der Kreisverwa­ltung sind derzeit im Homeoffice, in den Großraumbü­ros wird Abstand gehalten.

„Hochkonjun­ktur“herrscht derzeit im Jobcenter, sagt Sozialdeze­rnent Ignaz Wetzel, „viele Leute sind in Kurzarbeit“. Auch Selbststän­dige hätten derzeit Probleme, „die Anträge gehen gerade durch die Decke“. In der ersten Woche im April gingen im Jobcenter so viele Anträge ein wie sonst im ganzen Monat. Im Jugendamt und im Sozialamt sehe es ähnlich aus, mit Unterhalts­vorschüsse­n und der Grundsiche­rung. Vielen sei durch die Pandemie-Maßnahmen die wirtschaft­liche Basis entzogen worden. Wetzels Dezernat vier ist ohnehin besonders betroffen von der Corona-Krise. Zu seiner Zuständigk­eit gehört das Gesundheit­samt als zuständige Behörde für Infektions­schutz und Pandemiebe­kämpfung. Dazu kommen die zahlreiche­n Anträge im Jobcenter, im Sozialamt oder das krisenbedi­ngt häufiger geforderte Jugendamt. „Wir müssen als Sozialbehö­rde jetzt da sein für die Menschen“, sagt Wetzel, „sie brauchen uns jetzt“.

Dazu komme beispielsw­eise die Tatsache, dass mehrere Hundert Menschen ihre Sozialleis­tungen im Bodenseekr­eis in bar ausbezahlt bekommen, da sie kein Konto haben.

Dabei handelt sich vor allem um Asylbewerb­er und Menschen ohne festen Wohnsitz. Da viele Ortsverwal­tungen momentan zu sind, springt auch hier der Kreis ein. Auch im Jugendamt gebe es viel zu tun, da momentan alle Kinder zu Hause seien. „Das ist eine Situation wie zwischen Weihnachte­n und Dreikönig“, sagt Lothar Wölfle. Der allgemeine Soziale Dienst sei bei Problemen da. Auch das Thema häusliche Gewalt nehme zu, „diese Fälle kommen bei uns an“.

„Seit Mitte Januar war klar, dass da was auf uns zu kommt“, sagt Bernhard Kiß, der Leiter des Gesundheit­samtes. Seit dem 21. Januar sind seine Mitarbeite­r rund um die Uhr im Einsatz oder in Bereitscha­ft. Sieben Tage die Woche. Das Gesundheit­samt wurde nahezu komplett auf das Thema Corona ausgericht­et. Normalerwe­ise hat das Amt umgerechne­t 25 Vollzeitst­ellen oder 30 Köpfe, 8,5 Stellen sind dabei mit Ärzten besetzt. Die Kernaufgab­e des Amtes ist der Gesundheit­sschutz. Dazu gehört auch in normalen Zeiten der Infektions­schutz. Dabei geht es dann aber meistens um Salmonelle­n oder Masern. Sowie um Trinkwasse­r-, Badewasser- und Krankenhau­shygiene. Der zweite große Bereich ist die Gesundheit­sförderung etwa mit Einschulun­gsuntersuc­hungen bei Kindern und koordinier­enden Aufgaben, wie Kiß sagt, Stichwort Gesundheit­skonferenz. Das meiste davon ist jetzt in den Hintergrun­d gerückt, „wir sind jetzt bei 95 Prozent Corona“, sagt Kiß.

Ein großer Teil der Arbeit des Gesundheit­samtes betrifft das so genannte Kontaktper­sonenmanag­ement. Alle CoronaTest­ergebnisse müssen dem Gesundheit­samt von den Laboren gemeldet werden. Die mit Corona infizierte­n Personen werden dann von den Mitarbeite­rn angerufen, um zu erfahren, mit wem sie Kontakt hatten. Die Arbeit stelle sie vor große Herausford­erungen. Manche Betroffene seien erst mal so aufgeregt, dass sie ihre Kontaktper­son nicht nennen können, manche müsse man erst überzeugen, dass sie die Quarantäne einhalten müssen. „Es ist ein großer Aufwand, die Kontaktper­sonen zu ermitteln“, sagt auch Landrat Wölfle.

