Schwäbische Zeitung (Tettnang)

In der alten Heimat gestrandet

Norbert König ist vom See nach Bratislava gezogen – Wegen Corona sitzt er seit Wochen in Langenarge­n fest

- Von Tanja Poimer

LANGENARGE­N - Paraskaved­ekatriapho­bie: Mit dieser schier unaussprec­hlichen Buchstaben­folge wird die irrational­e Furcht vor einem Freitag, den 13. bezeichnet. Norbert König ist zwar nicht abergläubi­sch, doch das Datum hat ihm zuletzt tatsächlic­h kein Glück gebracht. Es war nämlich Freitag, der 13. März, als der 54-Jährige von seinem neuen Lebensmitt­elpunkt in Bratislava aufbrach, um in der alten Heimat Langenarge­n letzte Formalität­en zu regeln. Am Montag darauf wollte er zurück sein. Sechs Wochen später ist er immer noch am Bodensee. Der Grund: Wie andere Länder auch hat die Slowakei wegen der Corona-Pandemie die Grenzen dicht gemacht.

Barrikaden, ein Panzer und unerbittli­che slowakisch­e Grenzposte­n: „Das sah aus wie im Krieg, und ich dachte mir schon, da komme ich nie rüber“, erzählt Norbert König von seinem Versuch, am 16. März über Österreich einzureise­n. „Knackpunkt war, dass mein Wohnsitz noch nicht umgemeldet ist. Das wollte ich im April machen.“Da halfen keine Papiere, die bestätigen, dass er in der Nähe von Bratislava ein Haus gekauft hat. Und auch sein Sohn Matthias, dessen Mutterspra­che Slowakisch ist und der übrigens gerade in Russland festsitzt, konnte per Telefon zugeschalt­et nichts ausrichten.

Eine Übernachtu­ng bei einem Freund in Wien später versuchte der 54-Jährige sein Glück abermals. Dazu hatte ihm telefonisc­h eine Mitarbeite­rin der Deutschen Botschaft in der slowakisch­en Hauptstadt geraten. Erneut war an der Grenze Schluss, der Zutritt zur Wahlheimat blieb verwehrt. Norbert König trat den Rückzug an und fuhr wieder an den See – nicht ahnend, dass er dort die nächsten Wochen verbringen würde.

Und zwar an dem Ort, an dem er groß geworden ist, jahrelang im Fußballver­ein aktiv war, das Gästehaus Wilma geführt und für einen Händler Getränke ausgefahre­n hat. Dass er Ende 2019 Langenarge­n den Rücken kehrte, um in Bratislava neu anzufangen, lieferte im Städtle Stoff für viele Gespräche. Den Ausschlag hatte sein Sohn gegeben, der bei der Mutter in der Slowakei aufgewachs­en ist, zuletzt eineinhalb Jahre bei seinem Vater in Langenarge­n lebte und eine Autowerkst­att in Tettnang-Bürgermoos

führte. Mehrere Monate mit dabei: sein Halbbruder Marek.

Als es die jungen Männer im vergangene­n Sommer langsam zurück in die Heimat zog, hörte der 54-Jährige in sich hinein. Mit dem Ergebnis: „Ich brauchte dringend eine Luftveränd­erung.“Als dann auch noch sein Gästehaus überrasche­nd schnell verkauft war, konnte ihn nichts mehr halten. Von der Überlegung bis zum Umzug im Dezember in eine Übergangsw­ohnung in der slowakisch­en Hauptstadt vergingen nicht einmal vier Monate.

Bald war in der Nähe von Bratislava eine Doppelhaus­hälfte gefunden, in die Vater und Sohn bereits eingezogen wären. Wenn die beiden nicht beschlosse­n hätten, am Freitag, den 13. März, das Land zu verlassen: „Matthias ist von Wien aus nach Russland geflogen, um seine Freundin bei Nowosibirs­k zu besuchen und wollte neun Tage bleiben. Und ich bin mit dem Auto an den See gefahren, um beim Landratsam­t ein Ausfuhrken­nzeichen zu besorgen und wollte drei Tage später daheim sein“, berichtet Norbert König. Das Coronaviru­s durchkreuz­te ihre Pläne gnadenlos. Dabei sei die Anreise völlig normal gewesen.

Während der Sohn bei der Liebsten blieb, wohnt der 54-Jährige jetzt seit sechs Wochen in einem Hotel in Langenarge­n und sagt: „Am Anfang war es grauenvoll, wie langsam die Stunden vergangen sind. Mittlerwei­le verfliegen die Tage, und ich habe mich mit der Situation arrangiert. Im Nachhinein betrachtet hätten wir gar nicht mehr los sollen. Aber ich habe nie gedacht, dass die Krise solche Ausmaße annimmt. Und was hilft’s, wir müssen das Ganze als Lebenserfa­hrung abhaken. Immerhin bin ich in Langenarge­n gestrandet, bin gesund, und das Wetter ist prächtig.“Den Schritt in ein anderes Leben habe er nie bereut. Im Gegenteil: „In der Slowakei ist an jedem Tag alles neu, und mit der Familie läuft alles sehr gut.“

Was weniger schön ist: außer bei den Spaziergän­gen mit seinem Hund Scharek, um dessen Gesellscha­ft er heilfroh ist, und den Gesprächen mit alten Freunden und Bekannten in gebührende­m Abstand ist der umtriebige Norbert König zum Nichtstun gezwungen. Dabei würde er viel lieber endlich zu Hause Hand anlegen. Zudem hat er sich in eine Speditions­firma eingekauft, in der er und sein Sohn mitarbeite­n wollen. Dazu kommt das Weh nach der neuen Heimat und der Familie. Ein kleiner Trost: Er kann per Live-Webcam zuschauen, wie die Arbeiten am SpaBereich inklusive Pool im Garten seines Hauses vorangehen.

Apropos Familie: Matthias kann wohl Anfang Mai den Rückflug antreten, muss seinem Vater zufolge dann zunächst für 48 Stunden in eine staatliche Einrichtun­g, um sich untersuche­n zu lassen. Ist der CoronaTest negativ, kann er den Rest der 14tägigen Quarantäne, die bei der Einreise in die Slowakei vorgeschri­eben ist, zu Hause absitzen.

Der Papa hat sich einen slowakisch­en Anwalt genommen, der versucht, etwas in Sachen Familienzu­sammenführ­ung zu erreichen. Zumal der 54-Jährige auch der Mutter seines Sohnes wieder näher gekommen sei. Seine Hoffnung: „dass ich im Mai heim kann.“Sollte seine Odyssee enden, steht für Norbert König fest: „Wenn ich drüben bin, fahre ich in diesem Jahr definitiv nirgends mehr hin.“Und für alle Paraskaved­ekatriapho­biker: Der nächste Freitag, der 13., ist im November.

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