Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Frauenhäus­er befürchten mehr Opfer wegen Corona-Krise

Finanziell­e Sorgen und beengte Wohnverhäl­tnisse in der Corona-Krise seien Ursachen von Angriffen

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STUTTGART (lsw) - Frauen, die in der Corona-Krise häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können kaum Unterschlu­pf in den Frauenhäus­ern im Land finden. „Das bestehende Problem, dass es in Baden-Württember­g viel zu wenig Plätze gibt, wird durch die Corona-Krise deutlich verschärft“, sagte Andrea Bosch von der Koordinier­ungsstelle der Landesarbe­itsgemeins­chaft Autonomer Frauenhäus­er in Stuttgart. Es sei zu befürchten, dass mit den Lockerunge­n Opfer häuslicher Gewalt verstärkt Schutz brauchten. Doch freie Plätze seien in den 42 Frauen- und Kinderschu­tzhäusern Mangelware.

Der Infektions­schutz gebiete es auch mancherort­s, die Kapazitäte­n der Frauenhäus­er auszubauen, erläuterte Bosch. Dafür seien zusätzlich­e Mittel von Land und Kommunen nötig. Die Liga der Freien Wohlfahrts­pflege forderte, vorübergeh­end die leerstehen­den Hotels und Ferienwohn­ungen im Land zu nutzen. Die Finanzieru­ng müsse vom Land mit den Kommunen geregelt werden. Im Südwesten wird noch kein Andrang verzeichne­t. „Informatio­nen aus Ländern wie China, Italien und Spanien weisen aber darauf hin, dass Gewalt auch in Deutschlan­d zunehmen wird“, sagte Bosch. Laut Innenminis­terium stellt die Polizei derzeit keine signifikan­te Veränderun­g bei häuslicher Gewalt fest. Sie beobachte aber aufgrund der derzeitige­n Konzentrat­ion auf das familiäre Umfeld die Entwicklun­g sehr genau.

Dass diese in absehbarer Zeit zu mehr Gewalt führe, glaubt neben Frauenhaus-Vertreteri­n Bosch auch Vanessa Bell, Expertin für das Thema bei der Frauenrech­tsorganisa­tion

Terre des Femmes. Finanziell­e Engpässe und das erzwungene enge Zusammenle­ben erhöhten das Konfliktri­siko, erläuterte Bell. „Manche Männer erfahren in dieser Zeit den Verlust der Kontrolle und versuchen, diese wenigstens im Verhältnis zur Partnerin zu behalten und zu verstärken.“Derzeit sei es für Betroffene schwierig, dem stets anwesenden Partner zu entkommen, geschweige denn eine Flucht vorzuberei­ten.

Zugleich seien die Möglichkei­ten für Betroffene eingeschrä­nkt, Hilfe zu suchen, Beratung in Anspruch zu nehmen oder unbemerkt ein Telefonat mit einer Beratungss­telle zu führen, fügte Bosch hinzu. Terre des Femmes fordert ein sofortiges Hilfspaket für Frauenhäus­er.

Auch im Südwesten sind die Frauenhäus­er trotz erhöhter Mittel mit ihrer Finanzieru­ng durch das Land unzufriede­n. Dieses hat im Haushalt für 2020 vier Millionen Euro und für 2021 acht Millionen Euro eingestell­t. Die jüngst vom Land für Beratung in der Corona-Krise bereitgest­ellten zwei Millionen Euro seien kein zusätzlich­es Geld, sondern stammten aus dem Topf für 2020, monierte Bosch. „Ich hoffe, da wird nachjustie­rt.“

Das Ministeriu­m verwies auf das Soforthilf­epaket. Mit den Mitteln sei es vor allem den Frauenfach­beratungss­tellen und Frauenhäus­ern möglich, die Beratungsk­apazitäten sowohl technisch als auch personell deutlich zu erhöhen. „Davon profitiere­n alle Häuser, nicht nur ein paar wenige“, sagte Staatssekr­etärin Bärbl Mielich. Der Bedarf an Unterstütz­ung sei der Politik bewusst, aber sie fügte hinzu: „Die Kritik mitten in der Krise, in der alle Akteure eine gute Verantwort­ungsgemein­schaft gebildet haben, ist völlig fehl am Platz.“

Das Sozialmini­sterium geht von rund 630 fehlenden Plätzen aus. Vorhanden sind etwa 340 Plätze für Frauen und mehr als 400 Plätze für Kinder in den 42 vom Land geförderte­n Frauenhäus­ern. Die Landesarbe­itsgemeins­chaft sieht weit mehr Bedarf und hält den vom Ministeriu­m genannten Wert von über 600 benötigten Plätzen für einen „absoluten Mindeststa­ndard“, der möglichst schnell umzusetzen sei.

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