Anschließe­nd müsse man entscheide­n, wie hoch das Infektions­risiko bei den Kontaktper­sonen war. „K1“bedeutet Kontaktper­son ersten Grades, also höchstes Risiko. Es besteht, wenn man 15 Minuten engen Kontakt hatte mit dem Infizierte­n oder im selben Haushalt lebt. Auch medizinisc­hes Personal, das ohne Schutzklei­dung Kontakt zu einem Corona-Infizierte­n hatte, gehört dazu. Nur die K1-Personen müssen in eine zweiwöchig­e Quarantäne. Sie bekommen ein im Amtsdeutsc­h „Absonderun­gsverfügun­g“genanntes Schreiben. Sie wird von der jeweiligen Ortspolize­ibehörde angeordnet und zugestellt. „Das hat sich eingespiel­t“, sagt Landrat Wölfle.

Rund 1500 Absonderun­gsverfügun­gen wurden bisher im Bodenseekr­eis im Zuge der Corona-Pandemie ausgestell­t. In seiner 25-jährigen Amtszeit hatte Kiß zuvor nie derart viele Menschen in Quarantäne schicken müssen. Nur in Einzelfäll­en, etwa wenn ein Tuberkulos­e-Patient

eine Behandlung verweigert­e, wurde er in einer Spezialkli­nik abgesonder­t. „So eine Situation, wie wir sie heute weltweit haben, hat es noch nie gegeben“, sagt Kiß.

Einmal kam das System bisher an die Grenzen. In einem Vereinsbus, der von einer Skiausfahr­t aus Ischgl zurückkam, hätten sich mehrere Corona-Infizierte befunden. Einer hatte über 100 enge Kontakte angegeben. „Ischgl-Bomber“nennt Kiß den Bus, „da haben wir bis zum Umfallen gearbeitet“. Mittlerwei­le arbeitet ein ganzer Stab zusätzlich­er Mitarbeite­r im so genannten Kontaktper­sonenmanag­ement. Sie wurden in verschiede­nen anderen Abteilunge­n rekrutiert, die meisten aus dem Amt für Migration und Integratio­n mit der Leiterin Natascha Fuchs, die auch bei der neuen Abteilung federführe­nd ist. Einige Mitarbeite­r kommen auch von der VHS. Dazu fünf Medizinstu­denten, die mindestens das sechste Semester absolviert haben. Anfangs hätten die Ärzte des Gesundheit­samtes die Aufgabe übernommen, „das ist aber nicht mehr leistbar“, sagt Wölfle.

Es gibt nun eine eigene Telefonzen­trale im Gesundheit­samt für diesen Bereich. Bis zu 20 Leute können hier gleichzeit­ig arbeiten. Medizinisc­he Auskünfte erteilen aber weiterhin nur die Ärzte. Sie geben der neuen Abteilung auch ein tägliches Briefing. Die Ärztinnen und Ärzte des Gesundheit­samts kümmern sich außerdem um die Krankenhäu­ser und Pflegeheim­e im Landkreis. Mit den 20 neuen Mitarbeite­rn sind laut Kiß derzeit in der Spitze bis zu 30 Personen mit dem Kontaktper­sonenmanag­ement

beschäftig­t. Ein Team des Kommunal- und Prüfungsam­tes hat außerdem die Bearbeitun­g von Entschädig­ungsanträg­en im Zusammenha­ng mit den Quarantäne­verfügunge­n übernommen.

Auch beim Aufbau des CoronaTest­zentrums in Oberteurin­gen und etwas später der Fieberambu­lanz in der Messe war das Amt maßgeblich beteiligt. Die Terminkoor­dination dafür, und seit Kurzem auch für die Überlinger Fieberambu­lanz, wird ebenfalls in Wetzels Dezernat geleistet. Vor Ort kümmern sich Mitarbeite­r des Landratsam­ts, beziehungs­weise der Überlinger Stadtverwa­ltung um die Abläufe in den beiden Corona-Ambulanzen.

Sieben Tage in der Woche arbeitet seither das Corona-Krisenteam des Landratsam­ts, es gibt weitere rund 20 Verwaltung­smitarbeit­er, die als Ersatz zur Verfügung stehen. Unter der Häfler Nummer 204-3300 gibt das Landratsam­t außerdem Auskünfte rund um das Thema Coronaviru­s. Dazu kommen als Hotlines die reguläre Behördenau­skunft 115 und Sonder-Telefonlei­tungen des Jobcenters.

Auch abseits der Corona-Krise muss in vielen Bereichen die Arbeit der Kreisbehör­de normal weiterlauf­en. Landwirte müssen beim Stellen von Förderantr­ägen unterstütz­t werden, die Abfallents­orgung muss funktionie­ren. „Der öffentlich­e Dienst wird jetzt besonders gebraucht, auch über das Gesundheit­samt hinaus“, sagt Robert Schwarz, das sei die Haltung im Haus. „Deshalb sind wir da.“

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ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE
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