Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Weingartener Blutritt wird kein Welterbe der Unesco
Reiterprozession wird nicht in die nationale Liste aufgenommen – Kommission bemängelt Ausschluss von Frauen
WEINGARTEN - Der Weingartener Blutritt wird nicht immaterielles Kulturerbe der Unesco. Die Kultusministerkonferenz der Länder hat sich in dem mehrstufigen Verfahren gegen eine Nominierung der größten Reiterprozession Europas für die deutsche Liste entschieden. Das hat die Pressestelle der Stadt Weingarten auf „SZ“-Anfrage bestätigt. Besonders interessant ist die Begründung der Entscheidung. Denn letztlich gab die fehlende Bereitschaft zur Öffnung der Männerwallfahrt für Frauen den Ausschlag für den negativen Bescheid.
So erkannte die deutsche UnescoKommission zwar die identitätsstiftende Funktion des Blutritts für die Region an und würdigte das große zivilgesellschaftliche Engagement. „Ausschlaggebend für die dennoch zurückhaltende Bewertung sei die vom Expertenkomitee beanstandete Offenheit des Brauchtums in der Frage einer möglichen Teilnahme von Frauen an Europas größter Reiterprozession“, teilt die städtische Pressestelle mit.
Dieser Aspekt birgt besonders viel Brisanz, weil sich die verantwortlichen Protagonisten in Weingarten
– insbesondere die Blutfreitagsgemeinschaft, zu der auch die Weingartener Blutreitergruppe gehört – beim Thema Öffnung für Frauen seit Jahren nicht bewegen. Zwar hatten Dekan Ekkehard Schmid und Bischof Gebhard Fürst in der Vergangenheit mehrfach signalisiert, dass sie sich eine Öffnung vorstellen könnten. Dabei hatten sie aber ebenfalls stets betont, dass diese Veränderung von innen heraus stattfinden müsse. Damit übertrugen die beiden Geistlichen einerseits der Blutfreitagsgemeinschaft sowie den teilnehmenden Blutreitergruppen eine wichtige Verantwortung. Verändert hat sich aber bislang nichts.
Dass die Bereitschaft zum Wandel aktuell nicht vorhanden ist, wird durch die Entscheidung der Kultusministerkonferenz nun mehr als deutlich. So hatte die deutsche Unesco-Kommission bereits im Dezember 2018, nachdem der Blutritt den Sprung auf die Liste des Landes Baden-Württemberg geschafft hatte und es durchaus positive Signale für den weiteren Verlauf gegeben hatte, um Nachbesserungen beim Antrag gebeten. Konkret ging es damals um zwei Themenbereiche.
Einerseits wollten die Experten wissen, wie sich die Antragssteller – die Stadt Weingarten, die katholische Kirchengemeinde St. Martin und die Blutfreitagsgemeinschaft – die Aufarbeitung der Rolle des Blutrittes zu NS-Zeiten vorstellen. Andererseits fragte die Kommission konkret nach, wie es um die künftige Offenheit beziehungsweise Wandlungsfähigkeit der Reiterprozession bestellt sei.
Daraufhin überarbeitete die Arbeitsgruppe Weltkulturerbe – ein Expertengremium aus Vertretern der Stadt, des öffentlichen Lebens, der Katholischen Kirchengemeinde St. Martin, der Katholischen Gesamtkirchengemeinde, der Blutfreitagsgemeinschaft Weingarten sowie der
Blutreitergruppe Weingarten – den Antrag. Mit Blick auf die Aufarbeitung der NS-Zeit konnte das Papier demzufolge überzeugen, bei der künftigen Öffnung für Frauen offensichtlich nicht.
Durch die Entscheidung der Kultusministerkonferenz, die diese in Absprache mit einer unabhängigen Expertenkommission getroffen hat, wird der Blutritt nicht nur nicht auf die deutsche Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen, auf der es aktuell 106 Einträge gibt. Durch die Absage hat die größte Reiterprozession Europas auch die Chance verpasst, von Deutschland für drei internationale Listen nominiert zu werden. Pro Jahr kann die Bundesrepublik einen Vorschlag machen.
Aktuell stehen auf den internationalen Unesco-Listen des immateriellen Kulturerbes 549 Einträge aus 127 Ländern. Davon sind wiederum vier aus Deutschland. Die Genossenschaftsidee, die Falknerei, der Blaudruck (eine Form der Stoffveredelung) sowie der Orgelbau mitsamt der Orgelmusik. Die Entscheidungen zu den deutschen Vorschlägen aus den Jahren 2018 und 2019, der deutschen Theater- und Orchesterlandschaft sowie des Bauhüttenwesens, stehen noch aus.