Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Millionäre und Millionen

- Von Roland Weiß Von Angela Schneider

In den Geschäften lässt sich einkaufen, in den Rathäusern in Kürze (in Meckenbeur­en ab 4. Mai) wieder persönlich Rat holen. Die Lockerung der Corona-Regeln schreitet voran, und Berlin richtet mit der Öffnung der Spielplätz­e ab 30. April als erstes Bundesland den Blick auf jene, die vorgeblich sonst die „erste Geige“spielen – Familien, Kinder und Jugendlich­e.

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Bei allen Erkenntnis­sen und Rahmenbedi­ngungen: Familien müssen im nächsten Schritt bedacht werden. Spielplätz­e können mit roten Bändern nicht nur abgesperrt, sondern auch geöffnet werden – indem deren Nutzung mit vorgegeben­en Laufund Rutschwege­n geregelt wird.

* Zwei-Klassen-Gesellscha­ften: War da nicht die Hoffnung, dass Corona einen solidarisc­heren Umgang fördert? Ein Ansatz, den die Ideen zur Fußball-Bundesliga ad absurdum führen: Sie setzen fort, was war – eine Kluft zwischen Vielverdie­nern und Millionäre­n in den oberen Ligen einerseits und dem Breitenspo­rt der Millionen anderersei­ts. Erstere dürfen, letztere nicht. Daher (und obwohl selbst Fußball-Fan): Gehen Sie weiter spazieren, lassen Sie Geisterspi­el Geisterspi­el sein – und zeigen Sie weiter Herzblut für das, worauf es ankommt. Den Mitmensch.

TETTNANG/ARGENTAL - Konrad Renz ist sauer. Beim Ortstermin rund um die Keltenburg in Bleichnau und den Hutterstei­g des Oberlangna­uer Waldlehrpf­ades zeigt er, warum: Mountain-Biker nutzen die ausgeprägt­en Gefälle im Wald, um in reizvoller Landschaft auf Trails ihrem Hobby nachzugehe­n. „Das wird zunehmend zum Problem für den Wald und die Wildtiere“, sagt Konrad Renz, der als Vorstand der Jagdgenoss­enschaft Langnau und als Mitglied bei den Freunden des Waldlehrpf­ades regelmäßig auf frische Spuren der Radfahrer stößt.

Aus schmalen Pfaden, auf denen sonst Wanderer durch den Wald gehen, sind so seit einigen Jahren teilweise deutlich ausgefahre­ne Trails geworden. Noch schlimmer aber sind bauliche Veränderun­gen, die die Biker sogar unter Einsatz von Werkzeug wie Spitzhacke, Schaufel oder Säge vorgenomme­n haben. „Die Ränder der ehemaligen Fliehburg wurden beidseitig mit Pickel und Schaufel massiv abgegraben. Auf der einen Seite haben die Radfahrer sogar zwei alternativ­e Passagen gegraben, eine einfache und eine ‚Challenge’. Das ist einfach nicht hinnehmbar“, macht sich Renz, der auch Ortschafts­rat in Langnau und Gemeindera­t in Tettnang ist, Luft. Außerdem müssen die Ehrenamtli­chen, die den Waldlehrpf­ad betreuen, die beschädigt­en Treppenstu­fen des Hutterstei­ges regelmäßig ausbessern. Das kostet Zeit und Geld – und in diesem Fall natürlich auch Nerven.

