Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Fernreisen in weiter Ferne
Baden-Württemberg will Tourismus wieder ankurbeln – Debatte um Sommerurlaub
BERLIN - Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Niedersachsen wollen Tourismus und Gastgewerbe schrittweise wieder hochfahren. Die Wirtschafts- und Tourismusminister der drei Länder haben am Mittwoch einen Drei-Stufen-Plan zur Aufhebung der coronabedingten Einschränkungen vorgelegt. „Zu welchem Datum die einzelnen Phasen beginnen, werden die Länder in Abstimmung mit dem Bund in Eigenverantwortung bestimmen“, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der Minister.
Wie die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“berichtete, ist die erste Lockerungsstufe mit der Öffnung von Zoos und Freizeitparks für den 7. Mai ins Auge gefasst. In der zweiten Phase folgten am 11. Mai Restaurants und mit eingeschränkter Nutzung Ferienwohnungen und Hotels und am 25. Mai dann Übernachtungstourismus ohne Restriktionen. In dieser dritten Phase sollen dann auch Theater, Konzerthäuser, Kinos öffnen und andere Kulturveranstaltungen wieder stattfinden. Ebenso dürfen Schwimmbäder dem Konzept zufolge dann wieder öffnen.
Die Länder wollen ihren Plan in die Wirtschaftsministerkonferenz einbringen. Das Konzept sehe die Einhaltung strikter Abstandsregelungen, Hygienevorgaben und Registrierungspflichten vor. Voraussetzung sei auch immer, dass die epidemiologische Lage sich weiter stabilisiere.
Klar ist aber schon jetzt: Urlaub, wie man ihn bisher kannte, wird es in diesem Jahr nicht geben. Am ehesten ist ein Sommerurlaub in Deutschland denkbar. Während Baden-Württemberg in Sachen Hotelöffnungen vorangeht, hält sich die bayerische Staatsregierung bedeckt. Man sei in der Krise bei allem etwa zwei Wochen später dran als Österreich, betont Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Das würde bedeuten: Hotelübernachtungen wären ab Mitte Juni möglich. Für Bayern wie für viele andere Regionen in Deutschland prophezeit Michael Faber, Reisebüroinhaber und Unternehmensberater in Kastellaun (Rheinland-Pfalz) ein langsames Hochfahren ab Ende Mai/Anfang Juni. „Es wird mit Tagestouren beginnen, dann kommen einzelne Hotelübernachtungen und erst dann längere Reisen“, sagt er. Und er rät dazu, die Krise als Chance zu nutzen und „künftig mehr auf Qualitätstourismus und weniger auf Massentourismus zu setzen“.
Dauercamper dürfen in einigen Bundesländern bereits jetzt ihre Unterkünfte wieder nutzen. Verbandsgeschäftsführer Günther geht davon aus, dass Besitzer von Wohnwagen und Wohnmobilen wohl die nächsten sein werden – wenn sie Toilette, Dusche und Kochgelegenheit an Bord haben. „Denn die Sanitärgebäude werden in der ersten Phase sicher noch abgesperrt bleiben“, betont er. „Ab Anfang/Mitte Mai“könne unter solchen Voraussetzungen das Campen auf den ersten Plätzen möglicherweise erlaubt werden.
Pfingsturlaub im Ausland wird dagegen kaum möglich sein. Zum einen, weil die Grenzen zu beliebten Urlaubsländern wie Österreich – noch – dicht sind. Zum anderen wegen der weiter bestehenden weltweiten Reisewarnung. Außenminister Maas hatte die Reisewarnung für alle touristischen Reisen ins Ausland am 17. März ausgesprochen – ein beispielloser Schritt. Bisher gab es solche Warnungen nur bei einer Gefahr für Leib und Leben, vor allem für Kriegsgebiete wie Afghanistan oder Syrien. Sie ermöglichen eine kostenlose Stornierung von bereits gebuchten Reisen. Die aktuelle Reisewarnung war zunächst bis zum 3. Mai befristet und wurde jetzt um fünf Wochen verlängert.
Die Entwicklung der Corona-Pandemie sei noch nicht so weit, „dass wir sorgenloses Reisen empfehlen können“, sagte Maas zur Begründung. Er nannte vor allem zwei
Punkte: Überall gebe es noch Ausgangsbeschränkungen, Einreisesperren und Einschränkungen des Flugverkehrs. „Selbst wenn es in einigen Ländern Lockerungen gibt, (…) muss man davon ausgehen, dass es noch Wochen dauern wird, bis sich die Dinge sowohl bei uns als auch in anderen Ländern normalisieren.“Zudem hängt der Urlaub auch von der Bereitschaft in den Reiseländern ab, Deutsche zu empfangen. Bei letzterem Punkt gerät derzeit einiges in Bewegung. „Wir haben Signale aus mehreren Ländern erhalten, die ihre Sommersaison retten wollen“, heißt es bei Deutschlands größtem Reiseveranstalter Tui.
Das Auswärtige Amt hat gerade erst 240 000 wegen Corona im Ausland gestrandete deutsche Urlauber nach Hause zurückgeholt. Maas will nicht das Risiko eingehen, dass wieder Zehntausende Deutsche wegen kurzfristiger Grenzschließungen festsitzen. „Wir werden im kommenden Sommer eine solche Aktion nicht noch einmal durchführen“, betonte er.
Der SPD-Politiker will nun mit seinen EU-Kollegen nach einer gesamteuropäischen Lösung in Sachen Grenzöffnung suchen, ist inzwischen aber auch für Vereinbarungen mit einzelnen Ländern offen. „Es ist auch nicht auszuschließen, aufgrund der unterschiedlichen Verläufe der Pandemiebekämpfung in den einzelnen Staaten, dass es auch zu Differenzierungen kommen wird“, sagte er.
Damit geht er nach langem Zögern auf einen Vorschlag ein, den die österreichische Regierung bereits Mitte April gemacht hat. Das Alpenland zählt neben Italien, Spanien, der Türkei und Griechenland zu den fünf beliebtesten Urlaubszielen der Deutschen . Umgekehrt sind die Urlauber aus Deutschland für die österreichische Tourismusbranche eine Haupteinnahmequelle. Die österreichische Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) hält eine baldige Öffnung der Grenze zu Deutschland für möglich, weil hier wie dort „die Infektionszahlen niedrig sind“.
Der Deutsche Reiseverband begrüßte die Planungssicherheit, die es durch die Kabinettsentscheidung gibt. In einer Erklärung hieß es aber auch: „Wir geben den Sommerurlaub nach wie vor nicht verloren.“Die Urlaube im Ausland sind für die Branche extrem wichtig. 2019 gingen nach einer Analyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen von den 70,8 Millionen Urlaubsreisen der Deutschen immerhin 74 Prozent ins Ausland.