Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Filmgenuss auf Rädern
Das Autokino kommt zurück – In der Corona-Krise bietet das Fahrzeug Schutz vor Ansteckung
RAVENSBURG - Ob Action-Blockbuster mit spektakulären Explosionen oder emotionaler Herzschmerz in Nahaufnahme, Kinoliebhaber schätzen die große Leinwand. Viele erleben das Filmgeschehen intensiver als zu Hause vor dem Fernseher oder gar unterwegs auf dem Smartphone. Seit Mitte März müssen Kinos als Schutzmaßnahme gegen die Verbreitung des Coronavirus in Baden-Württemberg geschlossen bleiben. Deshalb organisieren immer mehr Kinobetreiber eine sicherere Alternative – das Autokino.
Vom Bodensee bis auf die Schwäbische Alb starten in den kommenden Tagen und Wochen Veranstalter ihre Filmprogramme auf die US-amerikanische Art der 1950er- und 60er-Jahre. An diesem Donnerstag schon eröffnen beispielsweise Autokinos im Ulmer Volkspark, auf dem Heidenheimer Festplatz und auf der Messe Friedrichshafen. Am Tag der Arbeit will eines auf dem Dach des Ulmer Blautal-Centers seine erste Vorstellung zeigen. Auf dem Laichinger Flugplatz können Besucher voraussichtlich vom 8. bis 10. Mai Filme sehen, und ab dem 20. Mai beginnen auf dem Ellwanger Schießwasen Vorstellungen. In Tuttlingen soll ebenso ein Autokino entstehen, Genaueres ist jedoch nicht bekannt.
In Friedrichshafen geht es ab sofort in der Messehalle los. Sie bietet Platz für 170 Autos pro Vorstellung und sie hat einen großen Vorteil: „Auch bei Tageslicht können Filme gezeigt werden“, sagt Messe-Sprecher Wolfgang Köhle. Die Veranstalter planen zweimal täglich Vorstellungen, je einen Nachmittagsfilm für Familien mit
Kindern und eine Vorführung am Abend. Die Messe musste ihre Veranstaltungen absagen, nun wolle sie ihr „Gelände wieder ins Spiel bringen“und gemeinsam mit dem Kulturbüro Friedrichshafen und der Firma Organissimo Menschen während des Kontaktverbots etwas bieten.
Das Dietrich-Theater hat sein Autokino auf dem Ulmer Volksfestplatz nahe der Friedrichsau aufgebaut. Allein in die Leinwand, die zugehörige Technik und den Aufbau hat das Unternehmen rund 100 000 Euro investiert. „Das Risiko gehen wir ein“, sagt Kinoleiter Sebastian Schmid. Dafür ermöglichen helle LED-Lampen ebenso Vorführungen am Nachmittag wie am Abend. Ab jetzt können also zweimal täglich 350 Autos eingelassen werden. Bereits direkt nach der verordneten Kinoschließung habe sich das Dietrich-Team Gedanken über Alternativen gemacht. Seine 120 Mitarbeiter seien alle in Kurzarbeit, für einige gebe es gar nichts zu tun, bedauert Schmid. Immerhin: „Das Autokino bietet die Möglichkeit, zumindest einige im Service einzusetzen.“
Bereits diesen Mittwoch hat das Autokino auf dem Tübinger Festplatz eröffnet. Nachdem das Open-AirSommernachtskino dieses Jahr nicht stattfinden kann, hat das Team um Carsten Schuffert innerhalb einer Woche das Autokino organisiert. „Mit dem Angebot füllen wir eine Lücke, die sich im Kulturbereich auftut“, erklärt Schuffert, Managing Director von Bewegte Bilder. Die Nachfrage sei groß, mehrere Veranstaltungen bereits ausverkauft.
Dass die Zahl der Autokinos bundesweit zunimmt, bestätigt Fiete Wulff, Sprecher der Bundesnetzagentur in Bonn. Die Behörde vergibt Frequenzen, über die Kinobesucher den Filmton über das Autoradio empfangen können. Seit März hat die Behörde in 64 Fällen Frequenzen für den Betrieb von Autokinos zugeteilt. Davon entfallen elf auf Baden-Württemberg. „Das höhere Antragsvolumen von Autokinos für Kurzzeitfrequenzen ist sicherlich durch Corona bedingt“, sagt Wulff. Vorher seien nur selten solche Anträge bei der Behörde gestellt worden. Derzeit würden sie vorrangig bearbeitet. Mehr als 100 Anträge muss die Bundesnetzagentur noch prüfen.
Gefährlich könnte es nämlich werden, wenn eine Kinofrequenz sich mit dem Flugfunk überschneiden würde. „Die Kommunikation zwischen Pilot und Tower liegt nah am gleichen Frequenzbereich und darf aus Sicherheitsgründen nicht gestört werden“, erklärt Wulff. Auch über WLAN, Lautsprecher an jedem Stellplatz oder eine große Sound-Anlage könne der Ton übertragen werden. Unter anderem, weil die Frequenz-Methode die Anwohner nicht stört, hält Wulff sie für die geeignetste: „Die Technik synchronisiert außerdem gut, und es ist einfach, sie bereitzustellen.“Zumal in diesem Fall das Autoradio mitgenutzt werden könne und der Kinobetreiber keine Lautsprecher kaufen müsse.
Auch für die technische Übertragung in Tübingen sorgt eine neu beschaffte UKW-Sendeanlage. Obwohl die übrige Open-Air-Kinotechnik schon bereitgestanden habe, könne man mit dem Autokino nicht reich werden, sagt Schuffert. „190 Stellplätze für Autos, das bedeutet bei zwei Plätzen pro Fahrzeug 380 Kartenverkäufe pro Vorstellung – das entspricht einem Kinosaal“, rechnet er vor. Auch Einnahmen durch Snackverkauf oder Gastronomie fallen weitgehend weg. Nur wiederverschließbare Getränke sowie Chips oder Gummibärchen in Tüten darf der Veranstalter verkaufen. Das Ziel sei, die Kosten zu decken, weitere Erlöse würden solidarisch an die Kinobetreiber vor Ort gehen.
Autokinos haben außerdem oft mehr als einen Nutzen: Auf einigen wurden – über das Autoradio – bereits Ostergottesdienste gefeiert oder Konzerte veranstaltet. Jetzt laufen bei der Bundesnetzagentur bereits Anträge von Festival-Veranstaltern ein.