„Die rechtliche Voraussetz­ung ist eigentlich klar“, sagt Konrad Renz. In Baden-Württember­g gilt die sogenannte Zwei-Meter-Regel. Das heißt, ein Radfahrer darf im Wald Wege nur dann befahren, wenn die mindestens zwei Meter breit sind. Rainer Leiprecht aus Meckenbeur­en, seit 25 Jahren leidenscha­ftlicher Biker, sieht in der Zwei-Meter-Regel zwar Interpreta­tionsspiel­raum, hat sonst aber eine klare Meinung: „Ich bin gegen bauliche Veränderun­gen an den Trails, Beschädigu­ngen lehne ich ab.“Für die Waldbesitz­er kommt noch ein anderer Umstand hinzu, den Michael Strütt, der Leiter des Forstamtes im Landratsam­t und damit zuständig für den gesamten Bodenseekr­eis, erläutert: „Sofern Trails mit künstliche­n Bauelement­en hergericht­et werden, kann der Waldbesitz­er möglicherw­eise bei Unfällen haftbar gemacht werden“, erklärt er auf Anfrage der Schwäbisch­en Zeitung in einer E-Mail. „Waldbesitz­ern ist anzuraten, solche Kunstbaute­n zu entfernen“, führt Strütt aus. Sollten Radfahrer die Zwei-Meter-Regel übertreten, würde das als Ordnungswi­drigkeit geahndet.

Doch hier gilt das alte Sprichwort: „Wo kein Kläger, da kein Richter“.

Michael Strütt, Leiter des Forstamtes

Zum einen besteht für die Waldbesitz­er oder die Forstbehör­den kaum eine Möglichkei­t, Biker zu erwischen, die die Trails widerrecht­lich nutzen oder gar selbst Hand anlegen. Konrad Renz: „Die meisten tragen einen Helm, die Kleidung wechselt, und die Beweglichk­eit ist hoch.“Soll heißen: Wenn der Radler in die Pedale tritt, ist er rasch entwischt. Als Chef der Jagdgenoss­enschaft dürfte Renz einen solchen Biker sogar fotografie­ren – aber sie sind einfach zu schnell. Allerdings sei es vor einiger Zeit zu einer Anzeige gekommen, weil von zwei Bikern Bilder gemacht worden seien. Obwohl die meisten Radler sich an die Regeln hielten, sei bei manchen das Unrechtsbe­wusstsein nicht besonders stark ausgeprägt. Konrad Renz erzählt von einer Mountainbi­kerin, die ihn ansprach, während er Käferholz aufräumte: „Sie hatte gesehen, dass ich eine Motorsäge dabei hatte und fragte mich, ob ich ihr nicht schnell einen umgestürzt­en Baum durchsägen könne, der ihr im Weg war. Da war ich echt sprachlos.“

Biker Rainer Leiprecht hingegen plädiert für ein Miteinande­r. Dass Menschen sich sportlich draußen betätigen, habe zugenommen und dadurch auch Nutzungsko­nflikte. Eine Möglichkei­t sieht Leiprecht darin, dass Trails offziell genehmigt, gemeinsam angelegt und gepflegt werden – dann müssten sich die Biker aber auch auf diese offizielle­n Trails beschränke­n. „Irgendwie muss man aneinander vorbeikomm­en“, findet er. Forstamtsc­hef Michael Strütt sagt dazu: „Zulässige Ausnahmen wären Single-Trails gemäß der Ausweisung nach dem MTB-Handbuch.“Dieses MTB-Handbuch ist als Projektarb­eit im Naturpark Schwarzwal­d entstanden. „Lösen ließe sich das Problem nur über eine Fahrer-Lenkung durch Ausweisung von Trails mit geringen Konfliktpo­tenzial bezüglich anderer Waldnutzer. Das ist aber ein sehr zeitaufwen­diger Prozess“, fügt er hinzu.

Auch Konrad Renz arbeitet daran, eine Allianz zu schmieden. Er will in nächster Zeit verstärkt Naturschut­z, Forstbehör­de und auch Gemeinderä­te ansprechen, wegen der Keltenburg in Bleichnau auch das Landesdenk­malamt. „Vielleicht bekommen wir das Problem mit konzertier­ten Anstrengun­gen in den Griff“, hofft er.

„Sofern Trails mit künstliche­n Bauelement­en hergericht­et werden, kann der Waldbesitz­er möglicherw­eise bei Unfällen haftbar gemacht werden.“

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